Business Circle: Welche Herausforderungen sehen Sie in der aktuellen Praxis der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung, und wie könnten diese überwunden werden?
Peter Pilz: Die nachhaltige öffentliche Beschaffung steht vor vielfältigen Herausforderungen. Eine zentrale Schwierigkeit liegt in der Digitalisierung und Datenverfügbarkeit. Es mangelt oft an geeigneten Tools und technischen Lösungen zur effizienten Datenerhebung und -auswertung, die für eine umfassende und objektive Bewertung der Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen notwendig sind. Die Entwicklung transparenter und nachvollziehbarer Zuschlagskriterien, die sowohl ökologische, soziale als auch ökonomische Aspekte abdecken, stellt eine weitere Herausforderung dar.
Die größte Herausforderung liegt jedoch in den Zielkonflikten zwischen den verschiedenen Dimensionen der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Eine sehr gute Leistung im sozialen Bereich, z.B. durch die Förderung fairer Arbeitsbedingungen, kann zu höheren Kosten in der Leistungserstellung führen und damit die wirtschaftliche Attraktivität eines Angebots mindern. Umgekehrt können aber auch kostengünstigere Angebote mit ökologischen oder sozialen Nachteilen verbunden sein, wie z.B. erhöhte CO2-Emissionen oder niedrigere Entlohnung der Arbeitskräfte. Die Abwägung dieser Zielkonflikte erfordert eine sorgfältige Analyse und die Anwendung geeigneter Bewertungskriterien, die eine optimale Balance zwischen den Dimensionen sicherstellen und den Bewertungskriterien Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung tragen.
Ein wichtiger erster Schritt zur Überwindung dieser Herausforderungen wurde bereits mit dem Aktionsplan für nachhaltige öffentliche Beschaffung (NaBe-Aktionsplan) gesetzt. Der NaBe-Aktionsplan unterstützt öffentliche Auftraggeber bei der nachhaltigen Beschaffung, indem er konkrete Anforderungen für 16 Beschaffungsgruppen definiert und eine Harmonisierung der Kriterien für nachhaltige Beschaffung für die öffentliche Verwaltung in Österreich gewährleistet.
BC: Welche spezifischen Nachhaltigkeitskriterien erwarten Sie von öffentlichen Auftraggebern bei der Ausschreibung von Projekten?
PP: Spezifische Nachhaltigkeitskriterien, die in öffentlichen Ausschreibungen berücksichtigt werden können, umfassen sowohl umweltbezogene und soziale Aspekte als auch technische Spezifikationen in der Leistungsbeschreibung. Generell sieht § 20 Abs. 5 BVergG 2018 vor, dass Umweltaspekte im Vergabeverfahren zu berücksichtigen sind. Im Gesetzestext werden beispielhaft die Dimensionen Energieeffizienz, Materialeffizienz, Abfall- und Emissionsvermeidung sowie Bodenschutz genannt. Ferner sind Aspekte wie Tierschutz, Wasserbedarf, Lebenszykluskosten und der Einsatz erneuerbarer Energien als umweltbezogene Kriterien denkbar. Im Gegensatz zu den umweltbezogenen Anforderungen ist die Berücksichtigung sozialer Belange gemäß § 20 Abs. 6 BVergG 2018 nicht verpflichtend, sondern nur ausdrücklich zulässig. Diese wiederum können beispielsweise die Förderung der Frauenquote, die Beschäftigung von Personen im Ausbildungsverhältnis, die Einbeziehung von Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderungen und älteren Arbeitnehmer:innen umfassen. Zudem können weitere sozialpolitische Belange, wie das geschlechterspezifische Verdienstgefälle (sog. Gender Pay Gap), Berücksichtigung finden.
Hinzukommend können als technische Spezifikationen der Leistungsbeschreibung Kriterien wie die Vermeidung bestimmter Materialien oder die Notwendigkeit von Umweltzeichen, etwa des österreichischen Umweltzeichens, festgelegt werden.
BC: Wie wichtig ist die Transparenz im Beschaffungsprozess für die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards?
PP: Transparenz ist neben der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit, der Wirtschaftlichkeit und dem fairen und lauteren Wettbewerb einer der Grundsätze des Vergaberechts.
Der Grundsatz der Transparenz spiegelt sich bereits in den darzulegenden Eignungskriterien im Zuge des Vergabeverfahrens wider, da diese zwingend in der Auftragsbekanntmachung anzugeben sind. Die Auftraggeber:in darf hiervon im weiteren Verlauf nicht abweichen oder die Eignungskriterien ändern. Die technische Leistungsfähigkeit der Berwerber:innen steht diesbezüglich bei der Eignungsprüfung im Hinblick auf Nachhaltigkeitskriterien im Fokus. Hierbei sind vor allem Referenzen, Maßnahmen zur Qualitätssicherung, Angaben zum Lieferkettenmanagement und Umweltmanagementmaßnahmen (z.B. ISO 14001, EMAS), die während der Auftragsausführung angewendet werden, von Bedeutung. Ferner müssen die Zuschlagskriterien in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angegeben werden. Hierbei muss die Auftraggeber:in der Bieter:in sämtliche Zuschlagkriterien, Unterkriterien, Gewichtungsregeln und Bewertungsmatrizen offenlegen und klar und deutlich formulieren.
