Legal Leadership neu denken: Interview mit Marguerita Sedrati-Müller
Mag. Marguerita Sedrati-Müller ist nicht nur Rechtsanwältin und Mediatorin sondern auch Trainerin und innovation & digitalisation expert. Im Interview sprechen wir darüber, dass brillante Juristen nicht unbedingt gute Führungskräfte sind und was in Anbetracht dessen am Jus-Studium geändert werden müsste.
Business Circle: Sehr geehrte Frau Mag. Sedrati-Müller, Sie werden auf der Vienna Legal Innovation über die Entwicklung und Einbindung von High Potentials in Legal Tech sprechen. Welche veralteten Konzepte sollten über Bord geworfen werden, um als Kanzlei innovativ zu sein und überhaupt an High Potentials heranzukommen?
Marguerita Sedrati-Müller: Eine Kanzlei ist meiner Meinung nach dann innovativ, wenn sie einen starken Fokus auf die Nutzung von neuen Technologien legt und dafür sorgt, dass Legal Tech in den Arbeitsalltag der Juristen integriert wird, um einerseits deren Arbeitsalltag zu erleichtern und andererseits auch Mandanten bestmöglich und effizient betreuen zu können. Zudem hat Innovation für mich sehr viel mit Vertrauen und dem daraus resultierenden Mut zu tun, Neues auszuprobieren. Ebenso wie mit der Fähigkeit zur Veränderung. Die High Potentials im Legal Tech Bereich wollen ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich entfalten können, neue Ideen haben können, Neugierde tatsächlich willkommen ist und die Einstellung der Kanzlei zum Umgang mit Technologie eine positive ist. Wenn ich als Kanzlei den Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen Techies und Juristen schaffe und womöglich auch noch ein Budget habe, um in Innovatives zu investieren, bin ich schon auf einem sehr guten Weg, High Potentials anzusprechen.
BC: Am Thema KI kommen wir nicht mehr vorbei. Wird sich Ihres Erachtens die Grenze zwischen maschineller und menschlicher Arbeit noch weiter verschieben und wo könnten Grenzen sein, über die Maschinen nicht hinweg kommen?
Sedrati-Müller: Für mich gibt es momentan die KI-Optimisten und die KI-Pessimisten. Ich bin ein KI-Optimist. Ich sehe KI als eine Chance, uns Menschen bei den unterschiedlichsten Dingen zu unterstützen. Juristen arbeiten sehr viel mit Text, mit Sprache und mit Daten. Für Juristen, egal ob inhouse oder in Kanzleien, wird GenAI daher in den nächsten 3-5 Jahren meiner Meinung nach zu einem völlig anderen Arbeiten mit bzw durch GenAI/KI/Legal Tech-Tools führen. Langweilige, repetitive Arbeit wird verschwinden und wir werden mehr Zeit für strategisches Denken und Interaktion mit Menschen haben. Die Grenzen der KI sind für mich ganz klar dort, wo es tatsächlich auf das Zwischenmenschliche ankommt, also bei Gefühlen, Vertrauen, strategischem Denken und ganz essentiell bei der Empathie.
BC: Was empfehlen Sie als erste Schritte, um als Kanzlei fit für 2030 zu sein?
Sedrati-Müller: Hinsichtlich Technologien eigentlich das, was ich auch meiner Tochter momentan empfehle: setzt euch mit den neuen Technologien auseinander, integrierte sie auf spielerische Weise und mit einer positiven Grundeinstellung in den Alltag, ohne Druck, dafür mit Neugierde. Hinsichtlich Strategie empfehle ich, ein Budget einzuplanen, um in Neues zu investieren. Menschlich sage ich in letzter Zeit sehr häufig: entwickelt Empathie für die jüngeren Generationen und versucht zu verstehen, wie sie aufgewachsen sind, um sie bestmöglich zu beschäftigen und von ihnen lernen zu können. Zudem empfehle ich all meinen Kollegen, so schnell wie möglich damit zu beginnen daran zu arbeiten, auch Juristen, die so gar nichts mit Legal Tech am Hut haben, dafür zu begeistern. Je schneller man damit anfängt, desto eher hat man die Chance, als Kanzlei bestehen zu bleiben. Und als letzten Punkt: plant auch etwas Zeit dafür ein, Honorarstrukturen zu überdenken, denn es ist nicht auszuschließen, dass Mandanten aufgrund effizienterer Arbeitsweise andere Fee-Strukturen erwarten.
