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Wie wirken sich Home-Office und Digitalisierung auf Inklusion aus?

Von Prof. Dr. Stephan Böhm, Uni St. Gallen: Diversität ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Um erfolgreich zu sein, muss sie nicht nur geschaffen, sondern auch aktiv gestaltet werden. Wie wirken sich jetzt neue Arbeitsformen auf das Inklusionsempfinden des Teams aus?

Die Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz

Obwohl Menschen mit Behinderungen häufig sehr gut ausgebildet sind und wertvolle Arbeitskräfte für ein Unternehmen darstellen, herrschen weiterhin Vorurteile und eine Defizitperspektive beim Thema Behinderung am Arbeitsplatz vor. Die bevölkerungsrepräsentative Studie social health@work erlaubt einen detaillierten Einblick in die Arbeitsplatzsituation von Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Daten legen nahe, dass sich Mitarbeitende mit Behinderung am Arbeitsplatz weniger inkludiert fühlen als Mitarbeitende ohne Behinderung. Dies zeigt sich besonders stark bei Mitarbeitenden, die eine psychische Behinderung haben (z. B. Angststörung, Depression oder posttraumatische Belastungsstörung). Daneben wird auch Neurodiversität (das heißt, wenn das Gehirn einer Person Informationen anders verarbeitet, anders lernt und/oder diese Person sich anders verhält als das, was als typisch angesehen wird) zunehmend als eine wichtige Dimension der organisatorischen Vielfalt anerkannt. Sowohl Unternehmen als auch Wissenschaftler fordern eine aktive Eingliederung in die moderne Arbeitswelt, da die neurodiverse Bevölkerung überdurchschnittlich stark von Unterbeschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit betroffen ist. Die Zahlen zeigen deutlich, dass es nicht nur weiterer Maßnahmen bedarf, damit mehr Menschen mit Behinderungen eine Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt finden, sondern auch ein Klima von Inklusion am Arbeitsplatz gefördert werden muss, damit sich Menschen mit Behinderungen genauso inkludiert fühlen wie Menschen ohne Behinderungen.

Inklusion im Team messen und effektiv fördern

Das Verhalten von Führungskräften und Arbeitskollegen hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wie inkludiert sich Teammitglieder fühlen und ob Mitarbeitende mit Behinderung Inklusion im Team erleben. Es gibt eine Reihe von Dimensionen, in denen Inklusion betrachtet und gemessen werden kann.

  • Zugehörigkeit: Fördern Sie ein respektvolles Klima
    Wer von seinem Team respektvoll und wertschätzend behan delt wird, fühlt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zugehörig. Daher sollten Sie zu einem respektvollen Teamklima beitragen, indem Sie selbst in dieser Weise handeln.
  • Authentizität: Ermöglichen Sie Offenlegung
    Zeigen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, dass sie auch am Arbeitsplatz authentisch sein können. Dabei ist es wichtig zu bedenken, dass Diversität nicht immer offensichtlich ist. Im Fall von Menschen mit nicht sichtbaren Behinderungen ist Offenlegung sogar notwendig, um Arbeitsplatzanpassungen anbieten zu können. Achten Sie auf wertschätzende Kommunikation und bedanken Sie sich für das entgegengebrachte Vertrauen.
  • Die Chancengleichheit und potenzielle „Unconscious Bias“
    Jeder hat gewisse Vorurteile und ein Großteil davon ist unbewusst. Das kann dazu führen, dass Mitglieder bestimmter Gruppen bevorteilt und andere benachteiligt werden, ohne dass dies beabsichtigt ist. Eine häufige Angst von Menschen mit Behinderungen ist es, mit negativen Konsequenzen (z. B. geringere Aufstiegschancen) konfrontiert zu werden. Nehmen Sie sich explizit und regelmäßig Zeit, um unbewusste Einstellungen und Erwartungen bewusst machen und Ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen.
  • Perspektivenvielfalt: Schaffen Sie ein sicheres Umfeld
    Perspektivenvielfalt im Team braucht ein Umfeld, das Risikobereitschaft ermöglicht. Dafür muss darauf geachtet werden, ob das Sicherheitsgefühl im Team gefördert oder aber untergraben wird. Innovation entsteht aus neuartigen oder abweichenden Sichtweisen, die nicht durch (soziale) Bestrafung oder Demütigung durch die Gruppe eingeschränkt werden dürfen.

