Wie HR komplexe Herausforderungen bewältigt – Interview mit Jutta Perfahl-Strilka, PwC Österreich
Jutta Perfahl-Strilka ist Partnerin Geschäftsführung Workforce Transformation bei PwC Österreich, im Interview sprechen wir über die großen Herausforderungen des Jahres 2024 (KI, Rezession, Inflation, War for Talents…), wie HR dazu beitragen kann, diese zu bewältigen und welche Rolle die gelebte Unternehmenskultur dabei spielt.
Business Circle: Sehr geehrte Frau Mag. Perfahl-Strilka, Sie sind Partnerin Geschäftsführung Workforce Transformation bei PwC Östereich, möchten Sie eingangs kurz den Weg skizzieren, der Sie dorthin geführt hat?
Jutta Perfahl-Strilka: Natürlich, ich habe über 20 Jahre lang eng mit den Personalabteilungen und Geschäftsführungen zusammengearbeitet, davon 10 Jahre in leitender Funktion. Mir liegt besonders am Herzen, dass die Geschäftsführung erkennt, akzeptierrt und danach handelt, dass die Leistung der Mitarbeitende und deren Führung die Performance des Unternehmens maßgeblich beeinflussen. Für mich sind Themen wie Entwicklungspläne, Employer Branding, Equal Pay, KPI-Sets usw. genauso wichtig wie ein langfristiger Finanzplan. Mein Ziel ist es, einen Beitrag dazu zu leisten, HR auf das C-Level zu heben.
BC: Künstliche Intelligenz, unklare wirtschaftliche Aussichten, Inflation, War for Talents….Was ist in ihren Augen im kommenden Jahr die größte Herausforderung für das HR-Management und warum?
Perfahl-Strilka: Die größten Challenges sind die (A) Integration von KI im Berufsalltag, (B) der Fachkräftemangel und die daraus resultierende (C) Neuverhandlung von Arbeitsleistung.
(A) Integration von KI erfordert einen konkreten Mentalitätswechsel hin zu Flexibilität, Offenheit und Lernbereitschaft, damit alle Mitarbeitende in Organisationen für die neuen Technologien und Automatisierungen gewonnen werden können. Dazu muss die HR vermehrt auf leicht zugängliches Upskilling setzen: Mitarbeitende, auch ältere, digital fit machen sowie Führungskräften die benötigten neuen Skills für das Führen hybrider Teams.
(B) Der Fachkräftemangel erfordert gezielte Retentionsmaßnahmen, wie hochdifferenzierte Entwicklungsangebote und eine starke Arbeitgebermarke (Employer Brand), die nach innen und außen strahlt.
(C) Die Neuverhandlung von Arbeitsleistung wird durch die beiden oben genannten Treiber ausgelöst. Die Integration von KI verändert Prozesse, Strukturen und Herangehensweisen und stellt die Sinnhaftigkeit/Purpose von Tätigkeiten (und Berufen: Payroll, Übersetzung…) in Frage. Plus, ab 2025 arbeiten vier Generationen in Unternehmen (Alpha, Z, Y, X) zusammen mit jeweils anderen Erwartungen & Ansprüchen an Arbeit und Leistung. Da werden konkrete HR-Maßnahmen für Cross Generational Working notwendig. Vor allem der Begriff „Produktivität“ wird herausgefordert und einen Mindset-Shift anregen.
BC: Woran erkennt man in einer schwierigen Situation, ob die Unternehmenskultur funktioniert oder nicht?
