Michael Dessulemoustier-Bovekercke ist Geschäftsführer der Mazars Austria GmbH. Im Interview sprechen wir über das Verständnis von ESG-Kennzahlen und wie das dazu beitragen kann, das gesamte Risikomanagement eines Unternehmens ganzheitlich und nachhaltig zu gestalten.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Dessulemoustier-Bovekercke, Sie beschäftigen sich schon länger mit den regulatorischen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, warum ist Ihnen das so wichtig?
Michael Dessulemoustier-Bovekercke: Es ist von entscheidender Bedeutung für mich als Unternehmer, Geschäftsführer und Arbeitgeber, mich frühzeitig mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Das verlangt jedoch die entsprechende Regulatorik, um die Umsetzung voranzutreiben. Unternehmen, die Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil ihrer Gesamtstrategie betrachten und effektive Governance-Strukturen für ESG-Themen etablieren, können zahlreiche Vorteile erzielen. Diese reichen von Wettbewerbsvorteilen über die Realisierung von Win-win-Potenzialen (durch gezielte Suche nach Möglichkeiten, einen positiven sozialen oder ökologischen Einfluss mit wirtschaftlichen Vorteilen zu vereinen) bis hin zur Steigerung der Motivation der Mitarbeiter:innen und niedrigeren Kapitalkosten.
Persönlich betrachte ich das Thema Nachhaltigkeit als unverzichtbar, auch in meiner Rolle als Vater von vier Kindern. Es ist meine Verantwortung, meinen Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, daher ist es für mich entscheidend, Nachhaltigkeit aktiv zu fördern und in meinem beruflichen Handeln zu verankern.
BC: Was sind die wichtigsten Kriterien für ein ganzheitliches und nachhaltiges Risiokomanagement?
Dessulemoustier-Bovekercke: Aus meiner Sicht sollte das Risikomanagement alle relevanten Bereiche und Prozesse des Unternehmens abdecken und nie isoliert betrachtet werden, das gilt auch für die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten wie Umwelt oder soziale Risiken. Die frühzeitige Identifikation von potentiellen Risiken ist dabei ebenso von Bedeutung wie das Risikobewusstsein und die Sensibilisierung für das Thema. Risikomanagement ist ein fortlaufender Prozess, und muss daher regelmäßig überprüft, aktualisiert und an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden.
BC: Welches ist in Ihren Augen die beste Strategie, um potenziellen Greenwashing-Vorwürfen am besten zu begegnen?
Dessulemoustier-Bovekercke: Die Glaubwürdigkeit von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit wird immer bedeutender. Die „Green Claims Directive“ der EU-Kommission, veröffentlicht im März 2023, stellt hier eine wichtige Richtlinie dar und hilft Unternehmen dabei, sich gegen ungerechtfertigte Greenwashing-Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Die Richtlinie betrifft insbesondere Unternehmen, die mit nachhaltigen Produkten werben und verlangt, dass umweltbezogene Aussagen belegt werden. Das Beachten der „Green Claims Directive“ wird durch das gestärkte Beschwerderecht zu einem potenziell teuren Reputations- und Rechtsrisiko. Bereits heute sind die rechtlichen Risiken im Bereich Nachhaltigkeit erheblich, wie die steigende Zahl von Klagen und Abmahnungen zeigt. Die Einführung der Richtlinie könnte diese Zahl weiter erhöhen. Daher ist es ratsam, nachhaltigkeitsbezogene Aussagen wie „Öko“, „Klima“ und „Umwelt“ kritisch zu hinterfragen und das Thema „Greenwashing“ als neue Risikoklasse ins Compliance- und Risikomanagement zu integrieren. Die Konsistenz und Verlässlichkeit der Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen wird daher ein entscheidender Faktor in der zukünftigen Unternehmensberichterstattung sein.
BC: Denken Sie, dass ESG-Daten so wichtig werden wie Finanzkennzahlen und welches wäre die wichtigste Konsequenz, die Unternehmen daraus zu ziehen haben?
