• Das internationale Steuerrecht im Umbruch

Im Rahmen des 10. TAX Circle am 20. / 21. Juni 2024 in Waidhofen an der Ybbs werden Frau Dr. Sabine Schmidjell-Dommes, Leiterin der internationalen Steuerabteilung im BMF und Prof. Dr. Stefan Bendlinger, Senior Partner der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH einen Blick über die aktuelle und zu erwartende steuerliche Legistik der Europäischen Union werfen.

Datenklau als Auslöser international akkordierter Maßnahmen gegen die Steuerflucht

Bis zum öffentlichen Bekanntwerden der Steuervermeidungsstrategien internationaler Konzerne Anfang der 2000er Jahre und den im Zuge der Datenklau-Affären wie „Offshore-Leaks“ (2013) „Lux-Leaks“ (2014), den „Panama Papers“ (2016) aufgedeckten Verschiebung von Einkünften in „Tax Havens“ hatten sich OECD und die EU darauf beschränkt, dafür zu sorgen, bei grenzüberschreitender Tätigkeit Doppelbesteuerung zu vermeiden. Beispiele dafür sind die Mutter-Tochter-Richtlinie 2011/96/EU v. 30.11.2011, die sicherstellt, dass die in einem Konzern erwirtschafteten Gewinne nur einmal besteuert werden, die Zinsen und Lizenzgebühren-Richtlinie 2003/49/EG des Rates, die solche Zahlungen, die zwischen verbundenen Unternehmen fließen, von Quellensteuern befreit, oder die Fusionsrichtlinie 2009/133/EG die bezweckt, Hindernisse bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen, an denen in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen beteiligt sind, zu beseitigen. Außerdem haben die Mitgliedstaten am 23.7.1990 ein zwischenstaatliches Schiedsübereinkommen geschlossen, das ein Streitbeilegungsverfahren zur Lösung von Verrechnungspreiskonflikten vorsieht. Im Zuge der regelmäßigen Updates des OECD-Musterabkommens wurde die Kommentierung ergänzt und es wurden Klarstellungen vorgenommen, um bilaterale Konflikte bei der DBA-Anwendung in Grenzen zu halten.Die OECD bzw das aus mehr als 140 Staaten bestehende „Inclusive Framework on BEPS“ hat im Oktober 2015 auf das Problem des „profit shifting“ reagiert und in insgesamt 15 Empfehlungen die Staaten dazu aufgefordert, im ihrem nationalen Steuerrecht und in ihren Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Maßnahmen vorzusehen, die ein Aushöhlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und Gewinnverlagerungen verhindern sollen („Base Erosion and Profit Shifting“, kurz „BEPS“).

Einfluss von OECD und EU auf das Unternehmenssteuerrecht

Die EU hat kurz darauf mit der Richtlinie (EU) 2016/1164 vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (ATAD I) reagiert. Darin wurden die Mitgliedstaaten unter anderem dazu aufgefordert den Abzug von Fremdkapitalkosten durch eine Zinsschranke zu begrenzen, eine Wegzugsbesteuerung vorzusehen, in ihr Steuerrecht eine allgemeine Missbrauchsvorschrift aufzunehmen, eine Hinzurechnungsbesteuerung einzuführen und das Entstehen „weißer Einkünfte“ in Zusammenhang mit hybriden Gestaltungen innerhalb der EU und auf Grundlage der Richtlinie 2016/1164 v. 29.5.2017 auch im Verhältnis zu Drittländern (ATAD II) zu beseitigen.

Die auf das Abkommensrecht bezogenen BEPS-Vorschläge wurden von der OECD in ein mehrseitiges Übereinkommen vom 16.5.2017 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung gegossen (Multilaterales Instrument, MLI). Idee dahinter war, dass damit – ohne dass es zeitraubender DBA-Verhandlungen bedarf – international eine große Anzahl von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) „uno acto“ um bestimmte Maßnahmen zur Verhinderung von Gewinnverkürzung und -verlagerung ergänzt werden sollten. Allerdings war es den Staaten überlassen, jene DBA-Vertragsstaaten zu wählen, deren DBA durch das MLI angepasst werden sollten und konnten eine Auswahl treffen, welche der im MLI vorgeschlagenen abkommensrechtlichen Neureglungen sie tatsächlich übernehmen. Die im MLI enthaltenen Regelungen sollen DBA missbrauchsresistenter machen, zB durch bilaterale Regelungen zur Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstättenstatus, Bestimmungen gegen Abkommensmissbrauch, „Limitation of Benefits-Klauseln“, sowie der Klarstellung in Titel und Präambel eines DBA, dass dieses nicht nur Doppelbesteuerung vermeiden soll, sondern auch Möglichkeiten zur Nicht- oder Niedrigbesteuerung durch Steuerverkürzung oder -umgehung unter missbräuchlicher Nutzung des DBA zu verhindern.

Auf EU-Ebene haben die steuerlichen Maßnahmen der Kommission durch die Verabschiedung der Richtlinie (EU) 2022/2523 vom 14.12-2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Grundlage dafür waren die vorangegangenen jahrelangen Arbeiten der OECD zu „Pillar II“.