Perfahl-Strilka: „Am Ende“ steht eine mögliche höhere Fluktuationsrate in einem Team, einem Bereich oder dem gesamten Unternehmen. Doch bevor es zu solchen drastischen Konsequenzen kommt, gibt es während der schwierigen Zeiten bestimmte Anzeichen, die auf den Zustand der Unternehmenskultur hinweisen. Diese "Moments that matter" umfassen vor allem die Qualität der Kommunikation, die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und die Innovationsfähigkeit. Im Detail heißt das:
- Kommunikation: Klare, offene und zeitnahe Kommunikation in schwierigen Zeiten ist entscheidend. Informationen sollten transparent geteilt werden, um Unsicherheit zu minimieren. Ein Sub-Indikator ist der Flurfunk: Hier stellt sich die Frage, ob der informelle Informationsaustausch (Flurfunk) stärker ausgeprägt ist als die interne Unternehmenskommunikation. Der Flurfunk ist nicht steuerbar und besteht aus Gerüchten, Emotionen und Widersprüchen, da ihm das ganze Bild fehlt. Wenn das Unternehmen einheitlich Fragen zur eigenen Wetterlage, zur eigenen Entwicklung (Vision) und zur eigenen Haltung (Werte) klar und verständlich beantworten kann, dann können sich Mitarbeitende auch in schwierigen Situationen orientieren. Sprache und Information sind also ein klares Zeichen einer funktionierenden Unternehmenskultur, die Orientierung und Identifikation ermöglicht.
- Verantwortungsübernahme und Engagement: Die Bereitschaft der Mitarbeitende und Führungskräfte, Verantwortung zu übernehmen und klare Entscheidungen zu treffen, ist ein weiterer Indikator für eine funktionierende Unternehmenskultur. Dies gelingt besonders gut in einem Umfeld des Vertrauens. Innovationsbereitschaft und Werteorientierung: Auch in Zeiten von Veränderung oder Unsicherheit ist die Konsistenz des Verhaltens mit den Unternehmenswerten entscheidend. Das Unternehmen sollte seinen Werten treu bleiben, selbst wenn es schwierig wird, um Innovation und eine langfristige Ausrichtung zu fördern.
Unternehmenskultur messbar machen
BC: Kann man eine funktionierende Unternehmenskultur überhaupt messen und wenn ja, mit welchen Kennzahlen?
Perfahl-Strilka: Ja, es ist durchaus möglich, eine funktionierende Unternehmenskultur zu messen, und es gibt verschiedene Methoden des Kultur-Assessments sowie Ansätze zur bewussten Steuerung der Kultur. Deshalb ist es auch so notwendig mit der Unternehmensleitung zu definieren, welche Kultur für die kommende Unternehmensphase entscheidend ist.
Unternehmenskultur ist eine komplexe Mischung aus Werten, Normen, Überzeugungen und Verhaltensweisen, die die Arbeitsumgebung und Beziehungen innerhalb eines Unternehmens beeinflussen.
Indikatoren für die Unternehmenskultur könnten beispielsweise folgende sein:
- Führungs(kultur) und -stil: Wie werden Führungsaufgaben wahrgenommen und ausgeführt?
- Teamzusammenarbeit, Flexibilität, Vertrauen: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Team? Gibt es Flexibilität und Vertrauen unter den Mitarbeitenden?
- Mitarbeitende Engagement, Zufriedenheit: Hierzu können Mitarbeiterumfragen, Krankheitsstände, Fluktuationsraten sowie Leistungsindikatoren wie Produktivität und Zielerreichung herangezogen werden.
- Unternehmenswerte: Sind die Unternehmenswerte bekannt und werden sie im täglichen Handeln der Mitarbeitenden gelebt?
- Arbeitsumgebung (Work-Life-Balance, Überstunden, Präsenz): Wie gestaltet sich die Arbeitsumgebung in Bezug auf Work-Life-Balance, Überstunden und Präsenz der Mitarbeitenden?
- Artefakte, Rituale, Symbole: Hierzu gehören sichtbare Elemente wie beispielsweise die Teilnahme an Unternehmensveranstaltungen oder das Bekenntnis zu bestimmten Werten
BC: Was kann das Management Board und insbesondere das HR-Management dazu beitragen, dass eine positive Kultur auch authentisch gelebt wird? Einen voluminösen Code of Conduct zu schreiben, wird allein nicht ausreichen.
