Business Circle: Liebe Frau Dr. Edl, in unserem letzten Interview vor einem Jahr haben wir unter anderem über das ReOil-Verfahren bei der OMV gesprochen. Was hat sich seitdem geändert und womit haben Sie sich hauptsächlich beschäftigt?
Beate Edl: Wir haben in verschiedenen Bereichen große Fortschritte erzielt, um das chemische Recycling voranzutreiben. Hervorzuheben ist, dass wir weitere operative Erfahrungen an unserer chemischen Recycling-Pilotanlage gesammelt und erstmals eine ununterbrochene Betriebszeit von 145 Tagen erzielt haben, bevor wir in einen geplanten Stopp gegangen sind – das bedeutet knapp wir haben die Anlage über 5 Monate ununterbrochen betrieben, was die Stabilität des ReOil Prozesses demonstriert. Des Weiteren erwarten wir noch dieses Jahr die Fertigstellung und Inbetriebnahme unserer nächstgrößeren chemischen Recyclinganlage am Standort Schwechat mit einer Kapazität von 16.000 Tonnen pro Jahr. Darüber hinaus haben wir kurz nach unserem Gespräch letztes Jahr mit Wood Group, einem der weltweit führenden Beratungs- und Ingenieurunternehmen im Bereich Energie und Rohstoffe, eine exklusive Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, um die weltweite kommerzielle Lizenzierung der ReOil-Technologie zu ermöglichen. Und nicht zuletzt haben wir Ende 2023 gemeinsam mit unserem Joint Venture-Partner Interzero in Deutschland den Spatenstich für die größte Sortieranlage für Kunststoffabfälle für das chemische Recycling in Europa gefeiert.
BC: Wie würden Sie in wenigen Sätzen Ihre Arbeit beim Verband der Europäischen Chemischen Industrie (Cefic) einem interessierten Laien beschreiben?
Edl: Im Verband der chemischen Industrie gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen beschäftigen – ich selbst bin in der Arbeitsgruppe für chemisches Recycling aktiv. In den Arbeitsgruppen sind verschiedene Industriepartner vertreten, die zwar durchaus im wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, jedoch in Hinblick auf die notwendigen Rahmenbedingungen für die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft gleiche Ansichten vertreten. Wir arbeiten gemeinsam daran unsere Sichtweise in Hinblick auf regulatorische Rahmenbedingungen für die Implementierung von Kreislaufwirtschaftslösungen, die einen wertvollen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele auf EU Ebene leisten können, darzulegen. Dies geschieht beispielsweise durch das Verfassen von Positionspapieren, die den politischen Entscheidungsträgern aber auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Jede und jeder Interessierte kann sich auf der Webseite der Cefic umfassend zum Thema chemisches Recycling informieren – dort findet man neben den Positionspapieren auch technische Erklärungen zum chemischen Recycling, Daten und Fakten zu u.a. den Recyclingquoten in Europa sowie eine virtuelle Ausstellung von chemischen Recyclingprojekten – unter anderem ist dort auch unsere Pilotanlage ReOil 100 vertreten.
BC: Wie eingangs erwähnt, arbeiten Sie zusammen mit Interzero an einer großen Sortieranlage für die Herstellung von Feedstock für die chemischen Recylinganlagen der OMV. Wie weit ist das Projekt schon gediehen und was werden Ihre nächsten Schritte und angepeilten Meilensteine sein?
Edl: Wir haben Ende letzten Jahres den Spatenstich für die Sortieranlage gefeiert; es entsteht eine innovative, hochmoderne Anlage mit einer Sortierkapazität von 260.000 Tonnen gemischter Kunststoffabfälle pro Jahr, die nachhaltige und hochwertige Rohstoffe für das chemische Recycling liefert. Das Projekt liegt zeitlich im Plan; der Produktionsstart wird für 2026 erwartet.
BC: Grundlegend für den Kreislaufgedanken ist es, „Abfälle“ als Rohstoffe zu begreifen. Woher beziehen Sie den Feedstock für Ihre Anlage und was planen Sie da in der Zukunft, insbesondere im Anbetracht dessen, dass das Projekt wachsen soll?
Edl: Wir adressieren mit dem chemischen Recycling jene Abfallströme, die sich nicht für das mechanische Recycling eignen und derzeit einer thermischen Verwertung zugeführt bzw. deponiert werden. Das können gemischte Kunststofffraktionen aus der Leichtverpackungssortierung sein, aber auch Altkunststoffe aus dem Restmüll sowie aus Gewerbe- und Industriebfällen. Wichtig ist für uns, dass das chemische Recycling als komplementär zum mechanischen Recycling zu sehen ist und daher unseres Erachtens nicht in Konkurrenz mit bestehenden Recyclingrouten treten darf. Die Komplementarität beider Recyclingtechnologien, wird auch durch unsere kürzlich mit TOMRA abgeschlossenen langfristigen Lieferverträge für Recyclingrohstoffe unterstrichen. TOMRA wird in einer neuartigen Sortieranlage in Deutschland aus gemischten Post-Consumer Kunststoffabfällen sowohl Rohstoffe für das mechanische Recycling der Borealis als auch das chemische Recycling der OMV herstellen. Für alle Ströme gilt, dass sie eine, durch einen unabhängigen Dritten durchgeführte Nachhaltigkeitszertifizierung, wie ISCC Plus aufweisen müssen, sodass eine entsprechende Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferkette möglich ist.
Alle Stakeholder beteiligen: Partnerschaften werden zunehmend eine Rolle spielen.
