Legal Innovation mit Compliance verschmelzen – Interview mit Stefanie Thuiner, MYFLeXBoX Austria
Business Circle: Sehr geehrte Frau Mag. Thuiner, Sie sind General Counsel bei MYFLEXBOX, können Sie uns kurz Ihren Weg beschreiben, der Sie dorthin geführt hat?
Stefanie Thuiner: Nach dem Studium startete ich als Konzipientin in einer renommierten Wirtschaftskanzlei, bevor ich in die Unternehmenswelt wechselte. Meine Karriere als In-House-Juristin führte mich durch unterschiedliche Branchen und Unternehmensgrößen, von mittelständischen Betrieben bis hin zum Weltkonzern Red Bull. Seit nunmehr zwei Jahren baue ich die Rechtsabteilung der myflexbox, ein österreichsiches Logistik-Startup, mit einem EUR 75 Mio. Investment auf.
BC: Vor kurzem ist Ihr „Praxishandbuch Rechtsabteilung“ erschienen. Glückwunsch dazu! Warum wollten Sie ein Buch schreiben und warum genau dieses?
Thuiner: Vielen Dank! Die Idee, ein Buch zu schreiben, entstand aus meiner praktischen Erfahrung und der Beobachtung, dass viele Rechtsabteilungen mit ähnlichen Herausforderungen kämpfen: einer Flut von Anfragen, begrenzten Ressourcen und steigenden Erwartungen. Mein Ziel war es, eine praxisnahe Orientierungshilfe zu schaffen, die zeigt, wie Rechtsabteilungen effizienter und moderner arbeiten können. Das Buch richtet sich an In-House-Juristen, die ihre Rechtsabteilungen transformieren möchten – sei es durch den Einsatz von Legal Tech, die Einführung von Self-Service-Lösungen oder die Standardisierung und Automatisierung von wiederkehrenden Prozessen. Ich möchte zeigen, dass eine moderne Rechtsabteilung nicht nur reaktiv arbeitet, sondern proaktiv das Business unterstützt, Prozesse optimiert und durch innovative Ansätze wie Design Thinking oder Gamification echten Mehrwert schafft.
Besonders wichtig war mir, dass die Inhalte praxisnah und leicht umsetzbar sind. Viele Unternehmen scheuen sich vor Veränderungen, weil sie denken, dass diese teuer oder kompliziert sind. Mein Buch soll zeigen, dass auch kleine Schritte große Effekte erzielen können. Zudem möchte ich Kolleg:innen ermutigen, über den juristischen Tellerrand hinauszudenken und ihre Rolle als Business-Partner im Unternehmen aktiv zu gestalten. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit, mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben, um anderen zu helfen, die Herausforderungen der digitalen Transformation und steigender Anforderungen erfolgreich zu meistern.
BC: Das Unternehmen, für das Sie arbeiten kann man ja noch als Start-Up bezeichnen. Werden Sie manchmal mit dem Vorwurf konfrontiert, dass Legal & Compliance Innovationsbremsen seien und wie sehen Sie Ihre Rolle als Enabler für Innovationen im Unternehmen?
Thuiner: Tatsächlich begegnet mir dieses Vorurteil immer wieder. Ich sehe die Rechtsabteilung jedoch als Sparringspartner des Unternehmens, der nicht nur rechtliche Sicherheit bietet, sondern auch kreative Lösungen findet, um Innovation zu ermöglichen. Proaktivität, Verständnis für das Business und eine lösungsorientierte Herangehensweise sind für mich zentrale Elemente, um diese Rolle auszufüllen.
BC: Welche Schritte haben Sie in Ihrem Unternehmen bereits unternommen, um eine AI-Governance Struktur zu etablieren?
Thuiner: Wir haben zunächst eine umfassende Analyse durchgeführt, um die Einsatzmöglichkeiten von KI im Unternehmen zu bewerten und potenzielle Risiken zu identifizieren. Dabei war es uns wichtig, klare Prozesse zur Risikobewertung zu definieren und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Ein zentrales Element unserer Strategie ist die Sensibilisierung der Mitarbeitenden. Durch gezielte Awareness-Schulungen klären wir über Themen wie Datenschutz, ethische Fragestellungen und Haftungsrisiken auf. Die Schulungen sind darauf ausgerichtet, nicht nur Risiken zu minimieren, sondern auch das Potenzial von KI für unsere Geschäftsprozesse voll auszuschöpfen.
Im Zweifel für Innovation, wenn die rechtlichen Risiken kalkulierbar sind
BC: Wie stellen Sie sicher, dass das Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt und rechtlicher Sicherheit nicht zu Lasten eines der beiden geht? Und wofür würden Sie sich im Zweifel entscheiden?
