Schräglage oder Balance - Lessons Learned aus dem Ruderboot. Weltmeister Bernhard Sieber im Gespräch
Business Circle: Sehr geehrter Herr Sieber, anfangs eine Frage, die die sofort ins Auge springt: Warum “Flooozone“ mit dreifachem o?
Bernhard Sieber: Beim Rudern geht es darum, mit anderen einen gemeinsamen Rhythmus zu finden und so die Grundlage für gemeinsame Bestleistung zu gestalten. Der Weg dorthin führt über die Balance zwischen dem Einbringen des eigenen Rhythmus und der Annahme des fremden Rhythmus. Als Ergebnis entsteht der gemeinsame. Daher stehen die drei „O“ zunächst fürs Ich, Du und Wir. Werden diese ins Gleichgewicht gebracht, entsteht eine Zone des Flows im Team – die Flooozone. Übertragen stehen die „O“ zum Beispiel auch dafür, dass Führen immer auch bedeutet, geführt zu werden und dass Unterschiede ein gemeinsames Ganzes bilden.
BC: Wie haben Sie persönlich den Übergang vom Spitzensport ins Wirtschaftsleben empfunden und welche Herausforderungen mussten Sie überwinden?
Sieber: Der Übergang vom Spitzensport ins Wirtschaftsleben war für mich eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich hatte schon immer eine Faszination dafür gemeinsam mit anderen etwas zu gestalten und zu erreichen. Parallel zum Sport teilte ich diese Begeisterung nicht nur mit Kollegen, sondern auch als Coach und Trainer mit Teams und Personen aus Unternehmen. Nach einigen großen Erfolgen, aber auch überwundenen Tiefpunkten in meiner sportlichen Karriere, zwang mich der Lockdown dann zur Reflexion: Was ist mir eigentlich wirklich wichtig? Ich erkannte, dass die Rolle des Sportlers nicht mehr die richtige war. Was dann begann war die größte Transformation meines Lebens. Besonders herausfordernd war dabei das Loslassen des Glaubens, ich müsse noch etwas leisten. Heute weiß ich, dass Kopf und Herz im Einklang sein müssen, um wirklich in den Flow zu kommen und Bestleistung zu erreichen.
Echtes, gleichwertiges Miteinander mit klar definierten, unterschiedlichen Rollen und Aufgaben
BC: In Ihrer Arbeit als Organisationsentwickler, Coach und Berater haben Sie vermutlich meistens mit Führungskräften zu tun. Auf der Success werden Sie vor einem Publikum aus dem Bereich Office Management und Assistenz sprechen, welche speziellen Tipps haben Sie da? Oder, anders gefragt: How to manage your boss?
Sieber: Wie so oft dreht sich alles um die Haltung. Einen gemeinsamen Rhythmus finden und Flow zu erleben, ist ein Wechselspiel von führen und geführt werden. Es geht darum, den eigenen Teil beizutragen und gleichzeitig den der anderen wahrzunehmen. Führung, also das Gestalten des Miteinanders, ist eine Aufgabe jedes Einzelnen im Team. Entscheidend ist es, ein Umfeld zu schaffen, in dem jeder Bestleistung liefern kann. Unterschiedliche Stärken der Einzelnen, gepaart mit gemeinsamen Zielen, Werten und Normen, lassen im Zusammenspiel ein starkes Wir-Gefühl entstehen. Doch unterschiedliche Be-Wertungen von verschiedenen Positionen machen dies oft schwierig. Egal ob Chef*in, Mitarbeiter*in oder Assistent*in: jeder hat eine Rolle zu erfüllen und müssen ihren Teil beitragen. Lässt nur einer nach, spürt das ganze Team die Auswirkungen. Mein Tipp: Echtes, gleichwertiges Miteinander mit klar definierten, unterschiedlichen Rollen und Aufgaben.
