Business Circle: Liebe Frau Keßler, Sie sind Co-Founderin der Innovationsberatung „This is Legal Design“, wann - und vor allem: warum - haben Sie diese gegründet und was waren die wichtigsten Milestones bis heute?
Lina Keßler: Die Gründung von This is Legal Design geht auf das Jahr 2018 zurück. Wir hatten damals bereits die Vision eines nutzerfreundlichen, zugänglichen Rechtssystems und Rechtsmarkts. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass der Rechtsbereich dabei massiv von Innovationsansätzen – wie etwa der agilen Software- und Produktentwicklung, dem Design Thinking oder Futures Thinking – profitieren kann. Insbesondere während meiner Tätigkeit für das Softwareunternehmen SAP sowie das Legal Tech Unternehmen LAWLIFT, ist mir klar geworden, welch immenses Potenzial an der Schnittstelle von Recht, Design, Mensch & Tech gehoben werden kann. Mit This is Legal Design ist es uns dann gelungen, entsprechende Innovations-Prinzipien, -Methoden und -Techniken als geeignete Ansätze für die Gestaltung der Rechtswelt von Morgen zu erforschen und zu etablieren. Der Faktor Mensch stand und steht für uns dabei immer im Mittelpunkt. Ein erster wichtiger Milestone war natürlich der Übergang unseres anfänglichen Wirkens als Think Tank, mit dem wir das weltweit zu beobachtende Legal Design „grass root movement“ in Europa maßgeblich mitgeprägt haben, hin zu einem laufenden Business, mit dem wir heute unsere Vision der Zukunft des Rechtsmarkts mit unseren Kunden Wirklichkeit werden lassen. Tatsächlich ist Legal Design mittlerweile ein fester Programmpunkt jeder gut kuratierten Legal Innovation Konferenz. Ein weiterer Meilenstein war der Aufbau unseres interdisziplinären Teams – insbesondere, dass wir die Multitalente Deniz Calhan und Anna Balmes als Legal Designerinnen und Innovation Consultants für uns gewinnen konnten. Im Herbst 2023 durften wir schließlich unsere neusten Projekte für HUGO BOSS, die Software AG und Schoeller Werk auf dem Legal Design Summit präsentieren, dem weltweit relevantesten Legal Design Event. Das war ein absolutes Highlight für mich.
BC: Mit welchen KPIs können Sie Erfolge im Legal Design bei Ihren Klienten messbar machen?
Keßler: Je nach Ausgangslage und Zielsetzung bieten sich ganz unterschiedliche – sowohl quantitative als auch qualitative – Key Performance Indicators an, um die Effektivität unserer Legal Design Initiativen zu bemessen. Dazu gehört z.B. die Nutzerzufriedenheit, die wir vor allem durch Umfragen ermitteln können. Auch die Zugänglichkeit unserer Lösungen lässt sich beziffern, etwa durch das Erfassen der Zugriffs- und Nutzungsrate auf von uns gestaltete und im Intranet platzierte Legal Self-Services und Dokumente. Wir nehmen darüber hinaus auch Effizienzsteigerungen durch schlankere Prozesse und reduzierte Bearbeitungszeiten in den Blick. Außerdem interessant sind z.B. das Feststellen einer – idealerweise geringeren – Fehlerquote bei der Umsetzung rechtlicher Vorgaben, bzw. von Vereinbarungen durch eine optimierte Verständlichkeit, sowie verbesserte Compliance-Raten und finanzielle Einsparungen. Eine geringere Anzahl an Nachfragen und Rückfragen können zudem ein wichtiger Indikator für eine effektivere Rechtskommunikation sein. Das sind jetzt natürlich nur einige plakative Beispiele und keine abschließende Liste an denkbaren KPIs. Letztendlich passen wir die Kriterien unserer Erfolgsmessung immer individuell an die konkreten Ziele eines jeden Innovationsvorhabens und dessen zugrundeliegender Bedarfe an.
BC: Welches sind typische Quick-wins? Und haben Sie vielleicht eine besondere Erfolgsstory, die Sie mit uns teilen möchten?
