Über Neuerungen im Konzernsteuerrecht, Interview mit Dr. Gebhard Furherr
Im Vorfeld des TAX Circle 2024 haben wir mit einem der fachlichen Leiter der Veranstaltung, Herrn Dr. Gebhard Furherr, Wirtschaftsprüfer und Partner bei LeitnerLeitner Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung, zu aktuellen regulatorischen Entwicklungen im Steuerrecht gesprochen.
In Anbetracht der jüngsten regulatorischen Änderungen in den Bereichen Steuermeldung und Compliance, wie haben sich CbCR, DAC6 und andere einschlägige Maßnahmen auf Unternehmen und Organisationen ausgewirkt? Welche tiefgreifenden Veränderungen sind zu erwarten?
Für große Unternehmen mit einem Umsatz von über EUR 750 Mio pro Jahr, die dem CbCR und Pillar 2 unterliegen, besteht der Paradigmenwechsel zum einen darin, dass die Steuerdaten nicht mehr wie bisher lediglich für den Adressaten "Finanzamt" aufbereitet werden und im geheimen Steuerakt bleiben, sondern für die de facto gesamte Öffentlichkeit. Mit dem EU Public CbCR sind die Steuerleistungen des Unternehmens für Geschäftsjahre beginnend ab dem 22.6.2024 (also genau am Tag nach dem Tax Circle 2024!) für jeden einzelnen EU-Staat und gewisse Drittstaaten in einem öffentlichen EU-Register und auf der Website des Unternehmens zu veröffentlichen.
Gemeinsam mit weiteren Angaben zu Umsatz, Gewinn und Anzahl der Mitarbeiter im jeweiligen Land. Nach deutschem HGB und AktG ist die Einhaltung dieser Offenlegungspflicht vom Jahresabschlussprüfer und vom Aufsichtsrat zu prüfen. Steuern werden damit ein Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen. Damit wird auch relevant, wie die Veröffentlichung auf der Website erfolgt, z.B. standalone oder als Teil der Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Berichterstattung. Die Unternehmen werden Marketing, Public Relations und Investor Relations einbeziehen, um ihre Steuerdaten lege artis "zu präsentieren". Auch neue Geschäftsmodelle und Umstrukturierungen werden mit Blick auf die Auswirkungen auf das Public CbCR zu beleuchten sein. Das CbCR ist damit in den Tax Life Circle zu integrieren.
Zum anderen steigen die Anforderungen an das unternehmensweite Datenmanagement und die Qualitätssicherung. Nicht zuletzt durch Pillar 2 erhöht sich die Anzahl der zu verarbeitenden Datenpunkte und -quellen enorm. Hier braucht es effiziente Abläufe und passende IT- bzw. Schnittstellenlösungen, um die Verfügbarkeit und Integrität der Daten sicherzustellen.
Welche Fortschritte wurden bei der Entwicklung von Best Practices für die Dokumentation steuerlicher Prozesse und Entscheidungen im Rahmen von ViDA erzielt? Welche spezifischen Herausforderungen bestehen bei der Implementierung und Durchführung dieser Best Practices?
Nach dem derzeitigen Stand sind im Rahmen von ViDA vor allem Änderungen bzw. Modernisierungen in den Bereichen (i) elektronische Rechnungsausstellung, (ii) digitale Mehrwertsteuermeldungen, (iii) einheitliche EU-Mehrwertsteuerregistrierung sowie (iV) Plattformwirtschaft / E-Commerce geplant. Zu beachten ist, dass es sich bei ViDA derzeit nur um einen Richtlinienentwurf handelt und die finale Beschlussfassung abzuwarten bleibt (Stichwort: Welche Bereiche werden in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt umgesetzt?). Dem Vernehmen nach soll die weitere Umsetzung von ViDA im nächsten ECOFIN-Rat im Mai diskutiert werden.
Hinsichtlich der auf Basis von ViDA erforderlichen Dokumentation von steuerlichen Prozessen dürfte insbesondere der Bereich "Digitale Mehrwertsteuermeldungen" von zentraler Bedeutung werden. Dies resultiert daraus, dass künftig bestimmte Umsätze auf Einzelumsatzebene innerhalb von zwei Tagen elektronisch an die inländischen Steuerbehörden gemeldet werden müssen, was die Implementierung eines entsprechenden Prozesses im jeweiligen Unternehmen voraussetzt.
