Business Circle: Sehr geehrter Herr DI Zeiner, in unserem letzten Interview haben Sie dargelegt, dass Ihre Predictive-Lösung in Kombination mit dem menschlichen Verständnis in der Finance-Abteilung nochmals einen deutlichen Schritt weiter geht als herkömmliche Was-wäre-wenn-Szenarien. Was hat sich da innerhalb der letzten 6 Monate getan?
Gerald Zeiner: Im Segment Accounting schreitet die Automatisierung weiter voran. Größeres Interesse an Predictive- und KI-Ansätzen verzeichnen wir unter anderem im Controlling. Hier ist aber nach wie vor das Zusammenspiel zwischen der nicht zu ersetzenden Erfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Controlling einerseits und andererseits beispielsweise der Muster entscheidend, die sich etwa durch Machine Learning erkennen lassen. Unsere Predictive-Lösung ist in erster Linie auf einfache Anwendung für den Enduser ausgelegt und zeigt dem Anwender auch Qualitätskennzahlen, um die Relevanz der Vorhersage zu bewerten.
BC: Im derzeitigen Preissteigerungsszenario steigt natürlich der Kostendruck. Wie kann künstliche Intelligenz hier einen wirksamen Beitrag leisten, ohne einfach nur Personal abzubauen?
Zeiner: Generell stehen viele Ansätze hinsichtlich KI, Machine Learning oder Predictive Intelligence im aktuellen Umfeld vor Herausforderungen: Die Entwicklungen, die wir aktuell erleben, sind in den letzten Jahrzehnten weitgehend beispiellos. Es liegen aus der jüngeren Vergangenheit schlicht keine belastbaren und vergleichbaren Daten vor, aus denen Schlüsse gezogen werden könnten. Gerade sehr wissenschaftlich orientierte Methoden scheitern vielfach an den fehlenden Datenmengen. Allerdings zeigt sich bei unseren Kunden, dass sich die pragmatische Vorgehensweise mit CCH Tagetik in einem solchen Umfeld bewährt. Vorhandene Daten werden ins System eingespielt, analysiert und können je nach Relevanz und Signifikanz für die Planungsabläufe berücksichtigt werden. Auf diese Weise lassen sich in sehr kurzer und knapp bemessener Zeit Verbesserungen erzielen.
BC: Manche erwarten angesichts der derzeitigen Inflation eine schnellen Zinsanhebung. Wie kann Predictive Intelligence dazu beitragen, Marktrisiken in einem solchen Fall am besten abzufedern?
Zeiner: Auch hier gilt: Daten aus den vergangenen 10 bis 15 Jahren lassen nur wenig Schlüsse auf zukünftige Entwicklungen zu und setzen Predictive Intelligence damit zumindest in dieser Hinsicht Grenzen. Die singulären Ereignisse der letzten Zeit, darunter etwa die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder die Problematik bei vielen Lieferketten sowie die damit verbundenen Marktentwicklungen, lassen sich nicht durch Daten vorhersagen. Das Predictive-Modul von CCH Tagetik kann jedoch aus firmeninternen und zusätzlichen externen Datenquellen neue Denkanstöße liefern, die mit dem Fachwissen der Anwender zu Wettbewerbsvorteilen führen.
BC: Gibt es vielleicht eine besondere Erfolgsgeschichte, ein besonders gelungenes Projekt, aus dem Sie einige positive Learnings mit uns teilen wollen? Insbesondere wie KI dazu beiträgt, dass sich das Team besser auf Kernaufgaben konzentrieren kann und wie das positiv zum Unternehmenserfolg beiträgt.
Zeiner: Solche Erfolgsgeschichten gibt es durchaus auch bereits im KI-Umfeld. Ein aktuelles Beispiel ist bei uns etwa ein großer kommunaler Infrastrukturdienstleister, der CCH Tagetik in Kombination mit „R“, einer freien Programmiersprache für statistische Berechnungen, für das stochastische Verfahren der Monte-Carlo-Simulation verwendet. Hier werden vereinfacht ausgedrückt Best-Case- und Worst-Case-Szenarien abgeschätzt. Der Vorteil für das Team liegt darin, dass dadurch eine spezifische Spanne vorgegeben wird, innerhalb der die realistische Einschätzung liegt. Diese Eingrenzung stellt für das Team des Kunden in der Praxis einen sehr hilfreichen Planungskorridor dar.
BC: „Höre nie auf, anzufangen“: Was wären die ersten Schritte, die eine Accounting-Abteilung in Richtung technologie-unterstützer Weiterentwicklung gehen sollte?
Zeiner: Eine Möglichkeit für die Digitalisierung und Automatisierung, die verhältnismäßig einfach umsetzbar ist und schnell Effekte erzielt, liegt im Bereich der Kontenabstimmung. Der Abgleich und die Konsistenzprüfung erfolgen im Accounting häufig immer noch manuell. Der Aufwand für eine relativ lästige und periodisch wiederkehrende Tätigkeit ist hoch, die Fehleranfälligkeit ebenso. CCH Tagetik hat hierfür das Modul Account Reconciliation entwickelt. Mit dieser fertig einsetzbaren Lösung lassen sich die manuellen Vorgänge bei der Kontenabstimmung schnell und effizient automatisieren.
ESG-Reporting als neue Herausforderung
BC: Daran anschließend: Was sind, aus Ihrer Projekterfahrung, typische Schwierigkeiten, welche Klippen gilt es zu umschiffen?
