Warum sich Betriebsrat und Geschäftsleitung auf Augenhöhe begegnen sollten: Interview mit Barbara Bartlmä
Dr. Barbara Bartlmä ist Rechtsanwältin in Wien und seit vielen Jahren Vortragende bei Business Circle. Im Interview sprechen wir mit der ausgewiesenen Arbeitsrechtsexpertin über Loyalitätskonflikte, Kündigungsschutz und die sich ändernde Rolle des Betriebsrates in der Digitalisierung.
Business Circle: Liebe Frau Dr. Bartlmä, Sie und wir gehen jetzt schon 18 Jahre gemeinsamen Weges, was hat sich in dieser Zeit in Bezug auf die von Ihnen behandelten Themen am meisten verändert?
Barbara Bartlmä: Durch Ihre Frage wird mir bewusst, wie lange wir schon zusammenarbeiten – dafür zunächst ein herzliches Dankeschön! Ich trage bei Business Circle zum Thema „Betriebsrat“ und „HR-Daten – Erlaubtes und Verbotenes“ vor. Im Laufe der letzten Jahre gab es eine Vielzahl arbeitsgerichtlicher Entscheidungen zu – auch für Betriebsräte relevanten – Themen rund um Kontrollmaßnahmen (Videoüberwachung, Zutrittssysteme, Whistleblowing etc), Personaldaten- und Personalbeurteilungssysteme sowie Kündigungen bzw Entlassungen im Zusammenhang mit IT-Nutzung/IT-Verhalten durch Mitarbeiter. Dies zeigt doch recht deutlich, dass durch zunehmende Digitalisierung auch Betriebsräte und Personalvertreter mehr gefordert werden und womöglich unser betriebsverfassungsrechtliches System nicht mehr ganz am Puls der Zeit ist.
BC: Welche Risiken drohen dem Arbeitgeber, wenn der Betriebsrat bei wichtigen Entscheidungen übergangen wird?
Bartlmä: Natürlich drohen einerseits rechtliche Konsequenzen, welche die Unwirksamkeit einer gesetzten Maßnahme zur Folge haben. So ist beispielsweise eine Kündigung ohne vorherige Einbindung des Betriebsrats unwirksam, ebenso eine verschlechternde Versetzung. Dagegen können sich Mitarbeiter zur Wehr setzen. Bestimmte wichtige Maßnahmen (zB Kontrollmaßnahmen wie Videoüberwachung) bedürfen zur Wirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrates – wird dieser übergangen, kann dies zu gerichtlichen Verfahren und Unterlassungsansprüchen führen. Es sind aber nicht nur diese rechtlichen Konsequenzen, die sich nachteilig für den Arbeitgeber auswirken. Den Betriebsrat nicht einzubinden, kann auch zu einem Vertrauensbruch führen, der einer künftigen konstruktiven betrieblichen Zusammenarbeit entgegensteht.
Ein Betriebsrat steht öfters „zwischen den Fronten“
BC: In welche Interessens- bzw. Loyalitätskonflikte kann der Betriebsrat typischerweise gelangen?
Bartlmä: Ein Betriebsrat steht öfters „zwischen den Fronten“. Zum einen zählt es zu den Betriebsratsaufgaben, einen Interessenausgleich zwischen Betrieb und Belegschaft herbeizuführen. Manche Maßnahmen, die einzelnen Arbeitnehmern hart erscheinen mögen, können wirtschaftlich aber geboten sein, um den Betrieb als Ganzes zu erhalten – man denke zB an Kurzarbeit oder Rationalisierungsmaßnahmen und Sozialpläne. Hier macht sich ein Betriebsrat zuweilen einen Teil der Belegschaft „zum Feind“. Andererseits steht ein Betriebsrat auch zwischen der Belegschaft als Kollektiv und einzelnen Arbeitnehmern, da seine Aufgabe die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerschaft (als Gruppe) und nicht unbedingt die Interessenvertretung eines einzelnen Arbeitnehmers ist. So kann der Betriebsrat beispielsweise zum Wohl der Belegschaft einer verschlechternden Versetzung eines einzelnen Arbeitnehmers zustimmen. Letztlich ergeben sich Interessenkonflikte (va beim Zeitmanagement) auch daraus, dass ein Betriebsratsmitglied ja auch „normaler“ Arbeitnehmer ist und seinen regulären dienstlichen Aufgaben nachkommen muss.