Weitere Richtlinienprojekte harren ihrer Umsetzung. Der Richtlinienentwurf vom 22.12.2022 [COM(2021) 565 final] zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke („Unshell Directive“) soll substanzlose Gesellschaften die sich aus EU-Richtlinien und DBA ergebenden Vorteil versagen. Der Vorschlag vom 11.5.2022 [COM(2022) 216 final] einer Richtlinie zur Festlegung von Vorschriften für einen Freibetrag zur Reduzierung der steuerlichen Begünstigung von Fremd- gegenüber Eigenkapitalfinanzierungen und für die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinsen für Körperschaftsteuerzwecke sollte den Abzug fiktiver Zinsen auf neu zugeführtes Eigenkapital ermöglichen und gleichzeitig den Abzug von Zinsen für Fremdkapital zusätzlich begrenzen. Allerdings wurde vom ECOFIN im Dezember 2022 der Richtlinienvorschlag vorerst zurückgestellt.

Am 12.9.2023 hat die Kommission ein „Dreierpaket“ an Richtlinienvorschlägen präsentiert. Der erste Vorschlag COM(2023) 532 final ist jener einer Richtlinie zur Schaffung eines Rahmens für die Unternehmensbesteuerung in Europa („Business in Europe: Framework for Income Taxation“ kurz „BEFIT“), welche die mittlerweile zurückgenommenen Richtlinienentwürfe aus 2011 und 2016 zur Schaffung einer “Common Consolidated Corporate Tax Base” (CCCTB) ersetzen soll. Gewinne und Verluste einer Unternehmensgruppe sollen nach einer EU-weit einheitlichen Bemessungsrundlage ermittelt werden und auf Basis einer Formel auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Der zweite Vorschlag COM(2023) 528 final soll es Kleinstunternehmen, kleineren und mittleren Unternehmen, die in der EU durch Betriebsstätten tätig sind ermöglichen, die Betriebsstättenergebnisse nach den Gewinnermittlungsvorschriften des Stammhausstaates zu berechnen und Steuerklärungen für alle Betriebsstätten nur in ihrem Ansässigkeitsstaat abgeben zu müssen. Der dritte Entwurf COMM(2023) 529 final soll – in Anlehnung an die OECD-Verrechnungspreisleitlinien – unionsweit einheitliche Grundsätze der Verrechnungspreisstimmung einführen.

Auch der internationale Informationsaustausch über die vom Steuerpflichtigen vorab zu meldenden steuerrelevanten Sachverhalte wird durch die kontinuierliche Ergänzung der EU-Amtshilferichtlinie 2011/16/EU („Directive on Administrative Cooperation, kurz „DAC“) ständig erweitert. Zuletzt durch die Richtlinie EU 2023/2226 (DAC 8), die ab 2026 die Mitgliedstaaten zum automatischen Informationsaustausch über Krypto-Assets und grenzüberschreitende Steuervorbescheide für wohlhabende Personen verpflichtet sowie zum Austausch von Informationen über Dividenden von Unternehmen, deren Anteile nicht in einem Bankdepot verwahrt werden und andere Einkünfte. DAC 9 wird den automatischen Informationsaustausch der im Rahmen der Mindestbesteuerung einzureichenden „Globe Information Returns“ regeln.

Droht eine Versteinerung des Steuerrechts?

Die Rechtssetzung auf EU-Ebene durch die Vorgabe der in nationales Steuerrecht zu transformierenden Richtlinien hat eine nie dagewesene Dynamik gewonnen. Hatten sich die Finanzverwaltungen in der Vergangenheit überwiegend nur mit nationalem – in Österreich ohnehin gut ausgeprägtem und wohl auch weiterhin dem Rechtsbestand angehörendem Missbrauchsabwehrrecht auseinanderzusetzen – ergreift die EU zunehmend Maßnahmen, die den Unternehmer in seinen Steuerplanungs- und Gestaltungsmöglichkeiten beschränken, „schädlichen“ Steuerwettbewerb begrenzen und Lockrufe von Niedrigsteuerländern verstummen lassen sollen. EU-Richtlinien haben aber zur Konsequenz, dass nationale Steuerpolitik nur bedingt auf politische und wirtschaftliche Entwicklungen eigenständig reagieren kann. Im Übrigen mangelt es an Leitlinien zur Anwendung und Auslegung der in das österreichische Steuerrecht übernommenen EU-Richtlinien, weil die Auslegungshoheit von Richtlinien letztlich beim EuGH liegt und außer den Erwägungsgründen zu Rechtsakten der EU keine rechtsverbindlichen Kommentare zur Verfügung stehen. Durch die zwingend umzusetzenden Richtlinien blockieren sich die Mitgliedstaaten der EU und die EU selbst, wenn es darum geht, durch steuerpolitisch notwendige Anpassungen mit außereuropäischen Konkurrenten in- und außerhalb Europas mithalten zu können. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Versteinerung des Steuerrechts durch starre und aufgrund des Einstimmigkeitsprinzip nur in einem trägen Prozess anpassbaren Richtlinien in Grenzen halten wird und einer Anpassung an nicht absehbare Entwicklungen der Weltwirtschaft nicht im Wege steht.

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