Dessulemoustier-Bovekercke: Die Integration von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren in die Unternehmensstrategie und -berichterstattung gewinnt zunehmend an Bedeutung und hat laut unserer neuesten C-Suite Studie für die meisten Top-Manager:innen weltweit höchste Priorität, wenn es um geplante Investitionen geht. Die wichtigste Konsequenz für Unternehmen könnte darin liegen, dass sie ESG-Daten nicht mehr nur als separate Kennzahlen betrachten, sondern als integrierten Bestandteil ihrer Gesamtperformance, der sowohl langfristigen finanziellen Erfolg als auch gesellschaftlichen Nutzen unterstützt. Es ist daher ratsam, sich schon heute mit der Integration von ESG-Daten in die Unternehmensführung auseinanderzusetzen, um langfristigen Erfolg zu gewährleisten.
ESG nicht nur als lästige Regulatorik sehen, sondern damit zu einer lebenswerten Zukunft beitragen.
BC: Gibt es aus Ihrer Beratungspraxis eine besondere Erfolgsstory oder ein Best-Practise Beispiel, wie es gelingen kann, einen positiven sozialen oder ökologischen Impact mit ökonomischen Vorteilen zu verbinden?
Dessulemoustier-Bovekercke: Sehr viele Unternehmen, die wir derzeit im Bereich der Nachhaltigkeit unterstützen dürfen, haben das Thema anfangs als reine regulatorische Compliance betrachtet und keinen unmittelbaren Nutzen abgeleitet. Für mich ist Erfolg, wenn es gelingt im Rahmen unserer Beratung, die Unternehmerinnen und Unternehmer davon zu überzeugen, dass es nicht nur um „reine“ Berichterstattung ohne Inhalt geht, sondern dass die Beschäftigung mit ESG tatsächlich relevant für das eigene Risikomanagement, die strategische Ausrichtung und die langfristige Sicherung des geschäftlichen Erfolgs ist. Dies gelingt zumeist nur mit einem pragmatischen Ansatz, denn es geht in erster Linie nicht darum, potentieller Klassenbester einer Branche zu werden, sondern dass möglichst alle Unternehmen an einem Strang ziehen. Jeder Beitrag der geleistet werden kann, wird zu einer nachhaltigen und lebenswerten Zukunft für künftige Generationen beitragen.
BC: „Wir haben eine Abteilung für Nachhaltigkeitsmanagement, wir sind nachhaltig“: Das allein reicht nicht. Wie kann es am besten gelingen, das gesamte Unternehmen mit ins Boot zu nehmen?
Dessulemoustier-Bovekercke: Um ein Unternehmen ganzheitlich für Nachhaltigkeit zu gewinnen, ist eine umfassende und integrierte Strategie erforderlich, bei der alle Mitarbeiter:innen einbezogen werden. Wichtige Faktoren dabei sind die Unterstützung der Unternehmensführung, die Kommunikation von Nachhaltigkeit als strategischer Unternehmenswert, Schulungen zu dem Thema, um das Bewusstsein zu schärfen sowie eine transparente Kommunikation über Maßnahmen, Ziele und Fortschritte. Eine Einbindung aller Stakeholder halte ich ebenfalls für unerlässlich. Durch die Implementierung eines ganzheitlichen Ansatzes, der alle Ebenen des Unternehmens einbezieht, kann Nachhaltigkeit fest in der Unternehmenskultur verankert werden.
BC: Abschließend etwas Persönliches: Wir gehen ja jetzt schon ein längeres Stückchen gemeinsamen Weges. Wie ist Ihr Eindruck von Business Circle Konferenzen, warum kommen Sie gerne wieder?
Dessulemoustier-Bovekercke: Der Wissenstransfer, den ich dort erlebe, ist einfach unbezahlbar. Die Möglichkeit zum Netzwerken und fachlichen Austausch mit Personen aus unterschiedlichsten Branchen und Unternehmen ist für mich neben der Vielfalt an Themen und Referenten, die Expertise und neue Perspektiven bieten, einer der wichtigsten Faktoren eure Konferenzen immer wieder gerne zu besuchen und als Vortragender zu unterstützen.
BC: Danke für das Gespräch! Wir freuen uns, dass Ihr beim Sustainability Summit und anderen unserer Foren wieder als Partner mit dabei seid.
Michael Dessulemoustier-Bovekercke ist Geschäftsführer der Mazars Austria GmbH und beschäftigt sich schon länger intensiv mit den regulatorischen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Er ist Certified ESG & Sustainability Professional und ÖGNI Registered Professional. Beim Austrian Sustainability Summit am 21. / 22. März 2024 ist er Gastgeber eines Workshops zum Thema „Risikomanagement ESG-fit gestalten“