Wie funktioniert Sustainable Finance in der Praxis? Interview mit Felix Mayr, RLB Niederösterreich-Wien
Business Circle: Sehr geehrter Herr Mag. Mayr, eingangs etwas Persönliches: Was hat Sie bewogen, sich im Banking auf Sustainable Finance zu spezialisieren?
Felix Mayr: Ich konnte mich in meiner Funktion schon zu einem Zeitpunkt mit führenden europäischen Banken in Sachen Nachhaltigkeit austauschen, als dieses Thema in Österreich noch als reine regulatorische Bedrohung wahrgenommen wurde. Parallel wollten es einige meiner Mitarbeiter:innen aus dem Nachhaltigkeitsgedanken heraus vorantreiben. Zur gleichen Zeit ist auch der hohe Investitionsbedarf für die Transformation der österreichischen Wirtschaft von rund EUR 17 Mrd. p.a. bis 2030 vom Umweltbundesamt bekannt gegeben worden. In meiner Verantwortung für Produkt Management und Produkt Consulting & Sales stellte ich mir die Frage, welche Unterstützung unsere Kundinnen und Kunden dabei brauchen werden, aber auch welche Geschäftschancen die Veränderung der externen Rahmenbedingungen mit sich bringen könnte. Wir haben uns deshalb entschlossen, uns vertriebsseitig so aufzustellen, dass wir Unternehmen mit geeigneter Beratung, Produkten und Dienstleistungen durch die Phase der Transformation begleiten können.
BC: Wie stellt man sicher, dass Banken und Unternehmen Nachhaltigkeit aus Überzeugung und nicht nur aus Compliance-Gründen im Hinblick auf regulatorische Vorgaben verfolgt?
Mayr: Sie werden es schon oft gehört haben, doch es ist eine Tatsache: Die notwendige Transformation gelingt nur gemeinsam. Es braucht den Schulterschluss zwischen Unternehmen, Finanzinstituten und der Politik, um eine nachhaltige Wirtschaft zu schaffen. Die oft kritisierten regulatorischen Anforderungen dienen dabei als Katalysator. Wir sehen diese nicht als reine Verpflichtung, sondern als Chance, wichtige Themen anzustoßen und konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Raiffeisen NÖ-Wien sieht somit ESG als einen zentralen Baustein zur Zukunftssicherung – nicht nur für uns als Unternehmen, sondern für die gesamte Wirtschaft. Durch die konsequente Integration von ESG in unsere eigene Strategie und unsere Prozesse gehen wir als Bank voran und setzen um. Dabei geht es selbstverständlich nicht nur um Prozesse und Zahlen – es geht um Menschen. Die Transformation erfordert auch ein neues Mindset unserer Mitarbeiter:innen. Klare Kommunikation, Schulung, Veranstaltungen, Einbeziehung in Ziele und Strategien und ein Verständnis für den langfristigen Nutzen von ESG sind somit essenziell. Denn ESG ist nicht nur ein kurzfristiges Ziel, sondern eine Reise. Die Anpassung an regulatorische Vorgaben ist nur der Anfang. Ziel ist es, langfristig Stabilität und Nachhaltigkeit zu schaffen. Und das geht nur gemeinsam, mit dem Mitwirken aller Beteiligten.
BC: Mittelständische Unternehmen haben oft Schwierigkeiten, die komplexen Anforderungen der EU-Regulatorik zu erfüllen. Welche Unterstützung bietet Ihre Bank für solche Unternehmen?
Mayr: KMU stehen in der Transformation vor besonderen Herausforderungen, da sie oft nicht auf die Personalressourcen zugreifen können wie Großunternehmen, aber doch betroffen sind, wenn sie etwa größere Unternehmen beliefern. Wir wissen: KMUs sind das Rückgrat unserer Wirtschaft und wir versuchen unsere Kernaufgabe als Bank bestmöglich wahrzunehmen: Unternehmen in der Umsetzung von Investitionen zur Transformation ihrer Geschäftsmodelle und Erreichung ihrer ESG-Ziele bestmöglich zu begleiten. Dazu haben wir unsere Firmenkundenberater entsprechend ausgebildet und über 160 Personen an der FH der WKW in Sustainable Finance zertifiziert. Ergänzt werden sie durch eigene Sustainable Finance Spezialisten, die sich mit der Strukturierung von ESG-konformen Finanzierungen und den erforderlichen Nachweisen auskennen und über Fördermöglichkeiten informieren. Das Schöne ist, es gibt viele Verwendungszwecke, die sich für ESG-konforme Finanzierungen eignen UND ökonomisch sinnvoll sind. Das macht dann besonders Spaß, denn so entstehen auch ganz konkrete finanzielle Vorteile für die Unternehmen. Wir können aber auch bei der Realisierung von anderen Quick-wins in der Dekarbonisierung von Unternehmen unterstützen – in etwa mit AURI, unserem eigenen Ökostrom-Tarif. Oder über die Raiffeisen-Leasing, dem Pionier in der Finanzierung von e-Fahrzeugen im Lande, welcher über umfassende Expertise für einen mühelosen Umstieg auf nachhaltige Mobilität verfügt.
