Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Schneeberger, Sie haben größte Gericht in der Schweiz erfolgreich auf den Weg der Digitalisierung gebracht, was waren Ihre wichtigsten Learnings aus diesem Projekt?
David Schneeberger: Die Digitalisierung des größten Gerichts in der Schweiz hat gezeigt, dass eine klare und attraktive Vision essenziell ist, um ein aufeinander abgestimmtes Ökosystem zu schaffen, in dem Menschen im Mittelpunkt stehen und Technologie prozessunterstützend wirkt. Ein kritischer Erfolgsfaktor war die aktive Einbindung der Nutzer in den Digitalisierungsprozess, um sicherzustellen, dass die Technologie deren Bedürfnisse erfüllt und sie in die Lage versetzt, ihre Arbeit effektiver zu gestalten. Das klare Commitment der Führungsebene und der Mut zur Veränderung waren entscheidend, um die notwendigen Schritte zur Digitalisierung erfolgreich umzusetzen und eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und Innovation zu fördern.
BC: Eine KI ist nur so gut, wie die dahinterliegenden Algorithmen und die Datenbasis, mit der sie „gefüttert“ wird, dadurch kann ein kleiner Kreis von Personen einen großen Einfluss nehmen. Würden Sie es für notwendig halten, in Zukunft eine Art ethisches Zertifikat oder eine Selbstverpflichtung für KI-User zu etablieren?
Schneeberger: Die ethischen Herausforderungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI) erfordern mehr als nur die Einführung von Zertifikaten; sie erfordern einen bewussten und reflektierten Umgang mit der Technologie. Es ist wichtig, dass wir die Implikationen der Nutzung von KI gründlich bedenken und nicht unkritisch akzeptieren, ähnlich wie wir es bei Lehrmeinungen praktizieren. Diese Herangehensweise gewährleistet, dass wir die Potenziale von KI verantwortungsvoll nutzen, indem wir die Qualität und die Auswirkungen von KI-generierten Inhalten sorgfältig bewerten.
BC: Werden durch ChartGPT und den Einsatz künstlicher Intelligenz Juristen in Zukunft überflüssig oder einfach in ihren Aufgaben viel mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge haben?
Schneeberger: Künstliche Intelligenz, wie ChatGPT, wird Juristen nicht überflüssig machen, sondern vielmehr dazu befähigen, ihre Aufgaben effizienter zu erledigen und sich auf die wesentlichen Aspekte ihrer Arbeit zu konzentrieren. Der Einsatz von KI in der Rechtsbranche ermöglicht es, Routineaufgaben zu automatisieren und somit mehr Zeit für komplexe Rechtsanalysen, strategische Entscheidungsfindung und persönliche Mandantenberatung zu haben. Dies führt zu einer qualitativ hochwertigeren Rechtsberatung und stärkt die Rolle der Juristinnen und Juristen als unverzichtbare Berater in einer zunehmend digitalisierten Welt.
Juristische Fachkompetenz nutzen, um Gerechtigkeit zu fördern
BC: Daran anschließend: was wären denn in Ihren Augen die wirklich wichtigen Dinge, mit denen sich Juristen mehr beschäftigen sollten?
Schneeberger: Die wirklich wichtigen Dinge, mit denen sich Juristen mehr beschäftigen sollten, umfassen die kritische Analyse und Interpretation komplexer Rechtsfragen, die persönliche Beratung und Betreuung von Mandantinnen und Mandanten sowie die Weiterentwicklung des Rechts im Einklang mit gesellschaftlichen Veränderungen. Juristinnen und Juristen sollten ihre Fachkompetenz nutzen, um Gerechtigkeit zu fördern, den Zugang zum Recht zu verbessern und innovative Lösungen für rechtliche Herausforderungen zu entwickeln. Die Fähigkeit, über den Tellerrand hinauszuschauen und interdisziplinäre Perspektiven zu integrieren, wird immer wichtiger.
BC: Gibt es wesentliche Unterschiede im Management einer Universität im Vergleich zur freien Wirtschaft?
Schneeberger: Obwohl es viele Parallelen im Management von Universitäten und Unternehmen gibt, wie die Bedeutung von Finanzen, Marktpositionierung, regulatorischen Vorgaben und der Notwendigkeit ständiger Weiterentwicklung der eigenen Dienstleistungen und Produkte, gibt es auch deutliche Unterschiede. Während Universitäten primär Bildungs- und Forschungsziele verfolgen, stehen in der freien Wirtschaft Profitabilität und Marktwachstum (stärker) im Vordergrund, was eine differenzierte Herangehensweise in Management und Strategieentwicklung erfordert. Während in beiden Konstellationen der Umgang mit spezifischen Stakeholder-Gruppen zentral und die Rolle von Prozessen nicht unterschätzt werden können, unterscheiden sich doch die entsprechenden Ziele und Herausforderungen.
BC: Zur universitären Ausbildung: Wird das Wechselspiel von Legal und IT in den Studienplänen genug berücksichtigt und was müsste als erstes geändert werden?
Schneeberger: Beim Einbeziehen von Legal Tech und IT in die universitäre Ausbildung ist es wichtig, ein Gleichgewicht zu finden, um sich nicht zu sehr auf spezifische Applikationen zu fokussieren, sondern vielmehr eine breite und flexible Grundlage zu schaffen. Dies unterstreicht den Wert des lebenslangen Lernens, bei dem auch Juristinnen und Juristen durch diverse Aus- und Weiterbildungsangebote ermutigt werden, sich kontinuierlich mit neuen Technologien und deren Anwendungen auseinanderzusetzen. Indem wir den Schwerpunkt auf die Vermittlung von Fähigkeiten legen, die es ermöglichen, sich schnell an wechselnde Technologien anzupassen, bereiten wir die Studierenden darauf vor, in einer sich ständig wandelnden juristischen Landschaft erfolgreich zu sein und gleichzeitig die Bedeutung kritischen Denkens und ethischer Überlegungen im Umgang mit Technologie zu betonen.
BC: Abschließend: Sie sind zum ersten Mal bei uns, was erwarten Sie persönlich von der Konferenz und Ihrem Besuch in Wien?
Schneeberger: Von meinem ersten Besuch bei der Vienna Legal Innovation erwarte ich spannende Einblicke in die neuesten Trends und Entwicklungen im Bereich Legal Tech und die Gelegenheit, mich mit führenden Expertinnen und Experten aus dem D-A-CH-Raum auszutauschen. Ich freue mich darauf, innovative Use Cases kennenzulernen, die zeigen, wie Technologie die juristische Arbeit effizienter und effektiver machen kann. Persönlich hoffe ich, inspirierende Ideen und Strategien mitzunehmen, die ich in meiner eigenen Arbeit umsetzen kann, um die Digitalisierung im Rechtsbereich weiter voranzutreiben.
Dr. David Schneeberger ist promovierter Rechtsanwalt und arbeitet seit Mai 2023 als Generalsekretär an der Universität St. Gallen. Vorab hat er das größte Gericht (Bundesverwaltungsgericht) in der Schweiz erfolgreich auf den Weg der Digitalisierung gebracht. Er ist zudem Militärrichter und publiziert regelmäßig in den Bereichen Arbeits- und Vertragsrecht. Im Rahmen der Vienna Legal Innovation gibt er einen Impulstalk zu Thema „ChatGPT im juristischen Berufsalltag: ein wertvoller Helfer!“