BC: Große Veränderungen können dann geschehen, wenn das Commitment in der Wirtschaft da ist. Welches Mindset würden Sie sich in Unternehmen wünschen?
Edl: Um eine Kreislaufwirtschaft sinnvoll umzusetzen, braucht es das Zusammenspiel vieler verschiedener Stakeholder. Es beginnt bei der Produktentwicklung, wo eine mögliche Wiederverwendung, ein Design for Recycling sowie ein Design for Eco-Efficiency – daher beispielweise die Verwendung von weniger Materialien bei gleichbleibender Performance der Produkte – mitgedacht werden muss. Des Weiteren müssen Sammlung und Sortierung sicherstellen, dass ein Großteil, der am Ende des Lebenszyklus angekommenen Materialien wieder den Weg zurück in den Kreislauf findet – dies wird weiterhin über bestehende Technologien wie mechanisches Recycling passieren, jedoch werden auch neue Recyclingrouten, wie das chemische Recycling einen Beitrag leisten. Als Unternehmen müssen wir somit über die Grenzen unserer Organisation hinausblicken, Silodenken aufbrechen und technologieoffen agieren. Partnerschaften, wie jene von OMV und Interzero, werden hier zunehmend eine Rolle spielen.
BC: Daran anschließend: Was würden Sie sich seitens der Regulatorik wünschen, um den Kreislaufgedanken und insbesondere chemische Recyclingverfahren in größerem Maßstab zu ermöglichen?
Edl: Als Industrie brauchen wir vor allem Planungssicherheit. Wir erwarten mit der Plastic Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR) erstmals Recycled Content Targets für verschiedene Anwendungsfelder ab 2030 – unter anderem auch für sensitive Anwendungsbereiche, wie Verpackungen für Lebensmittel oder Kosmetika. Diese Targets können derzeit nur mit dem Einsatz von chemischem Recycling erreicht werden. Die PPWR ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass zukünftig mehr hochwertige Rohstoffe im Kreislauf erhalten bleiben – wir können hier jedoch nicht Halt machen. Es wäre wünschenswert, wenn auch in anderen Bereichen, wie z.B. Automotive, wo derzeit die End-of-Life Vehicle Regulation in Bearbeitung ist, Recycled Content Targets etabliert werden.
Darüber hinaus wird der Output des chemischen Recyclings, das Pyrolyseöl, in bestehenden petrochemischen Anlagen, gemeinsam mit konventionellem Feedstock weiterverarbeitet – die bestehenden Assets zu nutzen ist sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht sinnvoll. Die gemeinsame Verarbeitung mit konventionellem Feedstock erfordert jedoch die Anerkennung einer credit-based Mass Balance chain of custody, die auch in anderen Bereichen, wie Fair Trade Produkten oder bei Grünstrom Anwendung findet. Massenbilanzierung erlaubt die Substitution von fossilem durch nachhaltigen Feedstock und bietet die notwendige Transparenz für die Konsumenten, in welchen Produkten dieser Feedstock zum Einsatz kommt. Das ist insofern notwendig, da sich das finale Produkt aus dem chemischen Recycling, daher das Monomer oder Polymer, in seiner Qualität nicht von jenem, das aus fossilem Einsatzmaterial erzeugt wurde, unterscheiden lässt. Im Einklang mit der Industrie vertreten wir den sogenannten Fuels-use-exempt Allokationsansatz, der Verluste im Prozess sowie Outputs die als Treibstoff genutzt werden exkludiert und somit der Recyclingdefinition der Abfallwirtschaftsverordnung entspricht.
Nicht zuletzt benötigen wir eine Harmonisierung des Abfallendes – derzeit ist dieses je europäischem Mitgliedsstaat unterschiedlich, was u.a. beim Bezug von Feedstock aus unseren Nachbarländern zu komplexen Konstellationen und administrativem Zusatzaufwand führen kann.
BC: Abschließend: Sie haben ja Beim Austrian Circular Economy Exchange 2.0 im November 2023 das Eröffnungspanel mitgestaltet. Möchten Sie Ihren damaligen Gesamteindruck von der Konferenz mit uns teilen?
Edl: Der Circular Economy Exchange 2.0 war eine tolle Gelegenheit mit verschiedenen Stakeholdern im Bereich Kreislaufwirtschaft in den Austausch zu kommen – besonders gefreut hat mich die holistische Betrachtung, von wirtschaftlichen, technischen und sozialen Aspekten. Kreislaufwirtschaft kann nur sinnvoll funktionieren, wenn diese Elemente ineinandergreifen. Besonders spannend waren für mich auch die Roundtable Sessions, die in kleinen Runden eine tiefere Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten der Circular Economy erlaubt haben. Umso mehr freut es mich heuer einen dieser Deep-Dives gemeinsam mit meinem Kollegen Richard von Goetze von der Interzero leiten zu dürfen.
BC: Liebe Frau Dr. Edl, danke für Ihre Erläuterungen. Wir freuen uns schon auf mehr, wenn Sie wieder persönlich bei uns auftreten werden.
DI Dr. Beate Edl arbeitet als Project Director im Bereich Circular Economy/ Business Development bei der OMV und beschäftigt sich mit dem Aufbau des Geschäftsmodells rund um OMVs patentierte chemische Recyclingtechnologie ReOil. Zudem vertritt Sie das Thema chemisches Recycling von Seiten OMV beim Verband der Europäischen Chemischen Industrie (Cefic). Beim Circular Economy Exchange am 3. Dezember gestaltet sie zusammen mit Richard von Goetze, Interzero einen Deepdive zu den Potentialen des chemischen Recyclings von Kunststoffen unter Berücksichtigung der Regulatorik.
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