Im Jus-Studium lernt man noch immer nicht, wie man eine gute Führungskraft wird
BC: In unserem letzten Interview haben Sie im Hinblick auf das Führen von Juristenteams Caspar Craven zitiert: "Be more human". Ist Führen in einer Kanzlei grundsätzlich anders als zum Beispiel im produzierenden Gewerbe?
Sedrati-Müller: Führung bedeutet Menschen an ein gemeinsames Ziel zu bringen. Das gemeinsame Ziel ist je nach Betrieb oder Unternehmen selbstverständlich ein anderes. Es macht aber überhaupt keinen Unterschied, ob ich Führungskraft in einer Kanzlei, in einem Restaurant oder in einem produzierenden Gewerbe bin. Meine Aufgaben als Führungskraft sind überall dieselben – ich muss mich um die Menschen, deren Führungskraft ich bin, ordentlich kümmern. Dafür wird man als Führungskraft bezahlt und nicht dafür, weiterhin operative Tätigkeiten in den Vordergrund zu stellen und die Menschen außer Acht zu lassen. Leider sehe ich gerade in Rechtsanwaltskanzleien noch immer häufig das Phänomen, dass Anwälte glauben, automatisch gute Führungskräfte zu sein und keine Zeit in die Ausbildung zur Führungskraft investieren zu wollen. Das ist sehr schade, denn im Jus-Studium lernt man meines Wissens nach noch immer nicht, wie man eine gute Führungskraft wird.
BC: Wenn Sie jetzt Bildungsministerin wären, was würden Sie im juristischen Studium ändern, um Leadership und Soft Skills mehr Aufmerksamkeit zu widmen ?
Sedrati-Müller: Für mich ist das Jus-Studium nach wie vor viel zu wenig praxisrelevant, veraltet und leider auch nicht innovativ genug. Juristen von heute und auch von morgen sollten verpflichtend Verhandlungs- und Konfliktmanagement erlernen, sich mindestens ein Semester mit Persönlichkeitsentwicklung bzw Psychologie beschäftigen, um grundlegend zu verstehen, wie menschliches Verhalten funktioniert. Zudem braucht es eine technologische Grundausbildung. Wer heute noch glaubt, dass wir als Anwälte/Inhouse Juristen in 5-10 Jahren noch genauso arbeiten werden wie heute, der irrt. Ich will damit nicht sagen, dass wir von Künstlicher Intelligenz abgelöst werden, im Gegenteil. Ich bin der festen Überzeugung, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen und unser strategisches Denken und lösungsorientiertes Handeln durch den vermehrten Einsatz von KI noch viel wichtiger für juristischen Berufe werden. Als Bildungsministerin würde ich also dafür sorgen, dass ein tiefergehendes Verständnis des menschlichen Verhaltens gepaart mit einem – zumindest grundlegenden – technologischen Verständnis Einzug in das juristische Studium hält.
BC: Sie waren ja letztes Jahr bei uns auf der RuSt NEXTGen, möchten Sie Ihre Eindrücke von der Konferenz mit uns teilen?
Sedrati-Müller: Mir hat die RuSt NEXTGen sehr gut gefallen, weil die Motivation und Begeisterung der jüngeren Generation so spürbar waren. Der Austausch war von Anfang sehr angeregt und die Stimmung auch ausgelassen. Es würde mich freuen, wenn dieses Format beibehalten wird! Sofern dem so ist, wünsche ich mir, dass die "ältere" Generation auch schon früher anreist, damit mehr Interaktion zwischen den beiden Generationen stattfinden kann.
BC: Liebe Frau Mag. Sedrati-Müller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie bald auf der „Vienna Legal Innovation“ wieder persönlich begrüßen zu dürfen!
RA Mag. Marguerita Sedrati-Müller ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Legal Tech & Innovation Expert bei Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien. Zudem ist sie Trainerin in der Erwachsenenbildung mit einem Fokus auf Leadership und Konfliktmanagement. Bei der Vienna Legal Innovation am 16. / 17. April 2024 hält Sie eine Keynote zum Thema „Innovation in Legal comes with innovative Leadership“