Gute Pflege ist ein Dialog
Die vielseitigen Ausbildungsmodelle im Bereich der Pflege führen zu einem hohen Skill & Grade Mix, der heutzutage unabdingbar ist. Denn nur so kann man den unterschiedlichen Anforderungsprofilen des Pflegeberufes gerecht werden. Nicht zuletzt wird durch neue Weiterbildungsmaßnahmen die Wissenschaftlichkeit und das evidenzbasierte Arbeiten gefördert. Egal, um welches Modell es sich handelt, im Mittelpunkt stehen immer der Dialog und die gegenseitige Wertschätzung. Und natürlich der Patient. Doch wie begegnet man all diesen Anforderungen im Alltag? Elisabeth Rudolph im Gespräch mit Karin Haubenwaller, Speakerin beim Pflege-Management Forum 2021 und DGKP und Pflegeberaterin im Haus der Barmherzigkeit Seeböckgasse.
Business Circle: Frau Haubenwaller, Sie haben an der Fachhochschule Krems das Studium Advanced Nursing Practice berufsbegleitend absolviert. In wie weit ist dieser Begriff in unserem Pflegealltag schon geprägt?
Advanced Nursing Practice ist definitiv im Kommen, allerdings ist in Österreich eher noch der Begriff Pflegeexperte verbreitet. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande die Weiterbildung, wie Intensivpflege, Wundmanagement oder onkologische Pflege schon lange Tradition hat, jedoch nicht auf universitärem Niveau, wie in Form von Advanced Nursing Practice Studiengängen. Daneben fehlt es in Österreich an einer geschützten Berufsbezeichnung für die Benennung von APN (Advanced Practice Nurse), Qualifikation und Titel. Im europäischen Raum hinken wir hier generell ein wenig nach, denn in Österreich wurden erst 2008 praxisrelevante Studiengänge in der Pflege etabliert. Ein konsekutiver Master in ANP, wie er international für die Berufsausübung einer APN gefordert wird, ist in Österreich seit 2018 an der IMC FH Krems möglich. Pflegepersonen, die ANP-Rollen entwickeln und umsetzten, können in Österreich als Pionier*innen bezeichnet werden. Pflegemanger*innen, die Rahmenbedingungen zur Rollenentfaltung ermöglichen, erst recht.
BC: Wie ist derzeit das Ausbildungsmodell in Österreich in der Pflege.
Man hat grundsätzlich sehr viele Möglichkeiten: Man kann relativ niedrigschwellig in den Pflegeberuf eintreten. Im Langzeitpflegebereich kann man etwa als Abteilungshilfsdienst oder Heimhilfe starten. Danach hat man die Möglichkeit, aufgrund der Durchlässigkeit des Systems, sich bspw. zur Pflegeassistenz und danach zur Pflegefachassistenz weiterbilden zu lassen. Dies gilt es definitiv auch finanziell zu fördern. Theoretisch ist ein Weiterqualifizierungsweg bis zum PHD möglich. Vielversprechend sind neue Ausbildungsmöglichkeiten, wie etwa die Ausbildung von Pflegefachassistent*innen im Rahmen von Berufsbildenden Höheren Schule. Neben der Matura erlangen die AbsolventInnen die Berufsberechtigung für die Pflegefachassistenz. Die Hauptverantwortung für den gesamten Pflegeprozess liegt beim Gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege. Die Diplomausbildung läuft mit voraussichtlich Ende 2023 aus und wird durch ein Bachelorstudium an Fachhochschulen ersetzt. Damit hat es die Gesundheits- und Krankenpflege auch in Österreich in den tertiären Bereich geschafft. Schon jetzt werden Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen größtenteils an Fachhochschulen ausgebildet. Auch für den gehobenen Dienst gibt es vielfältige Weiterqualifizierungsmaßnahmen, wie eben das Masterstudium Advanced Nursing Practice. Aus der Vielfalt an Ausbildungsformen ergibt sich ein hoher Skill&Grade-Mix in der Praxis. Dieser ist in der Pflege notwendig und positiv, aber es braucht eine Schärfung der jeweiligen Funktionsprofile und vor allem Koordination. Im Mittelpunkt müssen dabei die Bedürfnisse der Bewohner*innen stehen. Fachkarrieremodelle mit akademisch ausgebildeten Pflegepersonen auf Master bzw. PHD Niveau an deren Spitze haben sich im internationalen Raum bewährt und sind auch in Österreich im Kommen. Sie sind EINE Möglichkeit, den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu begegnen.
BC: Ist dieser geplante Weg grundsätzlich eine Verbesserung?
Es ist eine große Chance, vor allem weil wir international hier sehr nachhinken. Durch den „rasanten“ medizinischen, technischen sowie pflegerischen Fortschritt braucht es heute in der Pflegepraxis Menschen, die fähig sind, wissenschaftlich zu arbeiten und neueste Erkenntnisse in die Praxis zu implementieren. Nur so kann dem im Berufsgesetz verankerten Anspruch nach einer State of the Art Pflege entsprochen und Pflege weiterentwickelt werden. Daneben gibt es noch viele offene praxisrelevante Pflegefragen, die es zu klären und zu erforschen gilt. In der Pflegepraxis stehende akademische Pflegepersonen können hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Aber es braucht dazu auch Veränderungen in der Praxis, nämlich eine Pflegepraxis mit Personen, die diese Veränderungen auch zulassen. Es braucht ein innovatives Management. Die neuen Formen der Ausbildung führen zu einer veränderten Erwartungshaltung an den Beruf, als das bisher der Fall war. Die Absolvent*innen möchten evidenzbasiert arbeiten, mitgestalten und über ihre Tätigkeiten reflektieren. Dazu braucht es in der Praxis Menschen, die hier begleiten, einen wechselseitigen Diskurs fördern und bereit sind neue Wege zu gehen. Es braucht Dialoge und gegenseitige Wertschätzung – eine entsprechende Unternehmenskultur.
BC: Wie sehen Sie das Berufsmodell der Pflegelehre?
Wichtige Pflegeinstitutionen in Österreich stehen der Pflegelehre sehr kritisch gegenüber. Diese Ablehnung hat in erster Linie damit zu tun, dass es sich bei der Lehre um sehr junge Menschen handelt, die sich selbst noch in der Entwicklung befinden und vermutlich mit den Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, überfordert sind. Wenn so ein Modell funktionieren soll, dann braucht es eine sehr gute Begleitung durch Expert*innen in der Praxis und sehr viel Emotionsarbeit. Natürlich geht es bei der ganzen Diskussion auch um die Quantität, weil wir definitiv mehr Pflegekräfte brauchen. Langfristig sehe ich hier aber die Möglichkeit über die Aufwertung der Praxis. Konkret heißt das: Man muss Anreize schaffen, indem man Karrieremöglichkeiten bietet, den Handlungs- und Entscheidungsspielraum sukzessive erweitert, das eigenständige Arbeiten ermöglicht, mit einem entsprechend Berufsgesetz sowie Kassenabrechnungsmodellen, etc. Und natürlich muss die fachliche Weiterqualifizierung mit mehr Geld verbunden sein. Wenn man in diese Richtung denkt, bin ich überzeugt davon, dass man den Beruf für junge Menschen attraktiver gestalten kann. In diesem Kontext sollte unbedingt vermieden werden, dass der Pflegeberuf als etwas dargestellt wird, das jeder machen kann und im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik auch jedem Arbeitssuchenden vermittelt werden kann. Menschen sollen sich bewusst für den Beruf entscheiden. Der Pflegeberuf muss nicht als Berufung empfunden werden, aber auf einer bewussten Entscheidung beruhen. Und es braucht Vorbilder, Rollenmodelle, die es schaffen zu inspirieren und aufzuzeigen, was professionelle Pflege imstande ist zu bewirken. Ich spreche hier nicht von Nurse Ratched, Nurse Jackie oder den Pflegepersonen in Serien wie Emergency Room und Co. Nein, ich spreche von Pflegepersonen, die authentische Geschichten erzählen, die man gerne anhört und die Emotionen auslösen, wo man gerne ein Teil davon wäre. Und letztlich glaube ich kann das Image der Pflege in erster Linie durch Pflegepraxis selbst aufgewertet werden. Und dazu braucht es einen „Professionalisierungsschub“ sowie Berufsstolz.
BC: Wo sind die Herausforderungen in der Langzeitpflege?
Bedingt durch den soziodemografischen Wandel ist die Pflege ganz generell ein sehr belasteter Bereich. Es wird hier zu großen Problemen kommen und vor allem die Langzeitpflege wird sehr betroffen sein. Das liegt vor allem daran, dass der Langzeitbereich, im Vergleich zur Akut- oder Intensivpflege, eher unbeliebt ist. Vor allem für hochqualifizierte Pflegepersonen. Eine oftmals sehr negative, einseitige und schuldsuchende mediale Berichterstattung (v.a. auch in Zeiten der Covid-19 Pandemie) über den Langzeitpflegebereich trägt dabei nicht zu einer Verbesserung und Attraktivitätssteigerung bei. Zusätzlich hat man vor allem im städtischen Bereich durch einen hohen Anteil an Arbeitsmigration unterschiedliche Kulturen und die damit verbundenen Sprachbarrieren. Der hohe Grad an unterschiedlichen Qualifikationsgraden mit den entsprechenden Herausforderungen wurde bereits besprochen. Also, eine Kultur des Lernens zu etablieren ist sicher eine große Herausforderung. Aber, ich glaube, der Langzeitbereich bietet viel Potential, vor allem auch für APNs, nämlich dann, wenn auch die Führungsebene zulässt jene Fähigkeiten, die man im Studium erworben hat, umzusetzen. Ich denke, dadurch kann man gerade im Langzeitpflegebereich wirklich viel bewirken. Man ist dann eine Schnittstelle zwischen Pflegemanagements und der Basis und kann Probleme anders erfassen, reflektieren und bearbeiten. Nicht zu vergessen ist die Advokatenfunktion die APNs für Bewohner*innen einnehmen. Das erlebe ich in meinem Unternehmen sehr intensiv.
BC: Wo sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in der Pflege?
Ein ganz großes Thema ist natürlich die Finanzierbarkeit, dann liegt der Fokus generell noch zu sehr auf Krankheit und zu wenig auf Gesundheit – hier braucht es meiner Meinung nach einen Paradigmenwechsel, auch hinsichtlich der Leistungsfinanzierung. Und natürlich das Image der Pflege. Die zentralen Fragen lauten: Wie gewinnt man Menschen für diesen Beruf? Wie kann man Fachkräfte möglichst lange im System behalten? D.h. die Attraktivität des Berufs muss durch Anreize wie Fachkarrieren und vieles mehr gesteigert werden. Ein weiteres großes Thema ist die Gesundheitsförderung. Da geht es vor allem auch um die psychische Belastung des Personals. Welche Themen gehen ihnen an die Substanz? Wo sind die wirklichen Probleme im Alltag? Stichwort: Moral Distress. Die Pflegepersonen müssen dazu zu Wort kommen, auch auf politischer Ebene. Dem Leadership kommt dabei eine große Rolle zu. Gemeinsam in den Teams müssen Lösungen erarbeitet werden. Die psychische Belastung von Pflegepersonen muss wahrgenommen und eine authentische Teamkultur gefördert werden. Es braucht in vielen Bereichen eine Endtabuisierung bspw. was negative Emotionen in der Pflege betrifft. Bedingt durch Corona rechnen wir mit einem erhöhten Pflege-Exit, der weniger mit der Arbeitslast, sondern viel mehr mit der psychischen Belastung zu tun hat.
Veranstaltungstipp:
Pflege-Management Forum am 2. / 3. September 2021