BC: Herr Derntl, wie würden Sie die Initiative „zukunft.lehre.österreich.“ in zwei Sätzen beschreiben?
Mario Derntl: z.l.ö. – zukunft.lehre.österreich. ist ein unabhängiger, gemeinnütziger und branchenübergreifender Verein, dessen Ziel die Aufwertung des allgemeinen Images der Lehre ist. Gemeinsam mit bereits fast 100 Mitgliedsunternehmen möchten wir die Vorteile, Möglichkeiten und Chancen einer Lehre hervorheben und damit das gesellschaftliche Ansehen der Lehre stetig und permanent verbessern.
alle neuerungen auf einen blick?
BC: Sie haben selbst von der Lehre ins akademische Fach gewechselt. Wie sollte die Lehre gegenüber dem Studium gestärkt werden – insbesondere auch im Hinblick auf Maturanten?
Derntl: Eine Lehre nach Absolvierung der Matura ist aussichtsreich und bietet durch die folglich doppelte Qualifikation einen spannenden Direkteinstieg in den Arbeitsmarkt. Die Bedeutung der Lehre als erfolgreichen Weg statt einer universitären Ausbildung ist vielen gar nicht bewusst, was durch konkrete Aufklärung über alle Möglichkeiten geändert werden muss – die langjährige Arbeitserfahrung und spezifisch fachliche Kompetenz von Lehrabsolventen ist das Alleinstellungsmerkmal und Nonplusultra am Stellenmarkt!
BC: Um neben der Quantität auch auf die Qualität zu schauen: In welchem Bereich, in welchen Fächern bemerken Lehrbetriebe den größten Qualifikationsmangel? Wo sollte bereits in der Schule ein (noch) stärkerer Schwerpunkt gelegt werden?
Derntl: Tatsächlich führen fallweise Mängel an Vorqualifikation und Vorbildung dazu, dass sich Unternehmen, die eigentlich gerne noch weitere Lehrlinge aufnehmen würden, gegen eine Bewerberin oder einen Bewerber entscheiden. Deutsch, Mathematik, als auch insbesondere sinnerfassendes Lesen sind Bereiche, die vielen jungen Menschen nach Vollendung der Pflichtschule offenbar noch schwerfallen. Die Jugendlichen trotzdem fit für eine Ausbildung zu machen und das Bildungsniveau anzuheben, sollte höchste Priorität in unseren Anstrengungen bekommen.
BC: Worin sehen Sie persönlich die drei hauptsächlichen Gründe, warum sich junge Menschen gegen den Beginn einer Lehre entscheiden?
Derntl: Der wahrscheinlich gewichtigste Grund ist, dass in manchen Köpfen noch ein veraltetes Bild der Lehrlingsausbildung herrscht. Im Vergleich zur theoretischen Ausbildung an einer Schule wird die praxisorientierte duale Ausbildung oftmals als minderwertig angesehen und sogar häufig von Eltern abqualifiziert.
"Da kursieren oft noch Bilder vom Lehrling, der 20 Jahre am Fließband arbeiten muss und nie ein erstrebenswertes Einkommen erzielen wird."
(Mario Derntl)
Dies ist grundlegend falsch, weswegen wir als z.l.ö. ein Umdenken in diesem Bereich anstreben möchten. Weitere Gründe sind beispielsweise, dass es für viele schwierig ist, sich in so jungen Jahren schon eigenständig für das beginnende Arbeitsleben zu entscheiden, oder auch die starke Konkurrenz der mittleren- und berufsbildenden Schulen.
BC: Welche Impulse sollten bereits in der Schule gesetzt werden, um bereits vor dem Schulabschluss für die Lehre zu begeistern?
Derntl: Die Berufspraktischen Tage, auch bekannt als Schnupperlehre, sind zum Beispiel eine ideale Möglichkeit, um ein Unternehmen und den möglichen zukünftigen Wunschberuf das erste Mal besser kennenzulernen. Weiters möchten wir in Zukunft voraussichtlich sogenannte „Lehrlingsbotschafter“, also ehemalige Lehrlinge, die als Vorbilder agieren sollen, an Schulen schicken, um den Schülern aufzuzeigen, was man mit einer Lehre tatsächlich alles erreichen kann. Hier wollen wir vor allem bereits ab der 7. Schulstufe ansetzen.