Konkrete Best-Practice Erfahrungen und Empfehlungen werden sich demnach erst nach Vorliegen der endgültigen ViDA-Regelungen ergeben.
Könnten Sie einige Beispiele für komplexe grenzüberschreitende Steuergestaltungen nennen, die unter die DAC6-Meldepflicht fallen? Wie sind Unternehmen mit diesen Herausforderungen umgegangen und welche Strategien haben sie entwickelt, um die Anforderungen zu erfüllen?
DAC 6 hatte anlässlich der Einführung im Jahr 2019 große Aufmerksamkeit erregt. Am Markt wurden Dokumentationstools angeboten, die systematisch und auf breiter Basis Unternehmensmaßnahmen auf deren DAC6-Relevanz hin „gefiltert“ haben. In der Praxis ist beobachtbar, dass sich mittlerweile eine gewisse Routine eingestellt hat. Häufig halten Steuerverantwortliche und Berater periodisch (zB. monatlich) DAC6-Jour Fixe ab, worin besprochen wird, an welchen Projekten das Unternehmen aktuell arbeitet und ob diese Maßnahmen meldepflichtig sein könnten. Grenzfälle, die schlussendlich als nicht meldepflichtig eingestuft werden, werden intern als Nicht-Meldefälle dokumentiert, falls es später zu Nachfragen kommt. Klare Nicht-Meldefälle werden kaum dokumentiert. Die Entwicklung in der Außenprüfung bleibt aber abzuwarten. Bislang hatte ich keinen Fall, wo die Außenprüfung das Unterbleiben einer DAC6-Meldung aufgegriffen hätte. Sollte das Thema künftig in den Fokus der Außenprüfung rücken, könnte sich auch der Zugang zur Dokumentationsdichte wieder ändern.
Welche neuen Entwicklungen oder Gesetzesänderungen im Bereich der internationalen Steuerbestimmungen haben kürzlich besondere Aufmerksamkeit erregt? Wie werden diese Änderungen die steuerliche Landschaft in den kommenden Jahren voraussichtlich beeinflussen und welche Implikationen ergeben sich daraus für Unternehmen?
Die EU fokussiert zusehends die Steuerharmonisierung und Steuertransparenz im Bereich der direkten Steuern. Sie ist mit den beiden Richtlinien Pillar 2 und Public CbCR international vorgeprescht. Diese beiden Themen stehen auch im Fokus der aktuellen Diskussion. Die beiden RL-Entwürfe der Kommission aus September 2023 iS BEFIT (EU-weit einheitliche KöSt-Bemessungsgrundlage und KöSt-Steuergruppe) und iS Verrechnungspreise weisen in dieselbe Richtung. Wenngleich sich die Kommission von der Harmonisierung einen Abbau der Bürokratie für Unternehmen im Binnenmarkt erhofft, wird in der Praxis genau das Gegenteil beklagt. Es kommt zu einem Nebeneinander unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen (lokale GAAP, Pillar 2, künftig BEFIT), die Vereinheitlichung erfasst nicht alle Konzernmitglieder (zB. bleiben Nicht-EU-Gesellschaften oder Gesellschaften außerhalb des Konsolidierungskreises ausgenommen), womit unterschiedliche Datenbeschaffungen und parallele IT-Systeme erforderlich werden. Der Compliance-Aufwand steigt. Die Unternehmen sind angehalten, passende IT-Lösungen zu finden, um die Vollständigkeit und Konsistenz der Daten sicherstellen, oder das Thema gänzlich an Berater auszulagern.
Wie hat sich die Rolle von Compliance-Abteilungen und Steuerberatern angesichts der zunehmenden Komplexität und Anforderungen in Bezug auf Steuertransparenz und -konformität entwickelt? Welche innovativen Strategien und Ressourcen setzen Experten ein, um Unternehmen dabei zu unterstützen, den wachsenden regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden?
