Das Auto als „diagnostischer Raum“ - Interview mit Lars-Peter Kamolz
Lars-Peter Kamolz, Med-Uni Graz spricht beim Digital Health Circle Vienna 2023 über das Auto als „diagnostischer Raum“. Im Vorfeld haben wir ihn zu diesem und anderen Themen befragt und ihm interessante Antworten zur Digitalisierung im Gesundheitswesen entlocken können. Sein „healthy“ Traumauto hat er uns auch verraten:
BC: Die Digitalisierung und Technologisierung im Gesundheitswesen schreitet mit hoher Geschwindigkeit voran. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen?
Lars-Peter Kamolz: Die rasante Digitalisierung im Gesundheitswesen, bekannt als Gesundheit 4.0, birgt viele positive Entwicklungspotentiale. Die nahtlose Integration von Gesundheitsdaten ermöglicht präzisere Diagnosen dank KI und Big Data. Wearables und Apps erlauben Patienten, ihre Gesundheit aktiv zu überwachen. Telemedizin bietet Fernberatung und -überwachung, besonders nützlich in ländlichen Gebieten. Technologien wie 3D-Druck verbessern maßgeschneiderte Implantate und Prothesen. Insgesamt wird Gesundheit 4.0 die Versorgung effektiver, zugänglicher und individueller gestalten, vorausgesetzt, Datenschutz und Ethik bleiben gewahrt.
BC: Neben Ihrer Tätigkeit an der Medizinischen Universität Graz sind Sie Institutsdirektor von COREMED, dem Zentrum für regenerative Medizin und Präzisionsmedizin der Joanneum Research. Können Sie uns Näheres zu Ihrer Forschungsarbeit erzählen?
Lars-Peter Kamolz: Die Regenerative Medizin hat das Potenzial, die Behandlung von Krankheiten und Verletzungen auf revolutionäre Weise zu verändern. Die Regenerative Medizin konzentriert sich darauf, beschädigte Gewebe und Organe im Körper zu regenerieren, zu reparieren bzw. zu ersetzen. Dabei werde auf unterschiedliche Technologien zurückgegriffen (z.B. Tissue Engineering, Zell-Therapie,..). Ein weiterer Teilbereich ist die induzierte Autoregeneration; sie geht noch einen Schritt weiter, indem sie auf den körpereigenen Regenerationsmechanismus abzielt. Hierbei werden natürliche Regenerationsprozesse stimuliert und unterstützt (z.B: durch Medikamente,..). Diese Ansätze haben das Potenzial, die Behandlung von akuten und v.a. chronischen Erkrankungen zu revolutionieren.
BC: In Ihrem Beitrag beim Digital Health Circle Vienna 2023 geht es um die automatisierte Erkennung des Gesundheitszustands mit dem Ziel das Wohlbefinden des Fahrers und die Verkehrssicherheit sowie Gesundheit im Allgemeinen zu fördern. Können Sie uns einen kleinen „Drive4Health“ Vorgeschmack geben?
Lars-Peter Kamolz: Das Fahrzeug der Zukunft verspricht eine aufregende Verschmelzung von Technologie und Mobilität. Mit einer Fülle von eingebauten Sensoren wird das Auto nicht nur zu einem Transportmittel, sondern auch zu einem intelligenten Partner für die Insassen. Diese Sensoren werden eine Vielzahl von Funktionen ermöglichen, von der präzisen Erfassung der Umgebung für autonomes Fahren bis hin zur Überwachung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Passagiere. Dank fortschrittlicher Sensortechnologie können Fahrzeuge in Echtzeit Daten zu Verkehrsbedingungen, Wetterverhältnissen und Straßenzustand sammeln und verarbeiten, um eine sichere und effiziente Fahrt zu gewährleisten. Darüber hinaus könnten biometrische Sensoren im Innenraum die Vitalparameter der Passagiere überwachen und auf Anzeichen von Müdigkeit oder Stress reagieren, indem sie beispielsweise geeignete Musik abspielen oder eine angenehme Klimatisierung gewährleisten. Die eingebauten Sensoren des Autos von morgen haben das Potenzial, das Fahrerlebnis auf ein neues Level zu heben, indem sie Sicherheit, Komfort und Effizienz nahtlos miteinander verbinden. Diese mittels Sensorik gemessen Daten bzw. Parameter plus die Daten von Wearables, die Insassen bereits heute sehr oft bei sich tragen und in Zukunft wahrscheinlich noch öfter verwenden werden, werden aber auch den Gesundheitszustand oder Änderungen des Gesundheitszustandes erkennen können. Immerhin verbringen wir sehr regelmäßig, viel Zeit im Auto – einerseits immer zu bestimmten Zeiten (beispielsweise in der Früh und Abend), anderseits auch in unterschiedlichen Zuständen (müde, gestresst, ..). Das heißt das Auto der Zukunft wird uns und unseren Gesundheitszustand sehr gut kennen und uns überen ein längeren Zeitraum von Jahren begleiten. D.h. das Auto von morgen wird nicht nur Zustände wie Müdigkeit und Stress, sondern wahrscheinlich auch andere Parameter wie Blutdruck, Herzfrequenz und vieles andere messen können und Änderungen im Laufe von Monaten und Jahren hinweg erkennen können. Ich glaube, dass das Auto von morgen also das Potential hat uns bei der Diagnostik und „Therapie“ unterstützen und somit einen möglichen Beitrag zur Gesundheit 4.0 leisten werden können. Wichtig ist aber, dass es dabei aber nicht nur um Möglichkeiten geht, sondern auch um Aspekte wie Datenschutz und Ethik, die natürlich gewahrt bleiben müssen.