Thuiner: Das Spannungsfeld zwischen technologischem Fortschritt und rechtlicher Sicherheit ist eine der zentralen Herausforderungen moderner Rechtsberatung. Eine wichtige Erkenntnis dabei ist: Absolute Rechtssicherheit ist nicht nur schwer zu erreichen, sondern in der Praxis auch nicht immer erstrebenswert. Warum? Weil ein Unternehmen, das ausschließlich auf rechtliche Absicherung fokussiert ist, Gefahr läuft, in einem dynamischen Marktumfeld an Innovationskraft zu verlieren. Stattdessen setze ich auf eine ausgewogene Risikoabwägung. Meine Herangehensweise basiert auf einer fundierten Analyse, um Risiken frühzeitig zu erkennen und gezielt zu steuern, ohne den technologischen Fortschritt zu behindern. Es geht nicht darum, jegliches Risiko zu eliminieren, sondern es auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, das im Einklang mit den strategischen Zielen des Unternehmens steht. Im Zweifel entscheide ich mich für Innovation, wenn die Risiken kalkulierbar sind und das Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil durch die neue Technologie erzielt. Rechtliche Sicherheit sollte in einem unternehmerischen Kontext kein Selbstzweck sein, sondern ein Mittel, um nachhaltiges Wachstum und Fortschritt zu unterstützen.
BC: In Ihrem letzten Beitrag für unseren Business Blog haben Sie Ihr erstes Jahr Aktivität in sozialen Medien analysiert. Hilft Ihnen der Online-Austausch, Ihre Aufgabe als one-woman-show-Legal-Counsel zu meistern?
Thuiner: Absolut, mittlerweile ist die One-Woman-Show zwar Geschichte, trotzdem spielt der Austausch auf LinkedIn weiterhin eine wichtige Rolle in meiner Arbeit! LinkedIn hat mir geholfen, mich mit Kolleg:innen zu vernetzen und Ansätze für meine Arbeit kennenzulernen. Der Austausch ermöglicht es mir, Trends zu erkennen und von anderen zu lernen. Zudem hat meine Online-Präsenz mir viele Türen geöffnet, von Podcasts über Fachartikel bis hin zu Speaker-Auftritten. Es ist ein wichtiger Teil meines Berufsalltags geworden.
BC: Sie waren im Herbst 2024 Vortragende bei der RuSt NEXTGen – möchten Sie Ihren Eindruck von dieser Konferenz mit uns teilen?
Thuiner: Die RuSt NEXTGen 2024 war sehr gut besucht und bot jungen Entscheidungsträger:innen der Rechtsbranche eine einzigartige Gelegenheit zum Austausch und zur Vernetzung. Als Plattform für Inhouse-Jurist:innen, Rechtsanwält:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen unter 38 Jahren ermöglichte die Konferenz, aktuelle Trends und Herausforderungen gemeinsam zu diskutieren. Ich hatte die Ehre, die Keynote zum Thema „Digitale Sichtbarkeit als Karrierebooster“ zu halten. Dabei ging es nicht nur um die Vorteile einer gezielten Online-Präsenz, wie beispielsweise die Stärkung der persönlichen Marke, das Knüpfen relevanter Kontakte oder die Sichtbarkeit bei potenziellen Arbeitgebern und Kooperationspartnern. Ein zentraler Punkt war auch die Reflexion über negative Glaubenssätze, die viele davon abhalten, sich sichtbar zu machen. Die RuSt NEXTGen 2024 hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig der Austausch zwischen jungen Jurist:innen ist, um gemeinsam die Zukunft der Branche zu gestalten. Die Veranstaltung bot nicht nur fachlichen Input, sondern auch die Möglichkeit, wertvolle Kontakte zu knüpfen und sich über Best Practices auszutauschen.
Ich freue mich bereits auf die Vienna Legal Innovation und auf die nächste Ausgabe der RuSt NEXTGen am 16. Oktober 2025 in Loipersdorf, die sicherlich erneut spannende Diskussionen und wertvolle Netzwerkmöglichkeiten bieten wird.
BC: Liebe Frau Mag. Thuiner, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns auf Ihren nächsten Auftritt bei uns!
Mag. Stefanie Thuiner hat langjährige Erfahrung als Unternehmensjuristin in nationalen und internationalen Unternehmen als auch in einer renommierten Wirtschaftskanzlei. Aktuell leitet sie die Rechtsabteilung eines Logistik-Scale-ups und erprobt fortlaufend innovative Methoden zur Professionalisierung des Rechtsabteilungsservices durch digitale Transformation und operative Exzellenz. Darüber hinaus ist sie Autorin des 2024 erschienenen "Praxishandbuch Rechtsabteilung".