Keßler: Klassische Legal Design Quick Wins sind z.B. das Entdecken und Beseitigen vermeidbarer Wiederholungen von Prozessschritten, missverständlicher Formulierungen oder technischer Hürden, die unabhängig davon, wie lange ein Innovationsprojekt noch läuft, unmittelbar angepasst werden können. Der Legal Design Ansatz fördert eine ganzheitliche, umfassende, den jeweiligen Kontext mit einbeziehende Analyse des Status Quo. Erst wenn das zu lösende Problem klar definiert werden konnte, geht man dazu über eine entsprechend passgenaue Lösung zu entwickeln. Durch das dabei gewonnene, besonders klare Verständnis der Ausgangslage, lassen sich mögliche Quick Wins (auch über das konkrete Projekt hinaus) besonders leicht identifizieren. Mit einem Kunden haben wir zum Beispiel im Rahmen einer ersten Prozessanalyse festgestellt, dass ein Tool, in das im Rahmen eines Prozessschritts Daten abgespeichert wurden, gar nicht mehr notwendig war und abgeschafft werden konnte. Diese Daten wurden nämlich bereits an anderer Stelle erfasst konnten ganz einfach wiederverwendet werden. Das war ein absoluter Quick Win. Bei einem anderen Kunden, für den wir eine Richtlinie neu gestalten sollten, stellte sich gleich zu Beginn einer ersten Nutzerrecherche heraus, dass sich ihre Adressat:innen aufgrund der auf Seite 1 verwendeten Formulierungen von dem Dokument gar nicht erst angesprochen gefühlt haben. Das ließ sich bereits vor Fertigstellung unseres Re-Designs der Richtlinie ad-hoc beheben – auch für weitere Richtlinien über das Projekt hinaus.
In der Fehlerkultur stoßen Welten aufeinander
BC: Change-Prozesse haben viel mit dem richtigen Mindset zu tun, was sind die typischen Anfangsschwierigkeiten und Widerstände bei Ihren Projekten?
Keßler: Ich zitiere bei diesem Thema gerne Peter Senge, einen bekannten Thought Leader für organizational change mit den Worten: „People don’t resist change. They resist being changed.“ Das ist ein entscheidender Punkt. Man muss die Menschen, die von Veränderung betroffen sind, zu einem Teil der Veränderung machen. Moderne Innovationsansätze wie Legal Design sehen die aktive Einbindung von Usern und Stakeholdern in die Entwicklung der Neuerungen ein, von denen ebendiese betroffen sein werden. Dadurch kann eine ganz andere Offenheit für Change sowie ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und ein sense of ownership für neue Lösungen entstehen. Insgesamt ist es wichtig, den Fokus vor allem darauf zu legen, Menschen dazu zu befähigen, Veränderung proaktiv mitzugestalten und kreative Lösungen zu finden für die immer neuen Herausforderungen unserer sich stetig schneller verändernden Berufs- und Lebensrealität. Innovation endet nicht mit der Deadline eines Projekts, sondern muss fortlaufend stattfinden. Das kann nur gelingen, wenn sich alle als Teil des Innovationsprozesses verstehen. Dieses Selbstverständnis kann auch der weit verbreitenden Sorge entgegenwirken, in Zukunft überflüssig zu werden. Die eigene Rolle kann sich ganz anders mitentwickeln. In unseren Projekten, Workshops und Trainings erleben die beteiligten Personen, dass sie mit den richtigen Methoden und einem entsprechenden Mindset auch – und gerade – als Jurist:innen einen wertvollen Beitrag zur digitalen Transformation einer Kanzlei oder Rechtsabteilung leisten können. Besonders entscheidend ist die Erfahrung, dass Innovationsprozesse vor allem dann erfolgreich sind, wenn die juristische Expertise früh mit einbezogen wird – und zwar nicht nur, um ein Projekt durch die Risikobrille zu betrachten – sondern um in interdisziplinären Teams Möglichkeiten und Chancen zu erforschen. Eine gute Fehlerkultur, Experimentierfreunde und eine gute Portion Demut sind dabei erfolgsentscheidend. Jurist:innen haben oft gelernt, Probleme aus rein juristischer Perspektive zu lösen, stets auf Nummer sicher zu gehen und bloß keine Fehler zu machen. Da stoßen dann manchmal Welten aufeinander. Wer sich auf neue Methoden einlässt und ihre Vorteile selbst erleben darf, lernt jedoch schnell ihre Vorzüge zu schätzen.
BC: Aus Ihrer Beratungspraxis: Gibt es grundsätzliche Unterschiede darin, ob man mit Kanzleien oder Rechtsabteilungen zusammenarbeitet?