BC: Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz? Welche Herausforderungen sehen Sie?
Lars-Peter Kamolz: Die Bedeutung künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext der Gesundheit 4.0 ist von unschätzbarem Wert. KI-Technologien tragen maßgeblich dazu bei, die Art und Weise zu verändern, wie medizinische Informationen erfasst, analysiert und genutzt werden. Durch die Verarbeitung großer Datenmengen und das Erkennen von Mustern hat KI das Potential Ärzte und Fachkräfte bei der Diagnosestellung und der Erarbeitung individueller Behandlungspläne zu unterstützen. Zudem ermöglicht KI eine personalisierte Medizin, bei der Therapien aufgrund von komplexen Daten präzise angepasst werden können. Diese Technologien optimieren nicht nur die Patientenversorgung, sondern tragen auch zur Beschleunigung medizinischer Forschung und Entwicklung bei. Insgesamt wird KI als integraler Bestandteil der Gesundheit 4.0 die Effizienz, Genauigkeit und Qualität der Gesundheitsversorgung in nie dagewesener Weise steigern. Voraussetzung aber auch hier sind natürlich, dass Aspekte wie Datenschutz und Ethik gewahrt bleiben müssen.
BC: In welchem Stadium befindet sich die Entwicklung eines solchen Autos?
Lars-Peter Kamolz: Die Zukunft hat bereits begonnen und vieles ist/ wäre bereits möglich.
BC: Zum Thema Auto und Gesundheit gibt es einige Projekte und auch Start Ups probieren sich in diesem Feld. Wie schätzen Sie den Markt hierfür ein?
Lars-Peter Kamolz: Ich glaube, dass sich hier zwei große Märkte treffen und ein riesiger neuer Markt entsteht.
BC: Wie würde Ihr „healthy“ Traumauto aussehen? Mit welcher Automarke würden Sie gerne für die Konstruktion kooperieren?
Lars-Peter Kamolz: Das Auto von Morgen wird zu einem „sozialen Wesen“ - Bisher lag der Fokus auf der Entwicklung von Auto-Sicherheitssystemen hauptsächlich auf „egoistischen“ Zielen: Die aktiven und passiven Sicherheitsmaßnahmen sollten Unfälle verhindern und die Insassen des eigenen Fahrzeugs schützen. Mit dem Aufkommen des autonomen Fahrens eröffnen sich neue Horizonte. In dieser Ära wird das Auto nicht nur für umweltfreundlichen Antrieb sorgen, sondern auch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer im Auge behalten können. Dank fortschrittlicher Sensorik und Künstlicher Intelligenz wird es möglich sein, umsichtig, rücksichtsvoll und vorausschauend zu agieren, um ein harmonisches Miteinander im Verkehrsraum zu fördern, anstatt sich in heutiger Weise auf Konkurrenz zu fokussieren. Dies wird nicht nur die Straßensicherheit erhöhen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit und Wohlbefinden aller Beteiligten im Verkehr leisten.
Ich kann mir eine Kooperation mit sehr sehr vielen Automarken vorstellen – wichtig ist nur, dass sie offen für Neues sind und dass der Mensch im Fokus des Handelns liegt.
Interview mit:
Vorstand und Leiter Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Med Uni Graz & JOANNEUM RESEARCH
Univ.-Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz MSc wurde am 11. März 1972 in Berlin geboren. Er hat Medizin an der Universität Wien, Medizinische Fakultät, Wien, Österreich (M.D.) studiert. Darüber hinaus hat er Qualitäts- und Prozessmanagement am Institut für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems, Österreich (M.Sc.) studiert. 2012 wurde er Professor für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie an der Klinischen Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Medizinische Universität Graz und Leiter der gleichnamigen Abteilung.
Darüber hinaus ist er Leiter der Forschungseinheit “Safety and Sustainability in Healthcare” und stellvertretender ärztlicher Direktor des LKH-Universitätsklinikums Graz. Seit 2018 ist er außerdem Direktor von COREMED – Zentrum für Regenerative Medizin und Präzisionsmedizin der Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH. Er hat außerdem Ausbildungen in Cambridge zum Thema “High Impact Leadership” und “Circular Economy and Sustainable Strategy” absolviert. Seit 2023 ist er Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie in Graz.
Veranstaltungstipp:
Digital Health Circle Vienna | 27. / 28. November 2023, Wien