Das Vergabeverfahren und was bei der Formulierung einer Festlegung zu beachten ist
Von Dr. Sebastian Feuchtmüller, FSM Rechtsanwälte: Was bei der Formulierung einer Festlegung im Vergabeverfahren zu beachten ist, damit diese in der vom Auftraggeber gewünschten Art und Weise bestandfest wird, zeigt ein aktuelles Erkenntnis des VwGH.
Hintergrund zur Bestandfestigkeit von Auftraggeber Entscheidungen
An einem Vergabeverfahren teilnehmende Unternehmer können rechtswidrige Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers in einem Nachprüfungsverfahren bekämpfen. Anfechtbar sind z.B. die Ausschreibungsunterlagen, die Ausscheidens- und Zuschlagsentscheidung sowie sonstige Festlegungen während der Angebotsfrist. Zu letzteren zählen u.a. Fragebeantwortungen oder Berichtigungen der Ausschreibung.
Zur Gewährleistung einer möglichst effizienten Abwicklung eines Vergabeverfahrens legt das Bundesvergabegesetz 2018 (kurz „BVergG 2018“) in § 343 BVergG 2018 bestimmte Anfechtungsfristen fest. Wird eine Entscheidung nicht fristgerecht angefochten, wird diese bestandfest und kann nicht mehr in einem späteren Rechtsmittelverfahren aufgegriffen werden. Diese sogenannte Präklusionswirkung tritt gerade auch dann ein, wenn es sich um rechtswidrige Auftraggeberentscheidungen handelt (z.B. VwGH 18.08.2017, Ra 2017/04/0077; 21.12.2016, Ra 2016/04/0132).
Sachverhalt
Eine Auftraggeberin führte ein Vergabeverfahren zur Beschaffung von Papierhandtuchrollen nach dem Billigstbieterprinzip durch. Als technische Anforderung war in den Ausschreibungsrollen Folgendes festgelegt:
„Papierhandtuchrollen 2‑lagig, weiß, Tork Matic Rollenhandtuch Advanced 290067 oder gleichwertig
Passend für die bereits vorhandenen Tork Matic Rollenhandtuchspender Weiß H1 (Art. 55 10 00)“ (Hervorhebungen nicht im Original)
Auf die Anfrage, ob ein Rollenhandtuch mit der gleichen Rollenbreite und Rollenlänge wie das in der Ausschreibung angegebene Leitprodukt als gleichwertig anzusehen sei, teilte die Auftraggeberin im Rahmen der Fragebeantwortung mit:
„Ja, dies ist gleichwertig. Die Handtuchrollen müssen aber mit dem Tork-Rollenhandtuchspender gemäß LV kompatibel sein (daher muss der Hersteller der Tücher ident mit dem Spender sein).“ (Hervorhebungen nicht im Original)
Die Fragebeantwortung wurde nicht bekämpft. Die Auftraggeberin schied das Angebot der präsumtiven Billigstbieterin in Folge mit der Begründung aus, dass die Handtuchrollen – entgegen der bestandfesten Festlegung in der Fragebeantwortung – nicht kompatibel mit dem Spendersystem seien und erteilte den Zuschlag an das zweitbilligste Angebot. Das zuständige Verwaltungsgericht erklärte die Ausscheidens- und Zuschlagsentscheidung für nichtig. Die Auftraggeberin erhob gegen diese Erkenntnis außerordentliche Revision.
Need to know: Wissens- und Willenserklärungen
Während Willenserklärungen nach h.A. auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen – z.B. Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und/oder Pflichten – gerichtet sind (so z.B. OGH 30.09.2020, 5 Ob 149/20b), fehlt es reinen Wissenserklärungen an diesem – auch Erklärungs- oder Festlegungswille genannten – Rechtsfolgewillen. Der Erklärende teilt bloß seine Vorstellungen über bestimmte Tatsachen mit, ohne daran bestimmte Rechtsfolgen knüpfen zu wollen (RIS-Justiz RS0120267).
Ob eine Äußerung eine Willens- oder Wissenserklärung darstellt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Im vergaberechtlichen Kontext ist nach der stRsp des VwGH danach zu fragen, wie die fragliche Äußerung nach dem „objektiven Erklärungswert“ von einem durchschnittlich fachkundigen interessierten Unternehmer, Bewerber oder Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt verstanden wird (z.B. VwGH 30.03.2021, Ra 2019/04/0068). Der tatsächliche Wille des Auftraggebers ist nicht relevant, soweit er diesen den Adressaten nicht mitteilt.
