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„How to pretend to be green“ - was steckt hinter unseren Klimaausreden? Interview mit Bastian Wittmann, Agrana

Ist Europa auf dem Holzweg? Bastian Wittmann, Group Energy & Emission Manager spricht offen über Hindernisse, Greenwashing-Fallen und darüber, warum echte Veränderung manchmal unbequem, aber immer lohnenswert ist.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Wittmann, als Group Energy & Emission Manager tragen Sie Verantwortung für den Weg Ihres Unternehmens zur Dekarbonisierung. Was hat Sie bewogen, sich in diese Richtung zu bewegen, nachdem Sie zuvor andere Positionen in der Holding innehatten?

Bastian Wittmann: Vielen Dank für die Frage. Für mich war der Wechsel in die Rolle des Group Energy & Emission Managers ein konsequenter Schritt. In meinen früheren Positionen – zum Beispiel im Bereich Produktion und Technik – hatte ich bereits intensiv mit Energieeffizienzprojekten (Entwurf Klimastrategie, ISO 50.001, etc.) und technischen Optimierungen (eigene PhD – noch im Abschluss befindend) zu tun. Dabei wurde mir schnell klar, wie groß der Hebel in diesem Bereich ist, nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch im Hinblick auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Die zunehmende Bedeutung von CO₂-Bilanzen, regulatorischen Anforderungen und das wachsende Bewusstsein in der Gesellschaft haben mir gezeigt, dass hier ein strategisch wichtiger Bereich entsteht, in dem ich mit meiner Erfahrung wirklich etwas bewegen kann. Die Rolle verbindet Überzeugung, technische Kompetenz, unternehmerisches Denken und Nachhaltigkeitsziele – das hat mich gereizt und motiviert, diesen Weg einzuschlagen.

BC: In der akademischen Diskussion klingt Dekarbonisierung oft wie ein logisch planbarer Transformationsprozess. Wie viel davon ist in der Realität Ihres Unternehmens tatsächlich umsetzbar – und wo kollidieren Theorie und Praxis?

Wittmann: Eine schwer zu beantwortende Frage. In der Theorie ist Dekarbonisierung häufig ein linearer, schrittweiser Prozess mit klaren Maßnahmen, Etappenzielen und Technologien. In der Praxis sieht das oft anders aus – hier treffen ambitionierte Ziele auf komplexe Rahmenbedingungen. Ein gutes Beispiel ist die Verfügbarkeit von grüner Energie oder Wasserstoff. In vielen Regionen gibt es derzeit noch keine ausreichende Infrastruktur, um industrielle Prozesse kurzfristig zu defossilisieren – selbst wenn der Wille da ist und Investitionsmittel bereitstehen. Auch regulatorische Unsicherheiten (aktuell gültige Fassung GHG Protocol), etwa bei Förderprogrammen oder beim CO₂-Preis, erschweren langfristige Planung. Hinzu kommt: Technologisch ist vieles machbar, aber wirtschaftlich noch nicht darstellbar. Investitionen in klimafreundliche Prozesse müssen sich auch betriebswirtschaftlich rechnen, gerade in einem internationalen Wettbewerbsumfeld. Gleichzeitig erleben wir aber auch, wie viel möglich ist, wenn alle Bereiche im Unternehmen gemeinsam an einem Strang ziehen. Der Schlüssel liegt aus meiner Sicht darin, pragmatisch vorzugehen – also die langfristige Vision im Blick zu behalten, aber flexibel auf reale Gegebenheiten zu reagieren

BC: Wie gehen Sie intern mit dem Spannungsfeld zwischen echten Reduktionsmaßnahmen und dem Wunsch nach „gutem Look“ in der Berichterstattung um – gerade im Hinblick auf die CSRD?

Wittmann: Dieses Spannungsfeld ist definitiv real – und es gewinnt durch die CSRD und die damit verbundene Transparenzpflicht nochmal an Bedeutung und Komplexität. Der Wunsch, sich positiv darzustellen, ist nachvollziehbar. Gleichzeitig wird Greenwashing heute schneller entlarvt denn je – und kann dem Vertrauen in ein Unternehmen massiv schaden. Deshalb verfolgen wir einen klaren Grundsatz: Substanz vor Schein. Unsere Aufgabe ist es, intern für ein realistisches Verständnis von Nachhaltigkeit zu sorgen. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, dass echte Emissionsreduktion ein langfristiger, oft mühsamer Prozess ist – der nicht immer in schöne Jahreszahlen passt. Wir kommunizieren offen, was wir schon erreicht haben, wo wir gerade stehen und wo noch Herausforderungen liegen. Was wir vermeiden, ist das Aufbauschen von kleineren Maßnahmen oder das Rechnen mit "kreativen" Kompensationen, nur um besser dazustehen. Wir setzen auf nachvollziehbare Kennzahlen, robuste Daten und ein klares internes Verständnis dafür, dass gute Kommunikation mit glaubwürdiger Substanz beginnt – nicht mit Hochglanz-Versprechen.

Brückenbauer sein zwischen Technik und Strategie, zwischen Regulierung und Realität

BC: Was würden Sie anderen Nachhaltigkeitsverantwortlichen, vielleicht in Ihrem Publikum auf der Konferenz - mitgeben, die sich zwischen regulatorischem Druck, interner Trägheit und globalem Gegenwind zurechtfinden müssen?

Wittmann: Ich würde sagen: Bleiben Sie geduldig, aber beharrlich. Nachhaltigkeit in einem Unternehmen voranzutreiben heißt oft, zwischen vielen Fronten zu stehen – Regulatorik von außen, Zurückhaltung oder Skepsis von innen und internationaler Gegenwind obendrauf. Das kann frustrierend sein. Aber genau hier liegt auch die Chance, etwas wirklich Relevantes zu gestalten. Mir hat geholfen, kleine Erfolge sichtbar zu machen – sei es eine CO₂-Einsparung, ein genehmigter Förderantrag oder einfach ein Perspektivwechsel im Management. Wer Nachhaltigkeit mit Pragmatismus, technischem Verständnis und unternehmerischer Sprache verbindet, bekommt Gehör. Und wer den Wandel nicht als kurzfristiges Projekt, sondern als langfristige Entwicklung versteht, bleibt auch handlungsfähig, wenn es mal zäh wird. Mein wichtigster Rat wäre also: Verstehen Sie sich nicht nur als Umsetzer von Vorgaben, sondern als Brückenbauer – zwischen Technik und Strategie, zwischen Regulierung und Realität. Nachhaltigkeit ist kein „nice to have“ mehr – sondern zunehmend Teil der Wettbewerbsfähigkeit. Und genau darin liegt unsere Stärke.

BC: Sehr geehrter Herr Wittmann, wir danken Ihnen für diese inspirierenden Weinblicke und freuen, Sie bald live bei uns zu begrüßen!

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