• Vertrauen schaffen, Risiken minimieren: ESG-Ratings und Compliance

Von Eva-Maria Ségur-Cabanac, Julia Digruber und Florian Puchinger, Baker McKenzie: Zu einer verantwortungsvollen Unternehmensführung gehört es heutzutage, Nachhaltigkeitsaspekte in den Geschäftsbetrieb einzubeziehen. Umwelt, Soziales und Governance (ESG) sind nicht mehr bloß Begriffe, sondern sind zu messbaren Faktoren geworden, die die Performance eines Unternehmens – zum Teil erheblich – beeinflussen.

So lässt sich das Greenwashing-Risiko im Zusammenhang mit ESG-Ratings gering halten.

ESG-Ratings, welche die Nachhaltigkeitspraktiken und -leistungen eines Unternehmens bewerten, sind zu einem wesentlichen Instrument für Unternehmen in ihren Geschäftsbeziehungen geworden. ESG-Ratings und Compliance wirken dabei wechselseitig aufeinander ein: Zum einen wirkt sich ein funktionierendes Compliance-Management-System (CMS) positiv auf die Bewertung des Faktors "G" aus, zum anderen gehen mit ESG-Ratings auch gewisse Risiken für den Compliance-Bereich einher.

ESG-Ratings und ihre Tragweite

ESG-Ratings bieten Einblick in die Umweltauswirkungen (E), soziale Verantwortung (S) und Governance-Praktiken (G) eines Unternehmens und dienen dazu, die Nachhaltigkeitsbemühungen eines Unternehmens zu evaluieren. Sie stellen daher zunehmend einen entscheidenden Faktor für Investoren, Kunden und andere Stakeholder bei der Gestaltung ihrer Beziehungen mit dem Unternehmen dar. Unternehmen greifen auf ESG-Ratings zurück, um besser zu verstehen, welche Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen mit ihren eigenen Tätigkeiten oder denen ihrer Partner verbunden sind und wie sie diesbezüglich im Vergleich zu anderen Unternehmen der Branche abschneiden.
Zu diesem Zweck sammeln ESG-Ratingagenturen verschiedenste ESG-Daten von Unternehmen, um diese anschließend zu analysieren und zu bewerten. Derzeit ist jedoch ein einheitliches Vorgehen bei der Bewertung durch ESG-Ratingagenturen weder faktisch vorhanden noch regulatorisch vorgesehen, weshalb die Ergebnisse je nach Agentur höchst unterschiedlich ausfallen können. Darüber hinaus fehlen Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten, wie diese etwa bei (Credit-)Ratingagenturen vorgesehen sind. Umgekehrt nimmt die Nachfrage nach ESG-Ratings weiterhin zu, da sich Unternehmen durch eine positive ESG-Bewertung verbesserte Reputation, größeres Interesse auf Investorenseite und Erleichterungen bei der Finanzierung versprechen.

ESG-Ratings und ihre Gefahren

Auch wenn vorteilhafte ESG-Ratings auf den ersten Blick große Wettbewerbsvorteile mit sich zu bringen scheinen, sind ESG-Ratings doch mit Vorsicht zu genießen: Die große Anzahl an ESG-Ratingagenturen (einer veröffentlichten Stellungnahme der ESMA [Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde] zufolge sind insgesamt 59 ESG-Ratingagenturen zum Stand Juni 2022 in der EU tätig) und deren unterschiedliche Herangehensweisen hinsichtlich der zu erfassenden Daten sowie der Methodik der Berechnung des Ratings bergen das Risiko für "Rosinenpickerei", worunter man versteht, dass Unternehmen nur das Vorteilhafteste der ihnen von unterschiedlichen Ratingagenturen verliehenen ESG-Ratings veröffentlichen. Dies kann, insbesondere im Zusammenspiel mit der mangelnden Zuverlässigkeit und Qualität mancher ESGRatings, zu Greenwashing führen, wenn Unternehmen sich als nachhaltiger präsentieren, als sie tatsächlich sind. Die Auswahl von ESG-Ratings kann sohin mit Reputationsschäden, Unterlassungsklagen und finanziellen Einbußen in Verbindung stehen.
Für Unternehmen empfiehlt es sich daher, bei der Wahl und Veröffentlichung von ESG-Ratings äußerst sorgfältig vorzugehen, sowie interne Kontrollmechanismen zu implementieren, um das Greenwashing-Risiko im Zusammenhang mit ESG-Ratings möglichst gering zu halten und weiterhin von den positiven Effekten der ESG-Ratings profitieren zu können. Klar vordefinierte Prüfungsmechanismen (bspw. Recherche hinsichtlich der Reputation der ESG-Ratingagenturen, Vier-Augen-Prinzip etc) bei der
Auswahl der ESG-Ratings können Abhilfe schaffen und etwaige Risiken minimieren.

Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)

Die Bewertung eines Unternehmens basiert auf vom Unternehmen zur Verfügung gestellten ESG Daten, Faktoren und Zielen. Diese werden in Zukunft von einer großen Anzahl an Unternehmen infolge der EU-Taxonomie und der Umsetzung der CSRD in sehr detaillierter und engmaschig regulierter Form erstellt und veröffentlicht sowie von einem akkreditierten unabhängigen Dritten geprüft werden müssen. Die Daten haben nach dem in der CSRD vorgesehenen Prinzip der "doppelten Wesentlichkeit" sowohl die Auswirkungen der eigenen Tätigkeit auf Umwelt und soziale Aspekte (inside-out) als auch die Auswirkungen von Umwelt und sozialen Aspekten auf das eigene Unternehmen (outside-in) zu berücksichtigen. Je zuverlässiger, detaillierter und standardisierter die verfügbaren Daten sind, desto weniger wird es künftig erforderlich sein, Lücken anhand von Schätzungen zu schließen oder bei der Bewertung auf unterschiedliche Daten
zurückzugreifen. ESG-Ratings werden daher in Zukunft auf ein umfangreicheres und zuverlässigeres Datensubstrat aufbauen können, was die Vergleichbarkeit von Unternehmen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Umwelt bzw soziale Themen für deren Stakeholder erheblich erhöhen sollte.

Verordnung über die Transparenz und Integrität von Rating-Tätigkeiten im ESG-Bereich

Der derzeitige Markt für ESG-Ratings leidet unter teils gravierenden Mängeln und funktioniert in seiner derzeitigen Form nicht zweckgemäß, da weder die Anforderungen der Investoren noch jene der bewerteten Unternehmen an ESG-Ratings erfüllt werden und das Vertrauen in die Ratings sohin untergraben wird.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission Mitte Juni einen Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines einheitlichen Regulierungsansatzes hinsichtlich ESG-Ratings veröffentlicht. Konkret zielt der Vorschlag darauf ab, die Qualität der Informationen zu ESG-Ratings zu verbessern, indem einerseits die Transparenz hinsichtlich der verarbeiteten Daten und Bewertungsmethoden von ESG-Ratings verbessert und andererseits mehr Klarheit über die Tätigkeiten von ESG-Ratingagenturen, einschließlich Regeln über Interessenkonflikte, geschaffen werden soll.
Der Vorschlag sieht vor, dass ESG-Ratingagenturen einen Zulassungsprozess zu durchlaufen haben und nur nach Erteilung der Zulassung durch die ESMA ihrer Tätigkeit am europäischen Markt nachgehen dürfen. Teil dieses Prozesses ist ein Zulassungsantrag, welcher unter anderem die angewandte Strategie oder Verfahren zur Ermittlung, Bewältigung und Offenlegung von Interessenkonflikten enthalten muss.

Durch diesen Filter soll es zu einer Verringerung der Anbieter und zu einer Erhöhung der Qualität der Ratings kommen. Zudem sollen zugelassene Ratingagenturen verpflichtet werden ihre verwendeten Methoden, Modelle und grundlegenden Annahmen der Öffentlichkeit offenzulegen (bspw sollen sie auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz [KI] verweisen). Weiters sollen ESG-Ratingagenturen zusätzlichen Offenlegungspflichten gegenüber Nutzern, welche nach CSRD berichtspflichtig sind, unterliegen und diesen Unternehmen einen detaillierten Überblick über die Rating-Methoden und verwendeten Datenquellen (öffentlich oder nichtöffentlich) verschaffen. Diese Angaben sollen unter anderem auch Erläuterungen enthalten, ob sich die Daten aus den Europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards (ESRS) ergeben.
Der Trend der erhöhten Transparenz wird damit voraussichtlich auch vor ESG-Ratings keinen Halt machen und dazu beitragen, dass Unternehmen eine fundierte Entscheidung hinsichtlich der Wahl des ESG-Ratings treffen können, ohne der Gefahr von Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt zu sein.

FAZIT

ESG-Ratings sind nicht nur eine Messlatte für die Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen, sondern haben auch das Potenzial, das Ansehen und den Erfolg eines Unternehmens maßgeblich zu beeinflussen. Jedoch bergen sie zur Zeit auch Risiken insbesondere im Zusammenhang mit Greenwashing, die nicht unterschätzt werden sollten.
Auf Ebene der Unternehmen erfordert die Bewältigung dieser Risiken eine sorgfältig geplante und gut integrierte Compliance-Strategie, die die Genauigkeit der zur Verfügung gestellten Nachhaltigkeitsdaten sicherstellt, sich an sich ändernde ESG-Standards anpasst und klare Prüfungsprozesse bei der Auswahl der ESG-Ratings und der Vermeidung von Interessenskonflikten definiert. Unternehmen, die diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen, können nicht nur ihre ESG-Bewertung verbessern, sondern auch das Risiko von Greenwashing minimieren und somit das Vertrauen ihrer Stakeholder stärken und insgesamt nachhaltiger agieren.

Der Text erschien zuerst in der „Compliance Praxis“

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RA Dr. Eva-Maria Ségur-Cabanac, LL.M. ist Partnerin bei Baker McKenzie in Wien mit Schwerpunkt auf M&A und Kapitalmarkttransaktionen. Darüber hinaus ist sie Teil des Leadership Teams der globalen ESG Praxis von Baker McKenzie und berät EU und nicht EU Unternehmen im Zusammenhang mit den wachsenden rechtlichen Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und ESG. Sie ist im Fachbeirat des Austrian Sustainability Summit und am 21. März 2024 zusammen mit Bundesministerin Alma Zadić Gastgeberin eines Updates zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. 
Julia Digruber und Florian Puchinger sind im ESG-Team bei Baker McKenzie in Wien.

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