Ist die Ausbildung gut, geht’s den Lehrlingen gut! Franz Heißenberger, ÖBB im Gespräch
Franz Heißenberger, MSc ist Ausbildungsleiter in der ÖBB Rail Cargo Group und verantwortlich für über 100 Speditions- und Logistiklehrlinge im Konzern. Im Vorfeld des Lehrlingsforums sprechen wir über den Stellenwert der Lehre, über die Wichtigkeit einer gelebten Ausbildungskultur und darüber, was sich in den letzten 10 Jahren verändert hat.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Heißenberger, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch! Sie begleiten das Lehrlingsforum nun schon seit 2013 – daran anschließend auch gleich die Frage, was in Ihren Augen in Bezug auf die Lehrlingsausbildung die größte Veränderung innerhalb der letzten 10 Jahre war.
Franz Heißenberger: Im letzten Jahrzehnt ist das Duale Ausbildungssystem in Form der Lehrlingsausbildung schrittweise aus einem „Schlummer Modus“ massiv in die mediale Öffentlichkeit gedrängt. Der hohe Bedarf an qualifizierten Fachkräften, die langfristigen Herausforderungen der Unternehmen im Nachwuchsbereich und aktuelle Problemstellungen hinsichtlich Recruiting, Fluktuation und Retention haben auch der Lehrlingsausbildung einen unglaublichen Boost verschafft. Damit einhergehend kommen aber auch viele Versäumnisse aus der Vergangenheit ans Tageslicht, die nun mit großem Aufwand repariert werden müssen, seien es nun die Gestaltung von praxisorientierten Ausbildungsplänen oder der Aufbau moderner Kommunikationsstrukturen zwischen Betrieben, Berufsschulen und Lehrlingsstellen, damit Lernen und Arbeit als ein gemeinsamer Prozess erlebbar werden kann. Das Positive daran: Die Lehrlingsausbildung hat mit modernen Ansätzen ausgezeichnete Chancen, sich als zukunftsfittes Bildungsnetzwerk zu etablieren. Unternehmen, die bereits vor zehn Jahren Initiativen gesetzt haben, sind heute vorne dabei! Und die Jugendlichen von heute? Ja, sie sind anders als vor zehn Jahren. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, ihnen Perspektiven eröffnen und eigene Handlungsspielräume geben!
BC: Ihr Round Table steht unter dem Motto „Geht’s den Ausbilder:innen gut, geht’s den Lehrlingen gut!“: Was sind unter diesem Aspekt die größten Unterschiede zwischen einem großen Unternehmen wie dem Ihren mit 100 Lehrlingen und einem kleineren Betrieb mit 2 oder 3? Lässt sich alles beliebig übertragen und skalieren?
Heißenberger: Die Rolle der Ausbilder:innen und Lehrlings-Coaches, die diese Aufgaben ja meist auch zusätzlich zu ihrem fachlichen Job übernehmen, ist eine zentrale für den Erfolg – in kleinen und größeren Teams. Wesentlich ist, dass es im Unternehmen engagierte Menschen gibt, denen ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt wird, sich mit der fachlichen Ausbildung, aber auch mit den steigenden persönlichen Herausforderungen der Jugend beschäftigen zu können. Das wird für Unternehmen zunehmend fordernd, weil mehr „fertige Player“ gebraucht werden, aber unter wirtschaftlichem Druck die Ressourcen fehlen, um diese Player zu entwickeln. In Zukunft werden jene Unternehmen den größeren Zulauf an talentierten Bewerber:innen haben, die eine stabile Ausbildungsorganisation mit ausreichend Zeit für Bildung & Ausbildung zur Verfügung stellen können – egal ob für 1 oder 100 Lehrlinge.
BC: Welchen Stellenwert nimmt die Weiterbildung der Ausbilder in Ihrem Unternehmen ein?