BC: Wie bewerten Sie die aktuellen Maßnahmen der öffentlichen Hand zur Förderung der Nachhaltigkeit in der Beschaffung, und wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
PP: Die aktuellen Maßnahmen der öffentlichen Hand zur Förderung der Nachhaltigkeit in der Beschaffung, insbesondere durch den naBe-Aktionsplan in Österreich, stellen einen wichtigen Schritt in Richtung einer klimaneutralen Verwaltung dar. Der naBe-Aktionsplan bietet einen wichtigen Rahmen, um Nachhaltigkeitsaspekte in die öffentliche Beschaffung zu integrieren und damit einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten.
Dennoch gibt es eine Reihe von Bereichen, in denen noch Potenzial für Verbesserungen im Hinblick auf eine nachhaltige öffentliche Beschaffung besteht. Um die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung weiter voranzutreiben, sollten ambitionierte Ziele gesetzt werden, um Unternehmen zu motivieren, innovative und nachhaltige Beschaffungsmodelle zu entwickeln. Die (Weiter-)Entwicklung von branchenspezifischen Kriterien im Rahmen der öffentlichen Beschaffung ist entscheidend, um die unterschiedlichen Anforderungen und Potenziale verschiedener Sektoren gezielt adressieren zu können und ein einheitliches Verständnis von nachhaltigem Wirtschaften zu erreichen. Weiteres Verbesserungspotenzial besteht in der Zusammenarbeit mit den Akteur:innen der Wertschöpfungskette. Hier ist eine ganzheitliche Betrachtung des Beschaffungsprozesses einschließlich der Berechnung von Lebenszykluskosten notwendig, um eine bessere Datengrundlage für Zuschlagskriterien im Rahmen der öffentlichen Beschaffung zu erhalten.
BC: Wie können öffentliche Auftraggeber sicherstellen, dass Nachhaltigkeitskriterien in ihren Ausschreibungen konsequent berücksichtigt werden?
PP: Um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitskriterien in der öffentlichen Beschaffung konsequent berücksichtigt werden, ist es entscheidend, mehrere Aspekte in den Beschaffungsprozess zu integrieren. Zunächst sollten taugliche Eignungskriterien festgelegt werden, die Unternehmen dazu verpflichten, deren umwelt-, bzw. sozial-bezogene Leistungsfähigkeit nachzuweisen. Denkbar wären diesbezüglich beispielsweise Zertifizierungen oder die Vorlage von geeigneten Referenzen, die ihre Erfahrung mit Nachhaltigkeitsprojekten belegen.
Darüber hinaus spielt eine transparente und präzise Leistungsbeschreibung eine zentrale Rolle. Hier müssen spezifische Vorgaben zur Umwelt-, und Sozialleistung klar formuliert werden, sodass die Auftragnehmer:in genau weiß, welche ökologischen bzw. sozialen Anforderungen während der Ausführung des Auftrags erfüllt werden müssen. Um eine nachhaltige Leistungsausführung während der gesamten Vertragslaufzeit sicherzustellen, können zudem umwelt-, bzw. sozialbezogene Mindestanforderungen und Ausführungsbedingungen festgelegt werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Anwendung von nachhaltigkeitsbezogenen Zuschlagskriterien. Diese ermöglichen es, Angebote nicht nur auf Basis des Preises, sondern auch unter Berücksichtigung von ökologischen oder sozialpolitischen Aspekten des Unternehmens zu bewerten. Aus rechtlicher Sicht hat der Europäische Gerichtshof anerkannt, dass solche auftragsbezogenen Umweltkriterien ein zulässiger und integraler Bestandteil eines weiten Wirtschaftlichkeitsbegriffs sind. Dies unterstreicht die Bedeutung von Umweltaspekten in der öffentlichen Beschaffung und zeigt, dass diese nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch praktisch umsetzbar sind.
Über Dr. Peter Pilz
Peter Pilz ist Steuerberater und Partner bei BDO. Sein Hauptaugenmerk liegt auf einer ganzheitlichen Betreuung seiner Kund:innen. Mit umfassender steuerlicher Beratung steht er nicht nur Körperschaften öffentlichen Rechts, der öffentlichen Hand und NPO zur Seite – auch im Gesundheitswesen unterstützt er mit seinem Know-how. Dabei lässt er seine jahrelange Erfahrung in der strategischen Beratung und Projektentwicklung stets einfließen, um das beste Ergebnis zu erzielen.
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