Die MiCA-Verordnung und der Kryptomarkt. Dr. Oliver Völkel im Gespräch
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Völkel, eingangs etwas persönliches: Was hat Sie bewogen, sich als Anwalt gerade auf das Recht der Kryptowerte zu spezialisieren?
Oliver Völkel: Mein fachlicher Background war ursprünglich das Bank-, Finanz-, und Kapitalmarktrecht. Wenn man sich mit diesem Schwerpunkt jung selbständig macht, dann ist es eher schwierig in einem bereits aufgeteilten Markt an Mandate zu gelangen. Als Bitcoin & Co im Jahr 2016 im Mainstream ankamen, habe ich rasch erkannt, dass die rechtlichen Fragestellungen zum allergrößten Teil ein gutes Verständnis des Kapitalmarktrechts voraussetzen. Ich habe das als Chance gesehen, in einem Nischenbereich Expertise aufzubauen.
BC: In Ihrem letzten Beitrag vor einem Jahr haben Sie unter anderem dargelegt, dass MiCA erstmals europaweit einheitliche Vorschriften für das öffentliche Angebot und die Dienstleistungen im Bereich von Kryptowerten schafft. Was waren die wichtigsten Entwicklungen seitdem?
Völkel: Seit der Einführung der MiCA-VO haben die europäischen Aufsichtsbehörden kontinuierlich Leitlinien und technische Standards veröffentlicht, die MiCA ergänzen und zahlreiche Lücken in Bezug auf die praktischen Anforderungen schließen. Darüber hinaus wurden auf EU-Ebene mit der AMLD6 und DAC8 neue Regelungen eingeführt, die Krypto-Dienstleister zu strengeren KYC- und Meldepflichten anhalten, um Geldwäsche und Steuervermeidung zu bekämpfen. Diese neuen Vorschriften sollen den Krypto-Markt transparenter und sicherer machen, und das Vertrauen in den Sektor stärken.
Einen guten Überblick über sämtliche erlassenen Rechtsakte, RTS, ITS und veröffentlichte Rechtsmeinungen der europäischen Aufsichtsbehörden bietet übrigens www.gomica.eu. Das ist eine Website, die wir betreiben, um Krypto-Dienstleistern einfach einen Überblick aller auf sie anwendbaren Rechtsakte zu geben.
Insgesamt kann attestiert werden, dass die Anforderungen an Krypto-Dienstleister mittlerweile irgendwo zwischen jenen für Wertpapierdienstleister und jenen für Banken liegen. Die Anforderungen werden nicht geringer.
BC: Gibt es Aspekte der MiCA, die aus Ihrer Sicht in der Praxis noch nicht ausreichend funktionieren oder Anpassungen erfordern?
Völkel: Die regulatorische Last ist insbesondere für kleinere Akteure verhältnismäßig groß. So etwas wie eine „kleine Zulassung“ gibt es nicht. Das macht sich zB bei der Beratung zu Kryptowerten bemerkbar. Bisher war dies in der Gewerbeordnung geregelt und von der gewerblichen Vermögensberatung mitumfasst. Nunmehr ist es ein eigener Zulassungstatbestand unter MiCA. Die bestehenden Unternehmensstrukturen an die neuen Anforderungen anzupassen, bedeutet einen erheblichen administrativen und zeitlichen Aufwand. Es bleibt abzuwarten, ob hier künftig Erleichterungen erfolgen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht unnötig einzuschränken.
Ein Whitepaper zu verfassen ist zur Herkulesaufgabe geworden
BC: Hätten Sie vielleicht zur Veranschaulichung ein Praxisbeispiel für uns, in dem fehlerhafte Whitepapers zu rechtlichen Auseinandersetzungen geführt haben, und wie wurden diese gelöst?
Völkel: Aktuell gibt es noch keine öffentlich verhängten Sanktionen durch die FMA hinsichtlich fehlerhafter Whitepapers, und auch gerichtliche Auseinandersetzungen gibt es keine. Zieht man jedoch den Vergleich zur ähnlich gelagerten Prospektverordnung, so sind die Verstöße absehbar. Probleme werden sich für Unternehmen zum Beispiel ergeben, wenn gar kein Whitepaper veröffentlicht wurde, das Whitepaper nicht lange genug online zur Verfügung stand oder wenn den inhaltlichen Vorgaben nicht entsprochen wurde. Für Verstöße gegen die Whitepaperpflichten drohen einerseits eine zivilrechtliche Haftung sowie verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen. Wichtig ist, dass man sich frühzeitig rechtlichen Beistand holt, bestenfalls bevor es zu einem Verstoß überhaupt kommen kann.
BC: Wie klar ist die rechtliche Abgrenzung von Kryptowerten zu klassischen Finanzinstrumenten in der Praxis? Gibt es hier noch Grauzonen?
Völkel: Der Begriff Kryptowert nach MiCA ist so weit, dass er auch Finanzinstrument umfassen kann. Eine tokenisierte Unternehmensanleihe etwa wäre ein übertragbares Wertpapier nach MiFID II und der Prospektverordnung, aber gleichzeitig ein Kryptowert unter MiCA. Es besteht aber eine trennscharfe Linie: Ein Kryptowert, der als Finanzinstrument zu qualifizieren ist, ist nicht von MiCA erfasst, sondern von MiFID II. Die ESMA hat im Dezember 2024 Leitlinien zur Einstufung von Kryptowerten als Finanzinstrumente veröffentlicht, die die Abgrenzung vereinfachen soll. Dadurch wird auch eine etwaige Grauzone erheblich beschränkt. Letztendlich erfolgt die Einstufung aber im Einzelfall und ist immer von den jeweiligen Funktionen und rechtlichen Merkmalen des Kryptowerts abhängig.
BC: Worauf müssen Unternehmen, die planen, Kryptowerte zu emittieren oder in diese zu investieren, besonders achten, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein?
Völkel: Meine klare Antwort: Holen Sie sich rechtlichen Beistand. Ein Whitepaper zu verfassen ist mittlerweile zur Herkulesaufgabe geworden, so wie das Verfassen eines Kapitalmarktprospekts. Wer keine Fehler begehen will, der sollte unbedingt zu Experten gehen. Bei der Investition rate ich stets zur Vorsicht. Kontrollieren Sie, ob ein Emittent ein Whitepaper veröffentlicht hat, lesen Sie es, insbesondere die Beschreibung der Risiken, und prüfen sie, welche unabhängigen Informationen Sie über einen Emittenten finden.
BC: Abschließend: Sie haben 2024 zum ersten Mal auf unserer Fachtagung „Kapitalmarktrecht“ vorgetragen, möchten Sie Ihren Eindruck von dieser Konferenz mit uns teilen?
Völkel: Der Austausch zwischen den Akteuren des klassischen Kapitalmarkts und der Kryptoindustrie macht die Konferenz wirklich spannend. Die Finanzlandschaft verändert sich, und da ist es wichtig, im Dialog zu bleiben, um die regulatorischen Herausforderungen und Chancen der digitalen Märkte gemeinsam zu meistern. Ich freue mich schon auf dieses Jahr!
BC: Lieber Herr Dr. Völkel, danke für diese kenntnisreichen Einblicke, wir freuen uns ebenfalls, Sie wieder beim „Kapitalmarktrecht“ zu begrüßen!