Business Circle: Frau Pircher-Friedrich, wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Tun gekommen? Welche Beweggründe hatten Sie?
Pircher-Friedrich: Meinem jetzigen Tun geht eine sehr lange und vor allem gewachsene Geschichte voraus, denn es hat sehr viel mit meiner eigenen Biografie zu tun. Bereits mit 14 Jahren begann ich zu arbeiten und habe alle meine Ausbildungen berufsbegleitend gemacht. Das war nicht immer ein einfacher Weg, hat mich aber letztlich sehr geprägt. Der frühe Arbeitsbeginn bis zur heutigen Zeit ermöglichte es mir, die komplette Arbeitswelt – von unten, bis oben – kennenzulernen, also, wenn Sie so wollen, ich habe Resilienz in der Praxis erlebt. In diesem Kontext haben mich immer schon starke Menschen fasziniert, die für Unternehmen Gutes geleistet haben. Das ist auch einer meiner Beweggründe, nämlich, dass es mehr von diesen Menschen gibt, die etwas Gutes tun. Denn irgendwann habe ich erkannt, dass der Faktor Mensch generell zu wenig behandelt wird. In diesem Zusammenhang bin ich dann auf Viktor Frankl gestoßen und habe mich intensiv mit seinen Inhalten und Erkenntnissen auseinandergesetzt. Mit den Seminaren verfolge ich das Ziel, jedem die Möglichkeit zu geben, das Beste aus seinem Leben zu machen.
Business Circle: Bleiben wir bei Viktor Frankl. Er hat Sie sehr geprägt, in wie weit lassen Sie die Grundsätze von ihm in Ihren Seminaren einfließen?
Pircher-Friedrich: Viktor Frankls Grundsätze fließen sehr viel und umfassend in meine Seminare ein. Einer seiner Grundgedanken war ja, den Menschen in die eigene Verantwortung zurück zu führen. Fasziniert hat mich dabei immer, das würdevolle Menschenbild, das letztlich Grundlage für Erfolg und Misserfolg ist. In der Praxis stelle ich jedoch fest, dass das Menschenbild immer noch eine zu geringe Rolle spielt. Hier geht es nicht nur um den Rahmen, den Unternehmen durch gelebte Unternehmenskultur zur Verfügung stellen, sondern vielmehr um die Entwicklungsfähigkeit jedes Einzelnen.
Die Frage ist, wie jeder seine Potentiale nutzen kann, um etwas aus sich zu machen und auch, um dadurch seine eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu nutzen.
Business Circle: Wie ist das genau zu verstehen?
Pircher-Friedrich: Die zentrale Frage ist immer, wie man mit Problemen umgeht. Genau hier steht man dann vor der Überlegung, ob man sich in die Opferrolle begibt und dadurch langfristig krank wird, z.B. in Form eines Burn-Outs, oder ob man lernt, Dinge zu akzeptieren, die man ohnehin nicht ändern kann und es dann schafft, durch eine positive Einstellung gesund zu bleiben.
Business Circle: Stichwort Opferrolle: Hat sich hier an der Einstellung im Vergleich zu der Zeit vor 50 Jahren etwas geändert? Begibt man sich heutzutage viel zu leichtfertig in die Opferrolle und leidet dann unreflektiert?
Pircher-Friedrich: Ja und nein. Es ist ein multifaktorielles Zeitgeistphänomen. Wir sind es heutzutage gewohnt, dass es uns gut geht, dass wir letztlich alles bekommen was wir haben wollen und unsere Erwartungen zu 100 % erfüllt werden. Es hat aber auch mit der Erziehung zu tun. Sie kennen sicher das Sprichwort: „Was uns nicht umhaut, macht uns stärker“. Das galt früher, heutzutage ist das etwas anders.
Was viele Menschen jedoch nicht bedenken ist, dass wir Herausforderungen oder Krisen brauchen.
Auch wenn das vielleicht befremdlich klingen mag, aber nur so kann man – persönlich - wachsen.
Business Circle: In Ihrem Seminar lernen die Teilnehmer unter anderem Stresskompetenz zu entwickeln. Das ist gerade in der heutigen, schnelllebigen Zeit essentiell. Welche Tipps können Sie den Teilnehmern mitgeben?
