RECON 2022: Nachhaltigkeitsdaten werden so wichtig wie Finanzkennzahlen
Am 12. Mai 2022 eröffneten die beiden Gastgeber Romy Faisst und Raffael Fischer die 19. RECON.
Schon am Vorabend, der mit über 80 Personen sehr gut besucht war, hatte Sebastian Körber das Publikum buchstäblich von den Sesseln gerissen und sie mit der Botschaft entlassen, dass man nicht zulassen dürfe, sich sein Leben weiter verderben zu lassen, nur weil man sich nicht eingestehen will, dass das Leben bisher, zum Beispiel durch eine falsche Berufswahl, verdorben war. Die Begrüßung wurde zu einem „Welcome and welcome back“, weil im über 180 Köpfe zählenden Plenum auch über 40% Premieristen vertreten waren, für die es die erste RECON war.
Prof. Alfred Wagenhofer als fachlicher Leiter gab in seiner Eröffnung noch einmal einen Überblick über die letzten Monate aus Rechnungslegungs-Sicht: Nachhaltigkeitsberichterstattung ist jetzt das beherrschende Thema und wird auch in vielen Workshops unter verschiedenen Aspekten behandelt. Er hofft, dass sich alle Teilnehmer ein individuell passendes Programm herausgesucht haben und würde sich freuen, wenn manchen sogar eine gewisse Qual der Wahl hätten, weil das für das hohe Niveau der gesamten Konferenz spricht.
Georg Kell und die Geschichte der Nachhaltigkeit.
Georg Kell ist einer der Mitbegründer des Begriffes „ESG“, der den Begriff zum ersten Mal in einer Rede verwendete, die der gebürtige Deutsche für den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan schrieb und die auch medial sehr gut reflektiert wurde. Der Grundgedanke war, dass nicht nur Regierungen, sondern auch Unternehmen Verantwortung übernehmen müssen. Es dauerte aber noch 10 Jahre, bis das Thema ab 2015 langsam in die unternehmerische Wirklichkeit einzusickern begann. Wir sind jetzt in einer Phase, in der ESG-Daten schon ähnlich wie finanzielle Daten behandelt werden und er sagte voraus, dass bald die ESG-Daten großer Unternehmen ähnlich wie deren Finanzdaten öffentlich verfügbar sein werden. Für den weiteren Weg sieht er vor allem mit Sorge darauf, dass es keine gemeinsame Kooperationsbasis zwischen den USA und China gibt und dass die EU auf einem zu hohen moralischen Ross sitzt und mit der Taxonomie, die er als bürokratisches Monster bezeichnete, internationale Partner eher vergrault als mit ins Boot zu holen. Österreich aber ist für ihn ein wunderschönes Land, das nicht nur in Nachhaltigkeit ganz vorn ist, sondern auch seinen Wohlstand wahrt und damit Modellcharakter für viele andere hat.
Georg Lanfermann, Deutsches Rechnungslegungs Standards Comitee
Auch wenn Österreich im nachhaltigen Wirtschaften sehr gut dasteht, orientiert man sich bei Berichtstandards doch am deutschen Vorbild und auch EU-weit wird in der Standard-Setzung darauf geachtet, was in der größten Volkswirtschaft geschieht. Bis vor 4 Jahren hätte er sich nicht vorstellen können, sich im DRSC nicht nur mit Finanz- sondern auch mit Umweltdaten zu beschäftigen. Jetzt stellte er die aktuellen exposure drafts der ESRS vor, die bis zum 8. 8. 2022 kommentiert werden können und lud alle ein, sich an der Kommentierung zu beteiligen, in Brüssel brauche man das Feedback von der Basis. Die EU ist derzeit weltweit führend mit der Vereinheitlichung von ESG-Standards, aber eine den Praxistest bestehende Regulatorik kann nur entstehen, wenn die Standards sich auf eine möglichst breite Basis stützen.
Die Klassiker der RECON: Internationale Rechnungslegung, Controlling, Reporting.
In 30 einzelnen Workshops und Round Tables stellten über 50 Vortragende den aktuellen Stand des Wissens vor. Neben dem Schwerpunktthema Sustainability Reporting ging es unter anderem um den Einsatz künstlicher Intelligenz und Cybersicherheit im Rechnungswesen und auch das schon traditionelle AFRAC-Update sowie ein Blick auf Unternehmens- und Konzernsteuern durften nicht fehlen.