Zeiner: Ein großes Thema und eine große Herausforderung sind oftmals die Daten. Leider nützen auch die besten Algorithmen wenig, wenn die Menge der verfügbaren Daten zu gering oder die Datenqualität zu niedrig ist. Gerade bei KI-Projekten wird oft deutlich, dass große Datenmengen benötigt werden, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen. Anderenfalls kann es beispielsweise passieren, dass der Korridor, den das System errechnet, so breit wird, dass die Ergebnisse keinen wirklichen Mehrwert für die Controlling-Abteilung bieten. Ein erfolgskritischer und häufig unterschätzter Faktor ist zudem auch der jeweilige Implementierungspartner. Setzt dieser kritiklos um, was der Kunde wünscht? Oder bringt er sein Fachwissen ein und gibt – falls notwendig – dem Kunden inhaltlich auch mal kontra? Die langfristig erfolgreicheren Projekte sind klar die letztgenannten.
Ein weiterer Aspekt, der derzeit viele Unternehmen beschäftigt, ist das Thema Nachhaltigkeit/ESG. An Compliance und ESG-Reporting kommt praktisch niemand mehr vorbei. Oft ist es aber schwierig, die Daten zu sammeln, zu validieren und in entsprechende Berichte zu fassen. Speziell für diese Herausforderung haben wir mit CCH Tagetik ESG & Sustainability eine neue Lösung zur Abdeckung der ESG-Reporting-Anforderungen entwickelt, wo es nicht nur um die Darstellung der Vergangenheit, sondern auch um bewusste Zukunftsentscheidungen aus Sicht von ökologischer und kommerzieller Nachhaltigkeit geht.
BC: Gibt es aktuell auch Einflussfaktoren von außen, die sich spürbar auf Accounting- und Controlling-Systeme auswirken? Und wie kann damit umgegangen werden?
Zeiner: Wir erleben in Projekten immer wieder, dass sich Konzerne gerade in einer SAP-Umstellung befinden. Beispielsweise nutzen einige Tochtergesellschaften dann noch etwas ältere Systeme, während die Zentrale bereits auf S/4HANA umgestiegen ist. Wir haben hier bereits einige erfolgreiche Referenzprojekte durchgeführt. CCH Tagetik kann in diesem Szenario gewissermaßen als Hafen für die Fachabteilungen Accounting und Controlling fungieren, während IT-seitig die Systeme modernisiert werden. Die Anbindung der neuen Datenquellen lässt sich dann relativ schnell durchführen ohne dass der Nutzer der CCH Tagetik-Plattform im Finanzbereich gestört wird.
BC: Corona hat viele vorhandene Entwicklungen beschleunigt, was ist in der Konsolidierung möglichgeworden, an das im Frühjahr 2020 noch niemand gedacht hätte?
Zeiner: Wir erleben generell eine zunehmend steigende Bereitschaft zum Einsatz von Cloud-Lösungen auch in kritischen Bereichen. Remote-Arbeit ist während der Pandemie vielfach zum Standard geworden. Vor Corona wurde oft mit Sicherheitsbedenken argumentiert, doch sind diese jetzt vielfach ausgeräumt. Bei näherer Betrachtung hat sich gezeigt, dass die Cloud wesentlich sicherer ist als viele On-Premises-Infrastrukturen. In unserer CCH Tagetik-Cloud wird täglich gesichert und geprüft ob das Backup zurückgespielt werden kann. Nur wenige IT-Abteilungen machen dies so konsequent. Gleichzeitig rücken die Vorteile in den Vordergrund, etwa dass sich die Fachabteilungen komplett auf ihren Bereich konzentrieren können, während Dritte den Betrieb der Technik gewährleisten.
BC: Und ein Blick in die Zukunft: Wie könnte eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz aussehen?
Zeiner: Großes Potenzial sehen wir dann, wenn man ganzheitlich über die reine Finanzplanung hinausdenkt und auch weitere Bereiche der Unternehmen einbezieht. Ein Beispiel ist das Zusammenspiel zwischen Produktionsplanung, Finanzplanung und dem Einkauf. Für optimale Ergebnisse müssen Vertrieb und Produktion in der Lage sein, abteilungsübergreifen in enger Abstimmung zu arbeiten und zu planen. Auch hier kann KI sinnvoll zum Einsatz kommen und wir decken diesen Bereich in durchaus einzigartiger Weise mit unserer Lösung für das Supply Chain Planning ab.
BC: Sehr geehrter Herr Zeiner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
DI Gerald Zeiner, Countrymanager, Tagetik Austria GmbH: Nach dem Abschluß als Wirtschaftsingenieur an der TU Wien war Gerald Zeiner in den 90-er Jahren maßgeblich an der Entwicklung von CRM-Systemen in zahlreichen Projekten involviert. Seit 2001 war er leitend mit der Einführung von Finance Analytics-Lösungen namhafter Hersteller betraut und führte Projekte in vertrieblicher Verantwortung aber auch als Projektleiter und Risikomanager zum Erfolg. Im Oktober 2016 übernahm Gerald Zeiner als Countrymanager die Aktivitäten von Tagetik Austria GmbH. Durch seine Tätigkeit mit den Schwerpunkten Vertrieb, Kundenbetreuung, Business Development und Partner Management konnte die Präsenz von CCH Tagetik am österreichischen Markt sowohl hinsichtlich Anzahl der Kunden und Partner als auch Lösungsspektrum signifikant ausgebaut werden.
Zu unserem Bereich „Finanzen, Controlling und Rechnungswesen“