Heißenberger: Die Weiterbildung der Ausbilder:innen muss wertschöpfungsorientiert sein. Wir haben ausreichend Leute mit Ausbilderprüfung, aber alle Mitarbeiter:innen, die Lehrlinge fachlich unterweisen, sind Teil unseres Lernnetzwerkes. Als erfolgreiche Methode hat sich bei uns ein mehrtägiger Workshop „Umgang mit Lehrlingen - Leicht gemacht!“ etabliert, den wir allen Kolleg:innen anbieten, die in den Fachbereichen mit der Praxisausbildung unserer Lehrlinge zu tun haben. Dabei geht es weniger um gesetzliche Grundlagen, sondern mehr darum, wie „Jugend heute funktioniert“ und welchen Handlungsspielraum wir alle haben, um unsere Lehrlinge von unseren Jobs zu begeistern. Ein weiterer Aspekt dieser Workshops ist der Wissens- und Erfahrungsaustausch aus den verschiedenen Fachbereichen, der dann manchmal auch als Ausbilder-Coaching Plattform verwendet wird. Um dies auch für die Zukunft flächendeckend zu garantieren braucht es auch neue Ansätze zur Förderung gerade der oft nebenberuflichen Ausbilder:innen.
Kein konstruiertes Gebilde, sondern eine über Jahre gewachsene Kultur
BC: Beschreiben Sie doch bitte kurz, wie Ihr internes Ausbildungsnetzwerk funktioniert und wie das Unternehmen davon profitiert.
Heißenberger: Unser Ausbildungsnetzwerk ist kein konstruiertes Gebilde, sondern eine über Jahre gewachsene Kultur, in der sich die Vorteile der betriebsinternen Lehrlingsausbildung auf allen Unternehmensebenen offenbaren. Sei es in der HR Abteilung, von der aus wir die gesamte Lehrlingsausbildung steuern und organisieren, über die Fachbereiche mit der Praxisausbildung, die im Rahmen der Nachfolgeplanungen profitieren bis zur Unternehmensleitung, wo die erforderlichen Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Neben der fachlichen Nachfolgeplanungen profitiert das gesamte Unternehmen von der Lehrlingsausbildung auch im Sinne des Generationen- und Wissensmanagements, das allein durch altersgemischte Teams angeregt wird. Alle ziehen an einem Strang und bei uns ist es keine Seltenheit, dass ein Unternehmensvorstand einem Lehrling am Freitagabend über MS Teams zu einer ausgezeichneten Leistung gratuliert!
BC: Mit welchen Kennzahlen messen Sie den Erfolg der Lehrlings- und Ausbilderausbildung?
Heißenberger: Für die Leistungsentwicklung der Lehrlinge haben wir ein modernes Performancemanagement aufgebaut, dass neben der fachlichen Entwicklung auch auf dem „Wie“ im Sinne Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und Wertehaltung basiert. Ein Performanceblatt dient als Basis für regelmäßige Entwicklungsgespräche. Das Feedback der Ausbilder:innen aus den Weiterbildungsseminaren fließt direkt in die inhaltliche Entwicklung der Workshops ein.
BC: Abschließend: Was ist für Sie das Besondere am Lehrlingsforum, was bewegt Sie, auch dieses Jahr wieder teilzunehmen?
Heißenberger: Das Lehrlingsforum von Business Circle hat sich aus meiner Wahrnehmung zu einer hochkarätigen Expert:innenplattform entwickelt, die für Wissensentwicklung und Wissensaustausch in der Lehrlingsausbildung ausgesprochen förderlich ist. Schön dabei ist, dass der Austausch „von der Praxis für die Praxis“ im Vordergrund steht. Die Motivation zur Teilnahme ist bei mir sicherlich die Möglichkeit, im Austausch mit anderen neue Ideen für die eigene Ausbildungspraxis und Weiterentwicklung im Unternehmen zu generieren.
BC: Sehr geehrter Herr Heißenberger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie im November wieder zum Lehrlingsforum zu begrüßen!
Franz Heißenberger, MSc ist Ausbildungsleiter in der ÖBB Rail Cargo Group und verantwortlich für über 100 Speditions- und Logistiklehrlinge im Konzern. Seinen Fokus richtet er dabei speziell auch auf innovative, zukunftsorientierte Lernkonzepte für Lehrlinge und AusbilderInnen. Beim Lehrlingsforum ist er am 30. November Gastgeber eines Round Tables zum Thema „Geht’s den Ausbilder:innen gut, geht’s den Lehrlingen gut!“