Arbeitsminister Kocher sieht jetzt eine "Blütezeit der Lehre"
Ziemlich unverändert bleibt bei Mädchen der Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin stehen ganz oben. Bei Burschen sind es Elektrotechnik, Metalltechnik und der KfZ-Bereich. Ebenso kontinuierlich: Rund 40 Prozent eines Jahrgangs (Pflichtschulabschluss) streben in Richtung Lehrberuf.
Ob dazwischen alles klappt beim Suchen und Finden zwischen Betrieben und Lehrwilligen ist nicht nur eine Frage des Bundeslands, sondern auch eine des Lehrberufs, von denen rund 230 angeboten sind. Wien etwa hat einen Lehrstellenmangel, vier Personen bewerben sich hier durchschnittlich pro Ausbildungsplatz, in Salzburg oder Oberösterreich fällt rein rechnerisch ein Viertel Lehrling auf eine offene Lehrstelle. Da geht es auch um Imagefragen und den Elternwunsch nach vermeintlich schnellem Bildungsaufstieg. In Tirol würde man sagen: "Wow, du hast dich aber für eine tolle Lehrstelle entschieden." In Wien werde eher gefragt: "Oje, was ist denn passiert, dass du eine Lehre machen musst?"
Nicht klagen, ausbilden
Es geht zunehmend auch um die Bereitschaft der ausbildenden Betriebe, die gerne öffentlich beklagten Defizite der Jungen aufzufangen und auszugleichen. Wenn die Jungen also angeblich nunmehr wenig rechnen und schreiben können und wenig sozialkompetent sind, dann muss die Ausbildung eben darauf abstellen. "Hire for attitude, train for skills", wie das Britta Schindler, Chefin der Personalentwicklung bei A1 Telekom, sagt. Und immer mehr, sagen Fachleute aus Unternehmen, ist das Finden von Nachwuchs auch eine Frage des Recruitings.
"Lehrjahre sind keine Herrenjahre" – mit dieser Haltung geht's gar nicht mehr. Ob Unterstützung bei der Berufsmatura, Geldgeschenke, Zusatzurlaub oder andere Goodies: Zuerst, sagt Daniel Ziegl, Recruiting- und Employer-Branding-Chef beim Baukonzern Porr, muss glaubwürdig ein Image dort ankommen, wo sich die Leute befinden. "Kontinuierlich", betont er, "nicht mal eine Kampagne und dann warten." Bewerbungen müssten schnell und simpel gehen. Porr bietet nun sogar die Möglichkeit, sich via Sprachnachricht zu bewerben.
Dass fast alle Unternehmen gegen Fachkräftemangel kämpfen, zeigte sich beim diesjährigen zweitägigen Lehrlingsforum (Business Circle) in der Vorwoche in Wien mit rund 150 Ausbildnerinnen und Ausbildnern, deutlich. Allerdings, so Wifo-Ökonom Helmut Mahringer sinngemäß, komme es für Firmen noch schlimmer: anstehende Pensionierungswellen, eine Kohorte im Arbeitsleben mit hohem Anteil an Lehrabschluss. Mahringer: "Die Ausbildung Jugendlicher wird nicht reichen." Da sich das Arbeitskräfteangebot hin zu Älteren, Frauen und ausländischen Arbeitskräften verschiebe, muss nicht bloß eine Lehre mit Matura, auch Lehre nach der Matura, sondern müssen Integrations- und Requalifizierungsstrategien in Unternehmen Platz greifen. "Die betriebliche Personalpolitik muss angepasst werden, die Arbeitsmarktpolitik an den neuen Strukturen ausgerichtet werden."
Familienschnuppern im Betrieb
Arbeitsminister Martin Kocher sieht nun sogar eine "Blütezeit der Lehre" anbrechen, wie er in seiner Keynote sagte. Die demografische Entwicklung, die Klimaziele und letztlich auch die Digitalisierung führt er als die treibenden Faktoren dafür an. Meistens, so berichten Ausbildner und Arbeitsmarktexperten, entscheide das Umfeld über einen (etwaigen) Lehrberuf. Ralf Martin, Ausbildungsleiter beim Messgeräte-Spezialisten Endress + Hauser Flow im schweizerischen Reinach, veranstaltet daher regelmäßig sogar "Oma- und Opatage", um die Vorzüge einer Lehre im Unternehmen in die Familien zu bringen.
Die Jungen berichten Unterschiedliches aus ihren Lehrlings- und Karrierejahren. Lisa-Maria Berger, Project Manager Design bei AVL List, hat nach ihrer Ausbildung zur Werkzeugtechnikerin ein HTL-Abendkolleg besucht, ein Bachelor- und ein Masterstudium in Innovationsmanagement und Engineering abgeschlossen. Sie sagt: "Was ich wirklich gelernt habe, habe ich schon in der Lehre gelernt." Dass es als einziger Lehrling nicht einfach sein kann, berichtet Silvija Stevanovic (nach ihrer Lehre im Fachverlag Holzhausen ist sie nunmehr dort Prokuristin). Aber: Sie wollte unbedingt abschließen und weiterkommen. "Dazugehören" und Teil der Firmenfamilie sein, so berichten Lehrlinge beim oberösterreichischen Verpackungskonzern Greiner, sei für sie das Wichtigste. "Wertschätzung", "dass ich nicht egal bin" – das sind die Zitate zu diesem Wunsch der jungen Leute, die beim Lehrlingsforum aus ihrem Leben berichteten.
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Die Autorin:
Karin Bauer leitet das Karriereressort in der Tageszeitung DER STANDARD. Bereits ab 1988 war sie Redakteurin dieser Tageszeitung, seit 1995 zuständig für Börsen und Geldanlagen in der Wirtschaftsredaktion. Seit Anbeginn im Jahr 2013 begleitet sie das Lehrlingsforum als Moderatorin.