Der Abend begann dann mit einem zwanglosen After-Work-Drink bei Live Musik, bevor es wieder zum Thermenheurigen ging und die fachlichen und nicht so fachlichen Gespräche bis weit nach Mitternacht andauerten.
Espresso Talks: In 15 Minuten erklären, was wichtig ist.
Mit Andreas Posavac konnte ein Pionier des ESG-Ratings gewonnen werden und mit Barbara Polster eine Expertin in Organisations- und Führungskräfteentwicklung, die durch ihre langjährige Praxis in der Steuerberatung ganz genau weiß, wie eine Finanzabteilung funktioniert.
Andreas Posavac legte dar, dass die ESG-Datenlandschaft sehr komplex ist. In den letzten Jahren ist viel passiert, und es gibt viel Wildwuchs, das ist durchaus mit einem Ökosystem vergleichbar. Wie die Reportingstandards aussehen werden, ist jetzt noch nicht abzusehen, wir sind gerade mitten in einer spannenden Phase. Wie ein Vergleich von großen US-Firmen und deren Ratings bei den 5 größten Agenturen zeigt, sind die Ergebnisse noch sehr unterschiedlich. In der Zukunft wird ein aktives ESG-Datenmanagement stehen. Die Erfassungs- und Verarbeitungsmaßnahmen werden sich angleichen und standardisiert werden. Wichtig ist es aber jetzt schon möglichst viele und transparente Daten zur Verfügung zu stellen, damit das eigene Unternehmen nicht aufgrund von Schätzwerten bewertet wird.
„Führung ist eben keine Einzelkämpfergeschichte, sondern ein Mannschaftssport.“
(Barbara Polster)
Die Finanzabteilung muss sich neu aufstellen, weil neue Herausforderungen kommen. Eine Transformation kostet aber Zeit und Energie. Es gilt, das Team mitzunehmen und Wildwuchs zu beseitigen. Dafür ist jetzt aber eine gute Gelegenheit, weil wir uns wegen Corona ohnehin schon in einer Disruptionsphase befinden. Auch sollte die Übergangsphase jetzt dazu genutzt werden, von „command and controll“ zu flachen Hierarchien und Selbstorganisation überzugehen. Viele kennen es nur aus ihrer Freizeit, für etwas zu brennen, nicht herumkommandiert zu werden und Anerkennung aus der Community zu bekommen. Eine gute Führungskraft muss genau eine solche Atmosphäre im Unternehmen schaffen.
Stephan A. Jansen: Humanismus 5.0 – der menschliche Faktor in Zeiten von künstlicher Intelligenz und künstlicher Dummheit
Stephan Jansen ist selbstständiger Unternehmer und Hochschullehrer an der Humboldt-Universität in Berlin. In seiner Abschluss-Keynote wagte er einen Blick in die Zukunft und stellte zwei Modelle einander gegenüber: Einmal das Modell „China“ mit starkem staatlichem Dirigismus und institutionalisierten Eingriffen in die Freiheit des Individuums – wobei das Konzept individueller Freiheit dort gar nicht verstanden wird und keine Tradition hat. Und auf der anderen Seite das Modell „Silicon Valley“, in dem Unternehmen nicht nur Produkte an Märkten anbieten, sondern in einer digitalisierten Welt selbst Eigentümer des Marktes sind, wie zum Beispiel Google oder twitter, das seit der Bekanntgabe des Eigentümerwechsels noch stärker im Fokus der öffentlichen Diskussion steht. Für ihn als Forscher ist beides interessant zu beobachten, für ihn als Unternehmer sind es eher Dystopien.
Zwischen beiden Polen könnte sich als richtiger Mittelweg das Modell „Europa“ etablieren, in dem Privatheit und Legitimität geachtet werden und ein Enablement der Individuen nicht nur großen Wohlstand, sondern auch Bewahrung der Lebensumwelt und Krisenresistenz garantiert. „Und genau darauf hinzuarbeiten ist Eure Aufgabe“, sagte er abschließend, „für euren CFO, den CEO und damit letztendlich für die ganze Gesellschaft.“
Romy Faisst beschloss die Konferenz mit großem Optimismus: "Nach der RECON ist vor der RECON“. Sie würde sich freuen, wenn jeder von der RECON eine nachhaltige Wirkung mitgenommen hätte: und zwar nicht nur gute Ideen für die Umsetzung im Unternehmen, sondern vielleicht auch neue Netzwerke, neue Kontakte oder sogar neue Freundschaften.
Die RECON 2023 findet statt am 11./12. Mai
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