BC: Ist man als Betriebsrat quasi unkündbar?
Bartlmä: Das „quasi“ ist hier tatsächlich das entscheidende Wort. Zwar enthält das Arbeitsverfassungsrecht eine Reihe von Kündigungs- und Entlassungsgründen, die es einem Unternehmen – nach vorheriger Zustimmung des Gerichts – erlauben, ein Betriebsratsmitglied zu kündigen. Strafbare Handlungen, Ehrverletzungen, den Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, beharrliche Pflichtverletzungen oder Dienstunfähigkeit von Betriebsratsmitgliedern muss ein Arbeitgeber nicht hinnehmen. Dennoch sind die Hürden in der Praxis hoch, da oftmals die sogenannte Mandatsschutzklausel greift und typische Kündigungs- bzw Entlassungsgründe vom Gericht als entschuldbar gewertet werden, wenn das Betriebsratsmitglied (noch) im Rahmen seines Mandats gehandelt hat. Hier wird darauf Rücksicht genommen, dass Betriebsräte oftmals in einem Interessenkonflikt stehen. Ein „Freibrief“ für Betriebsräte ist dies freilich nicht, in den letzten Jahren hat durchaus ein Umdenken der Arbeitsgerichte stattgefunden. Letztlich erfolgen in der Praxis allfällige Trennungen – nicht zuletzt auch aufgrund der Länge der diesbezüglichen arbeitsgerichtlichen Verfahren – häufig einvernehmlich.
BC: Welches Mindset, welche Philosophie wünschen Sie sich von Betriebsrat und Personal- bzw. Geschäftsleitung, um einen fairen Interessenausgleich zu erreichen?
Bartlmä: Aus Anwaltssicht läge es nahe, sich – überspitzt formuliert – „streitsüchtige“ Betriebsräte und Personal- bzw Geschäftsleitungen zu wünschen, damit das eigene Beratungsbusiness gut läuft. Das wäre aber freilich kurzsichtig und weder im Interesse der Belegschaft noch des Betriebs, denn ein Sieg in einzelnen Verfahren mag zwar eine Schlacht, aber noch lange keinen Krieg gewinnen. Die Fronten verhärten sich unnötig und beide Seiten verlieren das Vertrauen, das aber für künftige Zusammenarbeit nötig ist. Ich habe in meiner Beratungs- und Vertretungspraxis weitaus bessere Erfahrungen gemacht, wenn sich Betriebsrat und Personal- bzw Geschäftsleitung auf Augenhöhe begegnen, sich als gleichwertige Partner verstehen, die an einem Strang ziehen und offene sowie sachliche Gespräche führen (regelmäßige Jour Fixe bewähren sich). Wenn beide Seiten frühzeitig auf Probleme hinweisen, gelingt es auch meist, eine gemeinsame und konstruktive Lösung zu erarbeiten. Wünschenswert wäre es daher, wenn sich Betriebsrat und Personal- bzw. Geschäftsleitung als betriebliche „Sozialpartnerschaft“ verstehen, die zu Kompromissen bereit ist.
BC: Gibt es etwas, das im aktuellen System Ihrer Meinung nach reformiert werden sollte?
Bartlmä: Die Mitbestimmungstatbestände der §§ 96 und 96a Arbeitsverfassungsgesetz (Kontrollmaßnahmen, Personaldaten- und Personalbeurteilungssysteme) können meines Erachtens nicht mehr mit den rasanten technischen Entwicklungen Schritt halten und bedürfen einer Anpassung. Legt ein Betriebsrat sein Veto ein bzw besteht kein Betriebsrat im Betrieb, können unter Umständen sinnvolle und notwendige Maßnahmen und Systeme nicht umgesetzt oder benutzt werden.
BC: Werden sich die Aufgaben und Arbeitsweisen des Betriebsrates durch eine zunehmende Digitalisierung ändern?