Inklusion in Zeiten von Digitalisierung und Flexibilisierung

Seit Corona ist Telearbeit und Home-Office zum neuen Megatrend geworden, heute sehen wir Diskussionen darüber, ob diese Flexibilität wieder eingeschränkt werden sollte. Derzeitz ist noch nicht abschließend erforscht, wie genau sich vermehrte Telearbeit auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit auswirkt. Das Team von Prof. Dr. Böhm hat sich aus Diversitäts- und Inklusionsperspektive mit dieser Frage beschäftigt. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass Telearbeit eine Herausforderung für Inklusion bedeuten kann. Menschen scheinen persönlichen Austausch zu brauchen, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Team aufzubauen oder aufrechtzuerhalten, und sei es nur informell im Aufzug oder an der Kaffeemaschine. Ein großer Teil der nonverbalen Kommunikation, die sonst dazu beitragen könnte, dass sich Mitarbeitende als Teil des Teams wertgeschätzt fühlen, geht in virtuellen Settings verloren. Es kann sich damit ein Teufelskreis ergeben: Häufigeres Telearbeiten kann dazu führen, dass Mitarbeitende sich weniger zugehörig fühlen, was sie wiederum dazu motiviert, noch häufiger Telearbeit zu nutzen. Während diese Ergebnisse unabhängig vom Geschlecht der Mitarbeitenden sind, zeigt sich bei der Inklusionsdimension Authentizität zeigt ein starker geschlechtsspezifischer Effekt. Während bei Männern Telearbeit nichts daran ändert, wie authentisch, also wie sie sie selbst sein können, verschiebt sich bei Frauen das Bild. Persönliche Interaktionen und spontane Begegnungen bieten mehr Möglichkeiten für authentisches Verhalten, von der Körpersprache bis hin zu den persönlichen Geschichten, die wir bei einer Begegnung in den Pausen erzählen. Wir brauchen weitere Studien, um herauszufinden, warum nur Frauen einen negativen Einfluss der Telearbeit auf ihre wahrgenommene Authentizität erleben. Vorerst sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Virtualität am Arbeitsplatz für die Inklusion von Frauen ein zweischneidiges Schwert sein kann. Damit Mitarbeitende das Gefühl haben, zum Team zu gehören und sich authentisch ausdrücken zu können, braucht es Möglichkeiten, sich untereinander kennenzulernen und sich auch über persönliche Dinge auszutauschen. Vermehrte Telearbeit führt dazu, dass es weniger Chancen für spontane Interaktionen und informelle Gespräche gibt.

Chancengleichheit: Achten Sie auf neue Hindernisse
Gerade wenn nur ein Teil des Teams häufig Telearbeit nutzt, kommen neue Herausforderungen für die Chancengleichheit auf. Reflektieren Sie daher bewusst, wie es um die Chancengleichheit in Ihrem Team steht. Bekommen Mitarbeitende, die häufig im Homeoffice sind, die gleichen Informationen wie Mitarbeitende vor Ort? Wie viel Aufmerksamkeit bekommen virtuelle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in hybriden Meetings? Gibt es andere Nachteile für Mitarbeitende, die Telearbeit nutzen? Wenn Sie sich mit solchen Fragen bewusst auseinandersetzten, können Sie unbewusste Ungleichbehandlung offenlegen und verändern.

Perspektivenvielfalt: Nutzen Sie, was Ihnen zur Verfügung steht
Wer Perspektivenvielfalt fördern und nutzen möchte, muss zum einen sicherstellen, dass alle Teammitglieder alle Informationen erhalten und dass alle ihre Perspektiven und Ideen einbringen können. Die Digitalisierung hat hierfür viele Werkzeuge zur Verfügung gestellt und diese gilt es zu nutzen. Bspw. helfen anonyme Abfragen in Meetings, um Entscheidungen nicht durch Gruppendenken zu verzerren, und eröffnen Möglichkeiten für anonymes Feedback. Geben Sie die Option, schriftlichen Input vor oder nach Meetings zu liefern, damit Mitarbeitende, die ungern in Meetings sprechen, ihre Gedanken mitteilen können. Nutzen Sie außerdem Funktionen wie die automatische Transkription, um Menschen, die schlecht oder nicht hören können sowie abwesenden Personen Informationen zugänglich zu machen.

die boehm 200

Prof. Dr. Stephan Böhm ist Professor für Diversity Management und Leadership und Direktor des Center for Disability and Integration an der Universität St. Gallen (CDI-HSG). Er studierte und promovierte an der Universität St. Gallen, der HEC Lausanne, der University of Stellenbosch sowie der Oxford University. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Mitarbeiterführung, des Personalmanagements sowie des Diversitäts- und Change-Managements. Insbesondere beschäftigt er sich mit den Themen der beruflichen Inklusion, der gesundheitsfokussierten Führung sowie des Managements des demographischen Wandels. Beim 1. Inclusive Business & DEI Excellence Summit am 3. Juni 2024 hält er die Eröffnungs-Keynote zum Thema „Inklusion verstehen, messen und gestalten“

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