Keßler: Ich habe den Eindruck, dass der Innovationsdruck und damit auch der Innovationswille in Rechtsabteilungen bisher deutlich größer ist als in Kanzleien. Insbesondere mit Blick auf die Weiterentwicklung der eigenen internen Prozesse, Tools, Arbeitsweisen und Service-Leistungen. Dahinter stecken in der Regel immer auch entsprechende Interessen und veränderte Bedarfe der jeweiligen Unternehmen. Bei Kanzleien liegt der Fokus m.E. bisher häufig noch mehr auf dem Außen, d.h. z.B. auf isolierten Lösungen für Mandanten, die keine grundlegenden Veränderungen an dem System Kanzlei an sich erfordern sowie auf Maßnahmen, die in die Kategorie „Innovations-Theater“ fallen. Das trifft natürlich nicht auf alle Kanzleien zu, aber dann doch auf auffällig viele. Spätestens mit dem Aufkommen von Chat GPT und ähnlich zugänglichen KI-Lösungen, verspüre ich jedoch auf beiden Seiten – in Kanzleien wie Rechtsabteilungen – einen Schwung. Es herrscht regelrecht Aufbruchstimmung. Die neusten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz haben deutlich gemacht, wie weitreichend die damit einhergehenden Veränderungen für die Rechtsbranche sein werden und wie schnell sich diese Technologie weiterentwickelt. Die größten Innovations-Potenziale für einen klugen und wertschöpfenden Einsatz von KI sehe ich in einem co-kreativen Zusammenwirken von Kanzleien und Rechtsabteilungen. Meine Prognose: An dieser Schnittstelle werden sich zukünftig immer mehr Innovationsvorhaben abspielen.
BC: Unsere Konferenz in Wien hat umfirmiert von Legal Tech auf Legal Innovation. Hat Legal Tech als Buzzword ausgedient?
Keßler: Ich habe so oft erlebt, dass die Begriffe Legal Tech und Legal Innovation fälschlicherweise synonym verwendet wurden. Ich glaube, dass die Rechtsbranche nun soweit ist, Legal Tech als das zu erkennen, was es ist. Ein Mittel zum Zweck. Eine Reihe an Tools, die uns dabei unterstützen, Recht zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen. Wie gut sie das können, ist jedoch eine Frage der Art und Weise wie wir unsere Innovationsprozesse gestalten. Der Name Vienna Legal Tech war sicher der richtige, um diejenigen zu erreichen, für die der Begriff Legal Tech das Einstiegstor in die digitale Transformation der Rechtsbranche bedeutet hat. Die Umbenennung in Vienna Legal Innovation halte ich jedoch für einen wichtigen Schritt, da die Konferenz schon immer sämtliche Facetten von Innovation im Rechtsbereich in den Blick genommen hat. Es geht nicht nur um das „WAS“ sondern auch das „WIE“ der digitalen Transformation. Es geht darum, die neuen Herausforderungen und Bedarfe unserer Zeit umfassend zu verstehen, strategisch anzugehen, Change mitzudenken, Menschen in den Mittelpunkt von Veränderung zu stellen, ganzheitlich und nachhaltig zu agieren und funktionale, nutzerfreundliche und adaptive Lösungen zu entwickeln. Man könnte meinen, Legal Tech habe als Buzzword ausgedient, und vielleicht hat es das auch – jetzt wo künstliche Intelligenz in aller Munde ist. Als wichtiger Hebel für die Umsetzung innovativer Ideen, wird uns Legal Tech jedoch voraussichtlich für immer erhalten bleiben.
BC: Abschließend: Wir gehen ja jetzt schon ein längeres Stückchen gemeinsamen Weges. Wie ist Ihre eigene Erfahrung – Ihr Eindruck von der Vienna Legal Tech / Legal Innovation?
Keßler: Die Vienna Legal Tech bzw. ab diesem Jahr Vienna Legal Innovation war für mich bisher eine der interessantesten, vielseitigsten und authentischsten Legal Innovation Konferenzen, auf denen ich war. Ich freue mich auch in 2024 wieder als Referentin dabei zu sein und in einen spannenden und offenen Austausch zu treten.
BC: Liebe Frau Keßler, wir danken für das Gespräch und freuen uns, Sie in Wien zu begrüßen!
Lina Keßler (geb. Krawietz) ist Co-Founderin und Geschäftsführerin der auf den Rechtsbereich spezialisierten Innovationsberatung This is Legal Design. Als Juristin, Designerin und Innovationsberaterin arbeitet sie mit Rechtsabteilungen und Kanzleien, die ihre (digitale) Transformation strategisch, strukturiert, effizient und vor allem mensch-zentriert angehen möchten. Mit TiLD unterstützt sie entsprechende Innovationsvorhaben durch die Entwicklung von Legal Operations Strategien, Legal Product- und Service Design, Legal Communication Design sowie Trainings & Workshops zu Legal Tech, AI, Design & Co. Darüber hinaus veröffentlicht Lina Keßler regelmäßig zu Themen rund um Innovation im Rechtsbereich. Für ihre Arbeit wurde sie Ende 2020 mit dem „European Women of Legal Tech Award“ in der Kategorie „Professional Services“ ausgezeichnet.
Sie wird heuer die „Vienna Legal Innovation“ am 16./17. April moderieren und in diesem Rahmen auch Gastgeberin eigens Workshops zum Thema „Design Thinking - How to Build your own AI Use Case“ sein.
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