Perfahl-Strilka: Vom Management Board ausgehend muss Klarheit über Unternehmenswerte & Unternehmensvision bestehen, sodass das HR Management ebenso einheitlich, verständlich und zielgruppenorientiert kommunizieren kann. Erst mit dem Wissen, wofür die Organisation steht (Werte) und wohin sie steuert (Vision), geben sie Mitarbeitenden einen Rahmen vor, innerhalb dessen sie sich bewegen können. Das formt in Folge Führung und Zusammenarbeit. Die Konzentration auf die Führungsfähigkeiten ist dabei der Dreh- und Angelpunkt.
BC: HR- und Compliancemanagement könnten sich in Zukunft immer mehr berühren und überschneiden, nicht nur im Bereich Forensik, könnten da neue Tätigkeitsprofile entstehen? Und wie könnte man sich jetzt schon darauf vorbereiten, insbesondere hinsichtlich Weiterbildung und Qualifikation?
Perfahl-Strilka: Wir sehen schon heute, dass erste Überschneidungspunkte bzw. Aspekte sowohl HR als auch Compliance betreffen. Die zunehmende Komplexität der Unternehmensumgebung und die steigenden Anforderungen an Compliance könnten zu einer verstärkten Integration von HR- und Compliancemanagement führen. Wichtig ist, dass Compliance in Zukunft stärker ein Dienstleister (und kein „Feind“ mehr) sein wird. Diese Themen zahlen stark auf die Employer Brand ein und so werden Compliance Themen als Investition in die Mitarbeitendenbindung interpretiert werden. Zukünftig sind hier z.b. folgende denkbar.
Ethik und Integrität: Positionen, die sich um Awareness- und Fachschulungen von Mitarbeitenden, die Einhaltung ethischer Standards und die Unterstützung von Whistleblower-Programmen drehen. Nicht zuletzt auch wegen der neuen ESG Regulatorik, die nun auf uns zukommt.
Arbeitsrecht und Compliance: Hier haben schon spätestens seit Corona neue Themen wie „Remote“ und Workation Einzug erhalten.
Künstliche Intelligenz: Gerade Grundlagen-Know how wird in Zukunft die KI übernehmen und der Mensch wird übergeordnet – auf einer Meta-Ebene – die Zusammenhänge klarlegen müssen. Diese neue Sicht-und Denkweise wird sich in neuen Jobs wieder finden.
Vielfalt und Inklusion: Es könnten neue Positionen entstehen, die sich darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass HR-Praktiken und -Programme die Vielfalt fördern und diskriminierungsfrei sind. Dies könnte die Entwicklung von Vielfalts- und Inklusionsstrategien, Schulungen zu Sensibilisierungsthemen und die Überwachung von Inklusionsinitiativen umfassen und so sicherstellen, dass die Anforderungen der EU-Regulatorik eingehalten werden.
BC: Abschließend: Sie sind ja neu auf der PoP, worauf freuen Sie sich am meisten?
Perfahl-Strilka: Ich freue mich auf spannende, neue Konzepte und Ideen sowie auf provokative Diskussionen und ein Erwachen bei dem einen oder anderen Thema.
BC: Liebe Frau Mag. Perfahl-Strilka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie auf der PoP zu begrüßen!
Mag. Jutta Perfahl-Strilka ist seit Juli 2023 Partnerin bei Österreich und Geschäftsführerin des Bereichs Workforce Transformation. Mit ihrem Team berät sie Unternehmen rund um den ganzheitlichen „Employee Lifecycle“, sei es Talent Acquisition Strategy und Talent Management Strategy, Upskilling, New Work, Unternehmenskultur, Kompensation und Benefits oder Leadership Consulting. Vor ihrem Wechsel in die Beratung war Perfahl-Strilka u.a. Geschäftsführerin von XING E-Recruiting in Österreich. Die gebürtige Linzerin verfügt über langjährige Erfahrung im General Management, Sales, Marketing und HR. Weiters setzt sie sich aktiv für die Förderung von Frauen in der Arbeitswelt ein, so ist sie derzeit Vorstandsvorsitzende von Zukunft.Frauen Alumnae Club. Auf der PoP am 18. / 19. April 2024 ist sie Gastgeberin eines Workshops zum Thema „Below the surface: Wie können unangenehme Vorfälle in einer funktionierenden Unternehmenskultur genutzt werden?“