BC: Wie steuert Ihre Bank das Spannungsfeld zwischen Profitabilität und dem Einsatz für Nachhaltigkeit und welche Kennzahlen bzw. Messgrößen verwenden Sie?
Mayr: Das ist die Frage, mit der alle Marktteilnehmer im Moment kämpfen. Ein Patentrezept hat noch keiner. Wir hören oft von Unternehmen bei Kundenterminen oder bei Veranstaltungen, dass viele ihrer Kunden Nachhaltigkeit wollen, aber keiner bereit ist, nur einen Cent mehr zu bezahlen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Insofern ist dann doch die oftmals gescholtene Regulatorik notwendig, um die Motivation etwas zu verändern zu erhöhen. Im Kreditgeschäft haben wir im Prinzip zwei Stellhebel: 1) mehr vom „Gutem“ zu finanzieren und 2) weniger vom „Schlechten“ und so ist auch unsere Geschäftspolitik aufgebaut. Wir haben uns eine ESG-Positionierung gegeben, Branchen-Policies und ein Lending Framework entwickelt, die uns einen Rahmen geben. Zur Forcierung von ESG-konformen Finanzierungen nutzen wir eine Kombination aus Förderungen und geeigneter externer Refinanzierungsquellen wie die Programme der Oesterreichischen Kontrollbank bzw. der Europäische Investitionsbank oder eben bankeigene taxonomie- bzw. RLB-ESG-konforme Finanzierungen. Wir tun dies, weil wir unsere Kunden bei Investitionen in Nachhaltigkeit begleiten wollen und uns ein zukunftsgerechteres Kreditportfolio aufbauen wollen. Zum Thema Daten: Daten sind das Fundament von ESG-Strategien. Ohne verlässliche und qualitativ hochwertige Daten können wir keine Fortschritte messen oder fundierte Entscheidungen treffen. Und gerade da sind wir Banken auf Unternehmen und auf deren Mitwirkung angewiesen. Nur auf Basis von differenzierten ESG-Daten können wir ESG-Scores und Ratings ableiten und so eine Steuerung auch innerhalb der jeweiligen Branche aufbauen.
Positives Mindset zu Nachhaltigkeit erhalten
BC: Als vergleichsweise kleines aber hochtechnologisches Land hat Österreich die Möglichkeit, nachhaltiges Wirtschaften schneller umzusetzen als größere Staaten. Wie kann man daraus einen Standort- und Wettbewerbsvorteil generieren?
Mayr: Wie wir der aktuellen Diskussion um den Wirtschaftsstandort entnehmen können, gibt es viele wichtige Empfehlungen an die Bundesregierung, was zum Erhalt der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes erforderlich wäre – und das betrifft definitiv nicht nur ESG. Wichtig ist mir, dass das positive Mindset im Land zu Nachhaltigkeit auch in den nächsten Jahren erhalten bleibt. Vor kurzem habe ich Vorstände von REWE, NÖM und Greiner auf einem ESG-Podium gehört. Der unternehmerische Mut, das Commitment und der Innovationsgeist stimmen mich hoffnungsvoll, dass wir nachhaltiges Wirtschaften im Land umsetzen, und unsere Technologie und Know-how wiederum in andere Länder exportieren können.
BC: Abschließend: Sie kennen den Sustainability Summit ja schon aus eigener Erfahrung, möchten Sie Ihren Eindruck von dieser Konferenz mit uns teilen?
Mayr: Ich habe bereits zwei Mal am Summit u.a. als Referent bzw. Diskussionsleiter teilgenommen. Es gibt zwar mittlerweile eine Vielzahl an ESG-Events, aber der Sustainability Summit hat sich bereits als Treffpunkt der ESG-Community etabliert. Ich finde es bemerkenswert, wie die Qualität der Vorträge und Diskussionen mit der Entwicklung des Themas gewachsen ist und freue mich schon auf März 2025.
BC: Sehr geehrter Herr Mag. Mayr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie wieder bei uns zu begrüßen!