Machine Learning im Risk Management
Wer derzeit von Utopien und Zukunftsvisionen spricht, kommt unweigerlich auf das Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz und die Frage, wie diese Entwicklungen die Welt verändern werden.
Auch Banken haben diesen Trend erkannt – man hat nur Probleme damit, diese Erkenntnis umzusetzen. Wurden die Banken vor vierzig Jahren zum Vorreiter der dritten industriellen Revolution (Computer), herrscht derzeit noch große Unsicherheit, wie man sich den neuen disruptiven Themen nähern soll. So fällt es den arrivierten Kreditinstituten immer schwerer, angesichts der weiter zunehmenden regulatorischen Hürden und des immensen Kostendrucks überhaupt Freiräume für Neuentwicklungen zu schaffen.
Fintechs - smart & fast
Demgegenüber tun sich Fintechs mit ihren schlanken und flexiblen Entscheidungsprozessen beim Ausprobieren neuer Ansätze leicht: Sie können Geschäftsmodelle sowie IT- und Prozesslandschaften von Grund auf dem aktuellsten Stand der Technik anpassen; vor allem aber ist das grundsätzliche Mindset in diesen Unternehmen eher „smart & fast“ anstatt „Stabilität seit Generationen“.
Neben den Fintechs sind es vor allem die großen, reichen, innovativen Internet-Konzerne, die den Banken Furcht einflößen: So haben Google und Apple ihre Bezahllösungen an den Start gebracht und PayPal schon vor Jahren gezeigt, dass man ein spezialisiertes Bankgeschäft betreiben kann, ohne Bank zu sein („Banking is necessary, banks are not“ – Bill Gates 1994). Diese Unternehmen können es sich leisten, Spiellabore anzulegen, in denen junge hippe Menschen ausprobieren können, was man mit den vielen verfügbaren Daten und neuen Technologien alles machen kann. Alphabet hat dafür das Unternehmen „X“ gegründet, das sich auf die Suche nach dem neuen „Moonshot“ machen soll.
Damit können Banken nicht konkurrieren. Das müssen sie auch nicht. Statt die Frage zu stellen „Was können wir denn Cooles mit den neuen Methoden und den Daten anfangen“, wäre eine interessante Eingangsfrage:
Bei der Lösung welcher Probleme können uns neue Methoden und Daten helfen?
AI im Risk Management
Als Beispiel für einen pragmatischen Umgang mit den neuen Ansätzen kann das aktuelle Projekt der RSU gelten. Dort konnte ein bestehendes Risikofrühwarnsystem („Risk Guard“) durch die Nutzung neuer Predictive Analytics Ansätze zur maschinellen Texterkennung fundamental weiterentwickelt und der Anwendungsbereich deutlich erweitert werden:
Dabei werden täglich rund 2.500 Wirtschafts- und Unternehmensnachrichten automatisiert nach Signalwörtern gescannt und zu einem Score umgerechnet, der das Risiko für eine Bonitätsverschlechterung einzelner Unternehmen abbildet.
Da bislang für das Risikomonitoring nur Finanzmarktdaten (Aktienkurse, CDS-Spreads) herangezogen wurden, fielen Unternehmen, die nicht börsennotiert sind und für die es diese Informationen somit nicht gibt, durch das Analyseraster. Diese Lücke konnte nun durch den Einsatz von machine Learning-Algorithmen geschlossen werden.
Was bringt die Zukunft?
Predictive Analytics, Big Data und Machine Learning sind die großen Buzzwords des letzten Jahres und werden es auch noch eine Zeit lang bleiben. Auch im Risikomanagement werden substanzielle Änderungen durch die neuen Technologien propagiert. Als mögliche Einsatzbereiche werden typischerweise Betrugserkennung und Kreditrisikomessung genannt. Bislang ist jedoch die Zahl der tatsächlich produktiv genutzten Modelle in den Kreditrisikoabteilungen der Banken sehr überschaubar. Machine Learning wird hier nicht zum Game Changer. Aber pragmatisch eingesetzt kann es das Instrumentarium der Risikomanager an vielen Stellen erweitern und ergänzen.
Über den Autor:
Dr. Thomas Reichsthaler ist Vortragender beim Banking Summit Vienna und seit 2008 verantwortlich für die Abteilung Marketing & Sales bei der RSU Rating Service Unit, wo er zuvor als Projektleiter für die Pflege und Weiterentwicklung mehrerer Ratingsystme verantwortlich war.