Bartlmä: Das haben sie bereits. Der Einsatz von neuen Technologien bedingt einen stetigen Wandel, Anpassungen – so auch in der betriebsrätlichen Arbeit und Arbeitsweise – sind unumgänglich. Durch die dynamische Auslegung, was zu den Sacherfordernissen zählt, die unternehmensseitig dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen sind, haben Betriebsräte profitiert: Galten früher zB mechanische Schreibmaschinen als Sacherfordernis, so sind es heutzutage Smartphones, Tablets und ein eigener E-Mail-Account, die dem Betriebsrat zur Unterstützung seiner Tätigkeit beigestellt werden. Oftmals hat Digitalisierung einen (unverdienten) negativen Beigeschmack, weil der Austausch menschlicher Arbeitskraft durch den Einsatz moderner Technik befürchtet wird. Hier wird jedoch übersehen, dass es nicht selten die Mitarbeiter selbst sind, die sich den Einsatz digitaler Arbeitsmittel oder Systeme wünschen, weil sie sich dadurch Erleichterungen und flexibleres Arbeiten erhoffen. Was sicherlich in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und die Arbeit von Betriebsräten geprägt hat, sind Betriebsvereinbarungen auf „technischem Gebiet“ (Personaldatensysteme, Einsatz von technischen Tools oder bestimmten Softwaresystemen, IT-Policies etc). Dazu müssen sich Betriebsräte vermehrt auch mit technischen und datenschutzrechtlichen Aspekten auseinandersetzen, was freilich eine Bereitschaft zur Weiterbildung und eine aufgeschlossene Haltung gegenüber technischen Neuerungen voraussetzt. Die fortschreitende Digitalisierung hat auch zu einer gewissen Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung geführt: War früher für Betriebsratsbeschlüsse die „physische“ Anwesenheit in einer Sitzung nötig, so können mittlerweile Beschlüsse auch im Umlaufweg, beispielsweise über Telefon oder E-Mail, gefasst werden – eine Erleichterung, die viele Betriebsräte zu schätzen wissen, gerade wenn derzeit pandemiebedingt auch Tagungen der Belegschaftsvertreter im Homeoffice oder per Videokonferenz stattfinden.
BC: Was kann der Betriebsrat beitragen, um entscheidende Schritte zu einem nachhaltigeren Wirtschaften zu gehen?
Bartlmä: Für viele Unternehmen ist nachhaltiges Wirtschaften heutzutage ein Anliegen. Das Kerngeschäft sowohl sozial als auch ökologisch verantwortlich zu betreiben, schafft Vorteile in der Marktpositionierung und im Employer Branding, zumal Kunden aber auch (potentielle) Mitarbeiter darauf immer mehr Wert legen. Dem Betriebsrat kommt hierbei eine bedeutende Rolle zu, er ist mit zahlreichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten ausgestattet, um soziale und ökologische Maßnahmen gemeinsam mit der Unternehmensleitung umzusetzen. Zu denken ist hier beispielsweise an Betriebsvereinbarungen im Bereich Arbeitnehmerschutz und betriebliches Gesundheitswesen, menschengerechte Arbeitsgestaltung, Maßnahmen zur betrieblichen Frauenförderung und besseren Vereinbarkeit von Betreuungspflichten und Beruf (Work-Life-Balance), Rahmenbedingungen für Arbeit im Homeoffice usw. Das betriebliche Vorschlagswesen kann dazu genutzt werden, Umweltaspekte im Betriebsalltag besser zu integrieren (Energieeinsparungen, effizientes Ressourcenmanagement, Fahrgemeinschaften). Im sozialen Bereich wären auch Ausbildungsmaßnahmen (Bildungs- und Schulungseinrichtungen) und Wohlfahrtseinrichtungen (Betriebskantine – Schlagwort „faires Essen“) zu nennen. Ich sehe hier die Aufgabe des Betriebsrats vor allem darin, Unternehmen in der Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen zu unterstützen und Bewusstsein bei den Mitarbeitern zu schaffen und sie dafür zu begeistern.
BC: Liebe Frau Dr. Bartlmä, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Dr. Barbara Bartlmä, LL.M. (Columbia University, NY) promovierte 1999 in Wien und ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Bartlmä Madl Rechtsanwälte OG. Zugelassen als Anwältin im Bundesstaat NY seit 1999 und in Wien seit 2003. Schwerpunkte: Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht. Regelmäßige Vortragstätigkeit zu arbeitsrechtlichen Themen. Sie spricht seit vielen Jahren bei Business Circle–Seminaren, unter anderem bei „Der Betriebsrat“ und „HR-Daten, Erlaubtes & Verbotenes“.
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