Da die Anforderungen an die Datenintegrität steigen, sind entsprechende Kontrollsysteme zu implementieren. Damit werden Compliance-Regelungen in der Steuerabteilung und den vorgelagerten (operativen) Bereichen unerlässlich (Definition von Prozessen, Zuständigkeiten und Kontrollen). Zudem sollte die Datensammlung möglichst automatisiert erfolgen, um Fehlerquellen in den Schnittstellen zu unterbinden. Die Steuerverantwortlichen müssen sich zunehmend mit Prozess-Organisation und -Optimierung beschäftigen. Abhängig von der individuellen (strategischen) Ausrichtung der Unternehmen bieten Berater entsprechende Pakete an. Von IT-Plattformen, die für Unternehmen eigens entwickelt werden, über lizensierte IT-Drittanbieterlösungen bis zu umfassenden Outsourcing-Angeboten für Unternehmen, die keine eigene IT-Lösung realisieren oder lizensieren wollen. Bei Outsourcing-Angeboten ist entscheidend, dass die Unternehmensdaten digital und korrekt „gemappt“ – bezogen auf die Datenfelder des Dienstleisters - bereitgestellt werden können. Die Verfügbarkeit der Daten wird mit dem Unternehmen im Vorfeld iRe GAP-Analyse abgeklärt. In allen Varianten gilt aber: Steuerverantwortliche und Steuerberater benötigen zusehends Skills im Bereich Organisation, CMS und Datenverarbeitung.
Wie reagieren Unternehmen und Organisationen auf die Einführung von Pillar 2-Maßnahmen? Welche neuen steuerlichen Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus diesen internationalen Mindeststandards, insbesondere im Hinblick auf komplexe Unternehmensstrukturen und globale Geschäftsmodelle?
Pillar 2 beschäftigt die Beratungsszene enorm. Aktuell sehen die Unternehmen weniger die langfristigen, hehren „Chancen“ (Herstellung eines globalen steuerlichen level-playing-field), sondern die Herausforderungen und Mühen der Umsetzung. Komplexe Unternehmensstrukturen erschweren die Anwendbarkeit jedenfalls und lösen Zweifelsfragen aus. Um einige Beispiele zu nennen:
Wurde der bisherige UGB/IFRS-Konsolidierungskreis korrekt gezogen oder ist richtigerweise eine andere Einheit das UPE iSv Pillar 2, das der PES unterliegt? Behandlung hybrider Personengesellschaften, die im Gründungsstaat als intransparent und im Gesellschafterstaat als transparent behandelt werden. Gesellschaftsrechtliche Themen wie der Abschluss einer Ausgleichsvereinbarung zwischen den Konzernunternehmen, um die von einer Einheit bezahlte Ergänzungssteuer sachgerecht auf die verursachenden Einheiten umzulegen. Einen messbaren Einfluss auf globale Geschäftsmodelle wird man aktuell wohl noch nicht ausmachen können. Dafür ist die Materie zu jung. Falls die USA aber langfristig bei Pillar 2 nicht mitmachen, könnten sich sehrwohl Auswirkungen auf europäische Niederlassungen von US-Konzernen ergeben. Die EU-Niederlassungen müssten sodann umfangreiche Daten der Konzernmütter bereitstellen und eine sog. sekundäre Ergänzungssteuer für niedrigbesteuerte Gewinne der Konzernspitze in der EU bezahlen. Die Entwicklung bleibt abzuwarten.
Gebhard Furherr wird beim TAX Circle 2024 am 20./21. Juni im Schlosshotel an der Eisenstraße in Waidhofen/Ybbs gemeinsam mit Michael Schilcher aus dem BMF ein Update zum Konzernsteuerrecht (aktuelle Entwicklungen auf EU-Ebene und in der Legistik, Neuigkeiten aus dem BMF und der Judikatur) geben.
WP/StB Dr. Gebhard Furherr
Partner, LeitnerLeitner
WP/StB Dr. Gebhard Furherr ist Partner bei der LeitnerLeitner GmbH Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung.
Schwerpunkte: Unternehmens- und Konzernsteuerrecht, Umgründungen, M&A und Verrechnungspreise. Er ist Fachautor, Mitglied des Fachsenats für Steuerrecht der KWT und Gerichtssachverständiger.
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