Pircher-Friedrich: Ganz wichtig ist zu verstehen, dass Stress per se nichts Negatives ist. Stress ist Teil unseres Lebens und gibt uns letztlich die große Chance zu wachsen. Entscheidend ist unsere eigene Einstellung und die Bewertung von Situationen. Je nachdem wie diese ausfällt, entscheidet sich, ob man daran wächst oder sie als Stress auffasst, der krank macht. Hier kommen auch Glaubenssätze ins Spiel: Welche leiten mich bewusst, welche unbewusst. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen, dass die Grundeinstellung zum Leben das A und O ist und davon hängt es nun auch ab, wie man mit Stress umgeht. Bis zu einem gewissen Punkt ist das auch erlernbar, dazu gehört aber der eigene Wille und auch etwas Mut. Denn, hier gefällt mir Viktor Frankls Zitat recht gut: „Zur Freiheit gehört der Mut.“ Oft sind Menschen wie gefesselt, erkennen aber nicht, dass sie ihre Fesseln selbst angelegt haben. Ziel sollte sein, diese Fesseln zu lösen. Dabei können die Glaubenssätze hilfreich sein und die Erkenntnis, wie man ein würdevolles Menschenbild erlangt, um damit besser durchs Leben zu kommen.
Business Circle: Sie haben ein 7-Schritte-Prozess-Modell entwickelt. Worum geht es da genau?
Pircher-Friedrich: Dieses 7-Schritte-Prozess-Modell fasst im Wesentlichen die Hauptinhalte des Seminars zusammen und stellt ein Tool dar, mit dem man die Tipps und Inhalte in der täglichen Praxis umsetzen kann. Ganz so einfach wie es klingt, ist es jedoch nicht. Ganz wichtig ist, dass man die Seminarinhalte verstanden hat, sonst helfen die sieben Tipps nicht oder nur bedingt weiter. Es ist eben ein Prozess, der sich entwickelt, deshalb habe ich die sieben Stufen auch Prozess-Modell genannt. Z.B. resilient zu werden bedeutet nicht abgebrüht zu sein, denn das ist nicht im Sinne von Viktor Frankl. Schafft man es resilient zu werden, dann ist es nicht nur für einen selbst, sondern für alle gut. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Business-Circle: An wen richtet sich das Seminar in erster Linie?
Pircher-Friedrich: Grundsätzlich ist das Seminar für alle Interessierten gedacht. Es richtet sich an all jene, die den Wunsch haben, etwas aus sich zu machen, ihre Potenziale zu entfalten und sich in eine wertvolle Richtung entwickeln wollen. Ich finde es auch immer sehr spannend, wenn ein bunt gemischtes Publikum ist und nicht nur zielgruppenspezifisch.
Business Circle: Wie kann man Resilienz am besten in das tägliche Leben einbauen?
Pircher-Friedrich: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn dafür gibt es kein Patentrezept.
Bei Resilienz geht es um die Entwicklung wahrer innerer Stärke, um dadurch die Widrigkeiten des Lebens zu meistern und um bei auftretenden Problemen nicht sofort zu resignieren.
Generell haben wir drei Möglichkeiten, um mit Problemen umzugehen:
- Wir zerbrechen daran.
- Wir werden verbittert.
- Die Aufforderung an uns selbst: Suche nach neuen Möglichkeiten und du findest sie in dir.
Der letzte Punkt ist der erste Schritt in Richtung Resilienz. Das kann jeder machen, dazu ist jeder fähig. Doch – und das schreckt viele vielleicht ein bisschen ab – sein Leben in die Hand zu nehmen braucht Mut und den müssen wir erst aufbringen. Am Anfang ist es vielleicht eine harte Zeit, man muss ein bisschen an seinen Problemen knabbern, nach einiger Zeit jedoch merkt man dann selber, dass es eine nachhaltige Wirkung hat. Und dann hat man schon gewonnen. Mir ist das auch ein ganz großes Anliegen, dass es den Menschen gut geht und dass die Prozesse und Schritte nachhaltig werden.
Prof. Dr. Anna Maria Pircher-Friedrich ist Lehrbeauftragte des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen sowie Professorin für Human Resources und Dienstleistungsmanagement am Management Center Innsbruck. Sie ist seit vielen Jahren international Vortragende, hält Seminare und ist Autorin zahlreicher Publikationen und Fachbücher.
Veranstaltungstipp:
NEU: Ihr Seminar bei Business Circle zum Thema Selbstführung und Resilienz findet an zwei Terminen statt:
- 19 und 20. Mai 2020
- 10 und 11. November 2020
- weitere Termine folgen