• Update Gesellschaftsrecht - Interview mit Johannes Reich-Rohrwig

Im Update-Gesellschaftsrecht im Rahmen der RuSt 2024 werden die Vortragenden einen Überblick über die relevanten Entscheidungen der österreichischen Höchstgerichte der letzten 12 Monate zum Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht geben. Dieses Interview thematisiert vorab einzelne der Entscheidungen.

1. Mit der gesetzlichen Senkung des Mindeststammkapitals der GmbH auf EUR 10.000 ab 1. Jänner 2024 ist der finanzielle Beitrag der Gesellschafter zum Stammkapital und somit zu jenem Vermögen, das den Gläubigern als Haftungsfonds dient, extrem gering. Besteht für GmbH-Gesellschafter eventuell das Risiko einer Durchgriffshaftung?
Johannes Reich-Rohrwig: Gemäß der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers in § 61 Abs 2 GmbHG haftet für Verbindlichkeiten der GmbH ihren Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Zum Gesellschaftsvermögen gehören allerdings auch Schadenersatzansprüche, die die GmbH gegen ihre Geschäftsführer, gegen Aufsichtsratsmitglieder, eventuell auch gegen ihren Jahresabschlussprüfer, gegen Berater und gegen Gesellschafter besitzt.
Dazu kommt noch, dass sich die Organe der GmbH ebenso wie die Gesellschafter gegenüber Gläubigern der GmbH deliktisch haftbar machen können.
Will ein Gläubiger im Zivilprozess einen Haftungsdurchgriff gegen Gesellschafter erreichen, so erfordert dies nicht nur ein entsprechendes Prozessvorbringen, sondern auch ein entsprechendes Sachsubstrat, welches haftungsbegründende Verhalten der Gesellschafter gesetzt hatte: So ist der Missbrauch der Rechtsform der GmbH haftungsbegründend. Niemand darf sich der Rechtsform einer juristischen Person, wie einer GmbH, bedienen, um Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen . Immer wieder verwendet die Judikatur im Zusammenhang mit der Haftung der Gesellschafter auch die Schlagworte der „qualifizierten Unterkapitalisierung“ und der „faktischen Geschäftsführung“ . Gesellschafter können sich insbesondere als Beitragstäter (§ 1301 ABGB) durch rechtswidrige Weisungen zur Konkursverschleppung, wegen Anstiftung zum Betrug oder wegen sittenwidriger Schädigung von Geschäftspartnern und anderer Gläubiger haftbar machen.
Allerdings trifft jeden (potenziellen) Vertragspartner einer GmbH auch die Obliegenheit zur Selbstinformation: Aus dem Firmenbuch ist nicht nur das Stammkapital der Gesellschaft, sondern – so sollte es zumindest sein – der letzte Jahresabschluss ersichtlich: Zusätzlich kann man auch Bonitätsauskünfte bei Kreditschutzverbänden einholen und Sicherheiten vertraglich vereinbaren, bevor man als Vertragspartner einer Kapitalgesellschaft in Vorleistung geht. Professionisten haben sogar einen gesetzlichen Anspruch auf Sicherstellung (§ 1170 b ABGB).

2. Kann eine Anteilsübertragung bei der GmbH rechtlich unwirksam sein, obwohl ein „Notariatsakt“ errichtet wurde?
Johannes Reich-Rohrwig: Mit der gesetzlichen Notariatsaktpflicht für die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen wollte der Gesetzgeber des Jahres 1906 vermeiden, dass GmbH-Geschäftsanteile zum Gegenstand eines „börseartigen Handels“ werden.
Zwischenzeitig gab es allerdings einige Fälle, in denen sich die Notariatsaktspflicht nicht als Zugewinn an Rechtssicherheit, sondern als „Falle“ herausgestellt hat, sodass es immer wieder vorkommt, dass die von Verkäufer und Käufer beabsichtigte Anteilsabtretung gegebenenfalls aufgrund von Mängeln rechtlich unwirksam ist. Das kann zu einer bösen Überraschung führen. Betroffen können auch spätere Erwerber des Geschäftsanteils sein.
Die Anteilsübertragung ist etwa dann unwirksam,
• wenn der Notariatsakt nicht verlesen wurde;
• wenn ein wesentlicher Bestandteil der Vertragsregelungen, zB eine Bedingung, im Text des Notariatsakts nicht enthalten ist, sondern nur mündlich vereinbart wird;
• weil im Abtretungsvertrag aufschiebende Bedingungen vereinbart sind und die Gerichte diese Klausel so auslegen, dass für die wirksame (sachenrechtliche) Übertragung des Geschäftsanteils ein zusätzlicher (zweiter) Notariatsakt erforderlich gewesen wäre;
• wenn der Notar von der notariellen Tätigkeit ausgeschlossen ist, etwa weil er selbst oder sein Ehegatte, sein Lebensgefährte oder eine Gesellschaft, in der der Notar Geschäftsführer oder Vorstand ist, Vertragspartei ist; oder
• weil eine Partei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist und kein Dolmetsch beigezogen wird oder der Dolmetsch nicht ordnungsgemäß unterschreibt; oder
• weil eine Partei des Notariatsakts geschäftsunfähig ist,
• weil der Veräußerer des Geschäftsanteils selbst nicht wirksam Gesellschafter geworden war. Dieser Fall kann eintreten, wenn sein seinerzeitiger Anteilserwerb die Formvorschrift nicht eingehalten hatte oder aus sonstigen Gründen nichtig war.
• Im Falle der Doppelveräußerung des Geschäftsanteils ist die zeitlich spätere Abtretung an den zweiten Käufer unwirksam, auch wenn darüber ein Notariatsakt errichtet wurde; der zweite Erwerber wird somit nicht Gesellschafter.
In einer aktuellen Entscheidung sprach der OGH allerdings aus, dass ein Notariatsakt wirksam bleibt, auch wenn der Notar seine notarielle Belehrungspflicht verletzt hat. 

