Business Circle: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Günther, zunächst eine allgemeine Frage. Sie sind Direktorin eines Universitäts-Instituts. Welche Regeln haben Sie in Ihrem Team in Bezug auf Home-Office und Büro-Präsenz und wie lange hat die Umstellung gedauert? Gab es einen Unterscheid zwischen Sommer und zweitem (drittem) Lockdown?
Prof. Dr. Edeltraud Günther: Wir haben im Sommer 2019 Flexible Working Arrangements eingeführt, mit Kernarbeitszeiten von 10.00 bis 16.00 Uhr und zwei Tagen Home-Office pro Woche. So mussten wir beim ersten Lockdown lediglich die Kernarbeitszeiten aufheben und das Home-Office auf die gesamte Woche ausdehnen. Unsere Mitarbeiter:innen konnten auf Antrag Büroausstattung ausleihen, um sich zu Hause einen ordentlichen Arbeitsplatz einzurichten. (Hier klicken für mehr Infos)
BC: Etwas Persönliches: Wie sind Sie zu dem gekommen, was Sie jetzt machen und was ist das Schönste an Ihrem Beruf (Ihrer Berufung)?
Günther: Mein beruflicher Werdegang lässt sich mit einem Wort beschreiben: Serendipität. Ich hatte immer einen Plan und war offen für unerwartete Möglichkeiten. Ich wollte Lehrerin für Wirtschaft und Französisch werden, aufgrund der hohen Lehrerarbeitslosigkeit schien mir ein BWL-Studium die bessere Option, abgerundet durch einen Auslandsaufenthalt in Genf. Ich hatte nach dem Studium schon ein Angebot, in einer Bank zu arbeiten, nahm aber das Angebot einer Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an. Im Rechnungswesen wollte ich nur promovieren, wenn ich ein Thema bearbeiten kann, für das ich brenne. Beim Thema “Ökologieorientiertes Controlling” war dies der Fall. Ich arbeitete danach an einem Abfallforschungsinstitut und entschied mich dann für eine Hochschullehrerlaufbahn im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement und Betriebliche Umweltökonomie, bei der ich Lehre, Forschung und Praxisberatung verbinden konnte. Mit 50 überlegte ich, in die Wirtschaft zu wechseln, da eröffnete sich die Möglichkeit, für die Vereinten Nationen zu arbeiten. Das Schönste an meinem Beruf ist, dass Forschung und Lehre frei sind und ich Ideen entwickeln und umsetzen darf.
Ob Nachhaltigkeitsberichterstattung ernst genommen wird, bezweifle ich
BC: Das Motto der RECON ist die „Standortbestimmung für Entscheidungsträger aus Finanz-, Rechnungswesen & Controlling“. Wenn Sie jetzt 5 Jahre zurückdenken, was waren die wesentlichen Veränderungen in Bezug auf Nachhaltigkeitsberichterstattung in dieser Zeit und wo könnten wir 2026 stehen?
Günther: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist mittlerweile in den Finanz- und Rechnungswesenabteilungen der Unternehmen angekommen. Ob sie ernst genommen wird, bezweifle ich. Meine Vision für 2026 ist, dass Nachhaltigkeitsberichte nicht nur von Studierenden im Rahmen ihrer Qualifikationsarbeiten analysiert werden, sondern Eingang in die Entscheidungsfindung von Unternehmen haben.
BC: Sie sind im Vorstand von PRISMA - Zentrum für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik. Möchten Sie uns kurz die Schwerpunkte Ihrer dortigen Arbeit erläutern?
Günther: Die Vision von PRISMA ist: „Wir messen und bewerten Nachhaltigkeit“. Konkret forschen bei PRISMA über 30 Kolleg:innen aus verschiedenen Disziplinen zu den Grundlagen der Messung und Bewertung einer ökonomisch erfolgreichen sowie ökologisch und sozial verträglichen, langfristigen Entwicklung unter Berücksichtigung räumlicher und zeitlicher Gegebenheiten. Unsere Analysen beziehen sich auf Systeme, Institutionen, Organisationen, Individuen, Produkte, Prozesse und Materialien.
BC: Wie wir auf der RECON 2020 festgestellt haben, hatte COVID-19 kaum Auswirkungen auf die bestehenden IFRS-Regelwerke, es kam eher zu Anwendungs- und Interpretationsfragen. Denken Sie, dass die Krise langfristige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsbewertung und -politik haben wird?
Günther: Die Bewertungsobjekte werden sich ändern, da COVID-19 einen Digitalisierungs- und Innovationsschub ausgelöst hat.
BC: In einer internationalen Studie wurde kürzlich festgestellt, dass Österreich in puncto Nachhaltigkeitsberichterstattung zwar einen steigenden Trend aufweist, im Vergleich aber immer noch leicht unter dem Durchschnitt liegt. Also Zeit, auf den Zug aufzuspringen. Was ist ein sinnvoller Einstieg, was sollten die ersten Schritte sein?
Günther: “Einfach anfangen” ist meine Empfehlung an Unternehmen: Starten Sie mit einer Bestandsaufnahme, welche Daten sie bereits haben und bereiten Sie diese auf. Analysieren Sie, welche Daten Sie in einem nächsten Schritt relativ einfach erheben können. Lernen Sie von anderen Unternehmen. Binden Sie Ihre Mitarbeiter:innen ein.
BC: Eine Frage zur Bildungslandschaft: Was wären – insbesondere im universitären Bereich – die nächsten umzusetzenden Projekte um nachhaltiges Denken und Handeln dauerhaft zu stärken?
Günther: Nachhaltigkeit wird in alle Stellenausschreibungen an Hochschulen aufgenommen. Nachhaltigkeit wird Bestandteil jeder Zielvereinbarung von Hochschullehrer:innen. Dadurch werden Nachhaltigkeitsaspekte in Lehrveranstaltungen, aber auch in Forschungsaktivitäten integriert.
Prof. Dr. Edeltraud Günther ist Direktorin des Instituts UNU-FLORES der Universität der Vereinten Nationen in Dresden. Während ihrer Zeit an der TU Dresden gründete und leitete sie PRISMA - Zentrum für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik.