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Die geopolitische Zeitenwende als Herausforderung für Unternehmen und Banken

Als der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Sommer 1989 das Ende der Geschichte postulierte, stießen seine Thesen auf starken Widerspruch. Heute, fast genau 35 Jahre später, sind sie aufgrund eines anhaltenden Krieges in Europa und zahlreicher weiterer Konflikte weltweit endgültig widerlegt. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat zurecht von einer geopolitischen Zeitenwende gesprochen. Was bedeutet sie für Unternehmen und Banken?

Eine zentrale Herausforderung stellt aus meiner Sicht die Neuausrichtung der globalen Lieferketten dar. Bereits die Covid-Pandemie hat ihre Verletzlichkeit vor Augen geführt. Damals ging es vor allem um Lieferengpässe aufgrund von Fabrikschließungen in Asien. Mit der militärischen Bedrohung von bedeutenden Handelswegen ist nun eine weitere Dimension hinzugekommen. Unternehmen müssen sich mehr denn je die Frage stellen, ob ihre Lieferketten robust sind, ob sie diese stärker als bislang diversifizieren müssen und ob sie nicht eventuell Nearshoring von entscheidenden Bestandteilen der Lieferketten in Betracht ziehen sollten. Glaubt man renommierten Politikwissenschaftlern und Historikern, wird es vermutlich eine ganze Weile dauern, bis sich ein neues globales Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Großmächten herausgebildet hat. Der Zeitraum dazwischen wird von geopolitischen Risiken und Konflikten geprägt sein.

Die kontinuierliche Analyse und Bewertung dieser Risiken müssen daher zum festen Bestandteil der Steuerung von global ausgerichteten Unternehmen werden. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Banken, sind sie doch deren wichtigster Dienstleister. Traditionell sind Banken sehr gut aufgestellt, was die Bewertung von wirtschaftlichen Risiken angeht. Hier können sie auf einen breiten Fundus an Daten und Erfahrungen zurückgreifen. Wir Banken haben eine sehr gute Vorstellung davon, was es für einen Industriesektor bedeutet, wenn sich bestimmte makroökonomische Indikatoren verschlechtern. Wir müssen zukünftig noch besser verstehen, welche geopolitischen Entwicklungen die Lieferketten unserer Kunden bedrohen könnten. Mehr noch, wir müssen unsere Kunden aktiv bei der Diversifizierung ihrer Lieferketten unterstützen. Sei es beispielsweise durch die Finanzierung von neuen Produktionsstätten oder bei der Erschließung von neuen Produktionsstandorten.

Wir müssen als Bank nicht selbst in jedem Land vor Ort sein, in dem unsere Kunden zukünftig produzieren möchten, aber wir müssen geeignete und flexible Trade- und Export Finance Instrumente entwickeln sowie Korrespondenzbankbeziehungen zu vertrauenswürdigen lokalen Banken verfügen – und zwar bereits bevor unsere Kunden dorthin expandieren. Um es mit der kanadischen Eishockey-Legende Wayne Gretzky zu sagen:

Wir müssen dorthin laufen, wo der Puck sein wird, nicht dorthin, wo er war“.

Die Autorin

Valerie Brunner ist Vorständin für CIB Customer Coverage bei der Raiffeisen Bank International AG.

Veranstaltungstipp

CFO Forum | 25. / 26. April 2024, Stegersbach

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