Entrechtung eines Gesellschafters?

3. Können Gesellschafter überrumpelt werden, wenn sie einer beschlussunfähigen Generalversammlung fernbleiben?
Johannes Reich-Rohrwig: Wird im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaften die Beschlussfähigkeit der Generalversammlung an ein Anwesenheitsquorum geknüpft, sind Gesellschafterbeschlüsse, bei denen das Anwesenheitsquorum nicht erfüllt wird, unwirksam.
Zum GmbH-Recht nimmt die Judikatur den gegenteiligen Standpunkt ein: Ein trotz Beschlussunfähigkeit gefasster Gesellschafterbeschluss ist zwar mangelhaft, aber dennoch wirksam und heilt, wenn er nicht binnen eines Monats mit Klage angefochten wird. Ein gehörig geladener Gesellschafter, der zur Generalversammlung (GV) nicht erscheint, kann nach der Rechtsprechung den in der beschlussunfähigen Generalversammlung gefassten Gesellschafterbeschluss nicht einmal anfechten. Er wird demnach durch die Beschlussfassung der übrigen Gesellschafter, die sich rechtswidrig verhalten und die trotz Beschlussunfähigkeit der GV Beschlüsse fassen, überrumpelt und entrechtet.

4. Zum Verbot der Einlagenrückgewähr bei Kapitalgesellschaften und zu ihren Auswirkungen auf Gesellschafter und Dritte: Kann sich die Nichtigkeitssanktion für Verstöße gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr auch auf „ehemalige“ oder „künftige“ Gesellschafter der GmbH, auf Familienmitglieder und auf sonstige Vertragspartner der GmbH erstrecken? Was gilt, wenn der Kaufpreis für den Geschäftsanteil aus dem Firmenvermögen der Zielgesellschaft (GmbH) an den abtretenden Gesellschafter bezahlt wird?
Johannes Reich-Rohrwig: Nach ständiger Rechtsprechung bewirkt ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr die Nichtigkeit des Rechtsgeschäft, das die GmbH mit ihrem Gesellschafter abschließt. Regelmäßig ist dies der Fall, wenn das Geschäft dem „Fremdvergleich“ („Drittvergleich“) nicht standhält, sofern nicht eine besondere „betriebliche Rechtfertigung“ vorliegt. Primär richtet sich das Verbot der Einlagenrückgewähr an die Gesellschaft (GmbH, AG, erfasst auch GmbH & Co KG) und ihre Gesellschafter/Aktionäre. Erfasst werden auch nahe Angehörige (Familienmitglieder) der Gesellschafter.
Dritte – also externe Vertragspartner der GmbH, AG usw – sind von der Nichtigkeit nur ausnahmsweise betroffen, nämlich wenn sie am Rechtsgeschäft kollusiv mitwirken oder den Missbrauch der Vertretungsbefugnis durch den Geschäftsführer/Vorstand erkennen oder wenn sich ihnen der Vertretungsmissbrauch geradezu aufdrängen muss, sie also den Vertretungsmissbrauch durch Geschäftsführer/Vorstand grob fahrlässig nicht erkennen.
Im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen nimmt die Judikatur eine strenge Haltung ein: So kann ein Rechtsverstoß auf die finanzierende Bank durchschlagen, wenn sie sich bspw den Ankaufskredit durch ein Pfandrecht oder eine Bürgschaft von der Gesellschaft selbst besichern lässt.
Gleiches gilt auch für den Verkäufer des Geschäftsanteils, der nach erfolgter Anteilsabtretung den Kaufpreis aus dem Vermögen „seiner“ GmbH bezahlt erhält ; Rechtsfolge ist, dass er den Kaufpreis an die GmbH rückerstatten muss.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Reich-Rohrwig, vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns auf das Wiedersehen in RuSt!

Blog rust rr 200

RA Univ. Prof. Dr. Johannes Reich-Rohrwig ist Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz RAe in Wien. Spezialgebiete: Gesellschafts- und Unternehmensrecht, M&A, Vertragsrecht, Prozessführung und Schiedsgerichtsbarkeit. Mitherausgeber der „ecolex“ und Autor von Fachpublikationen. Er hält Vorlesungen am Juridicum Wien zu den Themen Kapitalgesellschaftsrecht, Flexible Kapitalgesellschaft und GmbH. Auf der RuSt 2024 ist er zusammen mit Univ.-Prof. Dr. Julia Nicolussi und Univ.-Prof. Dr. Johannes Zollner Gastgeber des Workshops "Update Gesellschaftsrecht"

Zum Originaltext inklusive des Fußnotenapparates

 

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