In der Regel sind die Festlegungen eines Auftraggebers in einem Vergabeverfahren als Willenserklärungen zu qualifizieren. Auftraggeber möchten durch diese etwa verbindlich vorgeben, wie Bieter ihre Angebote auszuarbeiten haben. Der seltenere Fall einer unverbindlichen Wissenserklärung kann etwa dann vorliegen, wenn der Auftraggeber in der Ausschreibung eine komplizierte Vorgabe mit einem Beispiel erklären möchte, im Beispiel aber einen Fehler macht.
Wie durch die Zweifelsregelung aus einer Willens- eine Wissenserklärung werden kann
Der VwGH beurteilte den vorliegenden Sachverhalt wie folgt: Bei der Vorgabe der Auftraggeberin in der Fragebeantwortung – die notwendige Identität von Hersteller der Tücher und Spender – handle es sich mangels Erklärungs- und Festlegungswillen nicht um eine die Ausschreibungsunterlagen berichtigende Festlegung. Die Auftraggeberin habe durch diese reine Wissenserklärung bzw. Schlussfolgerung zum Ausdruck bringen wollen, dass nur Handtuchrollen des Herstellers des Spenders mit dessen Spendern kompatibel seien. Diese Auslegung ist insofern bemerkenswert, als sie dem klaren Willen der Auftraggeberin widerspricht. Diese stützte sich schließlich bereits in der Ausscheidensentscheidung auf die bestandfeste Festlegung in der Fragebeantwortung.
Auch die weitere Begründung ist höchst interessant: Ausgehend davon, dass Festlegungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen und im Zweifel gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen sind, ist anzunehmen, dass die Auftraggeberin keine den vergaberechtlichen Grundsätzen des freien Wettbewerbs und der Gleichbehandlung widersprechende Festlegung treffen wollte. Mit anderen Worten: Selbst wenn man gegenständlich das Vorliegen einer Willenserklärung bejahen würde, hätte diese aufgrund ihrer „Auslegungsbedürftigkeit“ einen anderen Inhalt als den von der Auftraggeberin gewollten.
Was ist nun zu beachten?
Auslegungsbedürftige und den gesetzlichen Bestimmungen widersprechende Festlegungen werden nach dieser wegweisenden Entscheidung wohl künftig danach beurteilt werden, ob die Abweichung „in eindeutiger, keinen Raum für Zweifel offen lassender Weise“ festgelegt wurde. Das ist m.E. insofern problematisch, als sich ein „Raum für Zweifel“ – gerade bei gesetzeswidrigen Festlegungen – i.d.R. schnell finden lässt. Im Ergebnis ist zu befürchten, dass das vorliegende Erkenntnis zu mehr Rechtsunsicherheit bei der Auslegung von Formulierungen in Ausschreibungen, Fragebeantwortungen etc. führen wird.
Um eine Weginterpretation einer Festlegung im Wege einer „gesetzeskonformen Auslegung“ zu verhindern, sollten Auftraggeber diese künftig besonders sorgfältig formulieren. Mein Tipp lautet daher: Am Beginn einer Fragebeantwortung oder sonstigen Mitteilung klarstellen, dass die nachfolgenden Angaben als verbindliche, die Ausschreibung ändernde bzw. berichtigende Festlegungen zu qualifizieren sind und bedeutende Informationen jedenfalls nicht in Klammerausdrücken formulieren.
Über den Autor
RA Dr. Sebastian Feuchtmüller ist Partner bei FSM Rechtsanwälte und im Vergabe- und Immobilienrecht tätig. Sein Schwerpunkt liegt dabei in der vergaberechtlichen Beratung und Vertretung von öffentlichen Auftraggebern und Bietern sowie in der Abwicklung komplexer Bau- und Immobilienprojekte. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit publiziert Sebastian Feuchtmüller regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen in juristischen Fachzeitschriften und Rechtskommentaren und hält Vorträge für Juristen und Mitarbeiter öffentlicher oder sektoraler Auftraggeber. RA Dr. Sebastian Feuchtmüller ist Vortragender beim Vergabeforum.