BC: Es sinken nicht nur die Lehrlingszahlen, das Problem wird durch eine hohe Abbrecherquote noch verschärft. Wo sollte hier angesetzt werden, damit ein einmal eingeschlagener Weg nicht auf halber Strecke abgebrochen wird?
Derntl: Um sich Lehrlinge und daraus hervorkommende Fachkräfte auch langfristig im Betrieb zu halten, benötigt es ein entsprechendes Verständnis der jungen Generation Z, die gerade den Großteil der Lehrlingsstarter ausmachen. Laut Umfragen brauchen die sogenannten „Digital Natives“, um sich in ihrer Arbeitsumgebung wohl zu fühlen, eine ausgewogene Work-Life-Balance, individuelle Unterstützung, einen Sinn in ihrer Arbeit sowie höhere Digitalisierung. Oftmals helfen als Anreize Benefit-Systeme für Mitarbeiter oder Teambuilding- und Teambonding-Aktivitäten, um das Zugehörigkeitsgefühl zum Betrieb zu stärken. Das gemeinsame, vertrauensvolle Gespräch zu suchen, kann oft schon Wunder bewirken.
BC: Eine Frage zu Ihrer USA-Erfahrung: Auch in den Staaten setzen Tochtergesellschaften deutscher und österreichischer Unternehmen auf die duale Ausbildung – hatten Sie diesbezüglich ein besonders positives Erlebnis, welches Sie vielleicht mit uns teilen möchten?
Derntl: In der Tat setzen österreichische Betriebe oft auch im Ausland auf das Erfolgskonzept der dualen Ausbildung. Persönlich konnte ich leider keinen Auslands-Lehrling kennenlernen, doch funktioniert dieses von Österreich eingeführte Konzept, auch außerhalb unseres Landes sehr gut, stößt auf Begeisterung und internationales Aufhorchen. Die USA selbst verfolgen in der Berufsausbildung eine etwas anderes Training on the job Modell, dass fast gänzlich ohne theoretische Inhalte aufgebaut ist.
BC: „Tue Gutes und rede darüber“: Worauf sollten Unternehmen besonders achten, die für qualifizierte Lehrlinge attraktiv wirken wollen? Und auf welchen Kanälen sollten sie vorrangig kommunizieren?
Derntl: Employer Branding beginnt bereits in der Lehrlingsausbildung. Es muss verstärkt darauf geachtet werden, was die Jugend der heutigen Zeit, also vordergründig die Generation Z, braucht. Themen wie flexible Arbeitszeiten und -modelle, Work-Life-Balance so wie fortschrittlich genutzte Digitalisierung geben den Unternehmen gute Chancen, am Lehrlingsmarkt positiv hervorzustechen. Plattformen und soziale Medien wie „Instagram“ und eventuell auch das hochbeliebte „TikTok“ sollten für moderne HR- und Marketingspezialisten zumindest keine Fremdwörter sein.
BC: Verraten Sie uns schon, welches große Projekt Sie für das kommende Jahr planen – was wäre am dringendsten notwendig, um den Lehrlingsmangel in Österreich zu bekämpfen?
Derntl: Soweit es die Situation rund um Covid19 zulassen wird, haben wir einige Ideen und Projekte in petto. Unser oberstes Ziel ist es, die gesellschaftliche Anerkennung der Lehre weiter zu forcieren. Beispielsweise haben wir unsere diesjährige Kampagne, deren Ziel es war „1000 Gesichter für die Lehre“ als Vorbilder zu finden, wegen ihres Erfolges und hohen Zuspruches fortgesetzt und wollen mit den oben erwähnten „Lehrlingsbotschaftern“ viele positive Erfolgsstories vor den Vorhang holen.
Mario Derntl, B.A. ist ehemaliger Lehrling und hat anschließend in Wien und Los Angeles Betriebswirtschaft studiert. Beruflich war er u.a. bei Mercedes-Benz USA in Atlanta tätig. Seit November 2019 leitet er die unabhängige Initiative zukunft.lehre.österreich, welche er im Rahmen des Lehrlingsforums 2020 am 30. November vorstellt.