BC: Aus der anderen Perspektive: Ihre wichtigsten Ratschläge für Führungskräfte, die in ihrem Beruf ähnliche Spitzenleistungen wie Sie im Rudern erreichen wollen? Sieber: Perspektivenwechsel. Oft ist es schlicht und ergreifend das bewusste Verlassen der eigenen Rolle und das Einnehmen einer anderen Position. Es schafft gegenseitiges Verständnis und hilft dabei, Rhythmen Einzelner wahrzunehmen und diese in einen harmonischen Rhythmus zu verwandeln. Denn wer nur seinem eigenen Rhythmus folgt, gerät bei Hindernissen schnell aus dem Takt. Um Teamflow zu kreieren, muss zwar jeder der eigenen Intuition, aber auch demselben Rhythmus folgen. Wenn das gelingt, kommt man mit halber Kraft doppelt so schnell ans Ziel und setzt bisher ungenutzte Potenziale frei.
BC: Wo liegt für Sie die goldene Mitte zwischen Abgrenzung und Selbstaufgabe?
Sieber: Im eigenen Rhythmus zu sein, bedeutet noch lange nicht, auch mit anderen zusammen ein harmonisches Gesamtbild zu erzeugen. Oft bringt mein eigener Rhythmus andere aus ihrem Rhythmus - und vice versa. Jeder, der schon mal im Tanzkurs davon überzeugt war, die Schritte zu beherrschen und dann vom Partner enttäuscht wurde, weiß was damit gemeint ist. Gemeinsam in den Flow zu kommen, bedeutet daher ein Training der Balance zwischen Abgrenzung und Selbstaufgabe. Bis aus zwei individuellen Rhythmen ein gemeinsamer gefunden wird. Bis zum Ich und Du, ein Wir hinzukommt. Übung macht dem Meister, oder besser der Meister macht die Übung - im Sport und im Business.
BC: Eine Angestellte in einem großen Konzern hat womöglich für ihre berufliche Tätigkeit eine ganz andere Motivationsstruktur (pünktliches Gehalt, keine Überstunden, keinen negativen Stress) als ein Spitzensportler in der Wettbewerbsvorbereitung. Welche Lessons Learned aus dem Ruderboot kann man trotzdem anwenden?
Sieber: Im Ruderboot ist ein gemeinsames Verständnis der Ziele unerlässlich: Wo wollen wir hin, und wie erreichen wir das? Je klarer das kommuniziert wird, desto eher macht das gemeinsame Arbeiten auch wirklich Spaß, Sinn und wird wirkungsvoll – worin auch immer die beabsichtigte Wirkung besteht. Es ist entscheidend, bewusst zu hinterfragen, was es bedeutet, im selben Boot zu sitzen. Die Wirkung jeder einzelnen Anweisung zu erkennen und ein gemeinsames Verständnis für die Aufgaben und Ziele zu entwickeln. Durch einen gemeinsamen Rhythmus, enge Zusammenarbeit und gemeinsame Werte gelangen wir in einen Flow-Zustand, der es ermöglicht, das volle Potenzial auszuschöpfen. Daher ist es so wichtig, das Bewusstsein für Teamdynamik zu schulen – sowohl im Boot als auch im Unternehmen.
BC: Abschließend: Welche Weiterbildungen, welchen Sport, welchen Ausgleich empfehlen Sie, um die Work-Life-Balance gut in den Griff zu bekommen?
Sieber: Ich wünsche jedem, Zeit und Tätigkeiten zu finden, die eine tiefe Verbindung zu sich selbst und dem, was jeder als sein größeres Ganzes sieht, spürbar machen. Bei mir ist das z.B. Lesen oder auch im Wald spazieren. Manchmal auch einfach nur draußen sitzen und Natur wahrnehmen – die hat nämlich meist Antworten auf die Fragen des Lebens parat, auch wenn Life und Work mal außer Balance geraten.
Bernhard Sieber, BSc., MBA ist Gründer von Flooozone und Partner von Doujak Corporate Development. Er zählt zu den erfolgreichsten österreichischen Ruderern der letzten 20 Jahre und war Weltmeister und Olympia-Athlet. Neben seiner aktiven Laufbahn absolvierte er einen MBA, sowie Ausbildungen zum psychologischen Berater und in der systemischen Organisationsentwicklung. Die Kombination aus Erfahrung und Wissen stellt er jetzt als Coach und Berater zur Verfügung. Auf der Success hält er am 23. September 2024 eine Keynote zum Thema „Ich, Du und Wir – Schräglage oder Balance?“