Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Goßler, Sie sind Head of Sustainability Services bei Grant Thornton Austria, was ist für Sie das Besondere an Ihrem Beruf (oder Ihrer Berufung)?
Dr. Timo Goßler: Wir alle wollen eine nachhaltigere Zukunft gestalten. Unternehmerische Nachhaltigkeit kann aber nur dann in relevantem Umfang Realität werden, wenn sie echten Mehrwert und finanziellen Erfolg für Unternehmen ermöglicht. Gemeinsam mit unseren Kunden daran zu arbeiten, wie das in der Praxis gelingen kann, ist für mich eine wahnsinnig spannende und motivierende Aufgabe.
BC: Wie lassen sich am besten valide Daten gewinnen, die sowohl fürs Sustainability Reporting als auch für die Strategieentwicklung eine stabile Basis liefern?
Goßler: Zunächst einmal ist es wichtig, realistische Erwartungen an die Validität von Nachhaltigkeitsdaten im Vergleich zu Finanzdaten zu haben. Wirtschaftliche Buchführung gab es schon vor 9000 Jahren, die doppelte Buchführung gibt es seit 500 Jahren. Auch wenn Wirtschaft und Politik nun mit Hochdruck am Aufbau eines standardisierten Systems für Nachhaltigkeitsdaten arbeiten, kann hier nicht über Nacht ein ähnlicher Qualitätsstandard erreicht werden.
In der aktuellen Phase der Nachhaltigkeitstransformation ist die absolute Genauigkeit von quantitativen Nachhaltigkeitsdaten meiner Meinung nach aber auch nicht immer entscheidend. Ob die Emissionen eines Unternehmens 5 Millionen oder 6 Millionen Tonnen CO2e betragen: Es ist in jedem Fall zu viel und bedarf auch kurzfristig starker Reduktionsbemühungen. Wichtiger als der quantitative Datenpunkt ist deshalb die Frage, ob ein Unternehmen glaubwürdige Ziele, Maßnahmen und Steuerungsinstrumente hat, um diese Reduktionen zu erreichen.
Nichtsdestotrotz gibt es selbstverständlich bewährte Praktiken, um die Validität von quantitativen Nachhaltigkeitsdaten zu erhöhen. Dazu gehört die Verwendung von Primär- anstatt Sekundärdaten, die Nutzung von Audit- und Zertifizierungsinstanzen, die Automatisierung der Datenerfassung und -verarbeitung sowie die Etablierung angemessener interner Kontrollen.
BC: Welche Rolle können KI-gestützte Systeme bei einer Effizienzsteigerung und Automatisierung des eigenen Nachhaltigkeitsreportings spielen?
Goßler: KI-gestützte Systeme bieten erhebliche Vorteile für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, erfordern jedoch einen sorgfältigen Umgang mit sensiblen Unternehmensdaten. Sie können narrative Texte durch Kürzungen und Sprachverbesserungen optimieren und so die Transparenz und Lesbarkeit von Berichten erhöhen. KI-Systeme können auch die gleichzeitige Abdeckung verschiedener Rahmenwerke (ESRS, GRI, ISSB, etc.) effizient ermöglichen, in dem sie automatisiert Lücken in der vorhandenen Berichterstattung ermitteln. Schließlich ermöglicht KI es Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsleistung im Vergleich zu Branchenstandards und Wettbewerbern objektiv zu bewerten und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren. Ein verantwortungsvoller Einsatz von KI sichert dabei den Schutz vertraulicher Informationen.
BC: Was kommt hinsichtlich der CSRD Berichtspflicht auf kleine und mittlere Unternehmen zu, insbesondere wenn diese eigentlich nicht unter die ESRS fallen?
Goßler: Auch kleine und mittlere Unternehmen müssen sich mit den neuen Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung auseinandersetzen. Aufgrund der Regulierungen im Finanzsektor werden sie für Finanzierungen zunehmend überzeugende ESG-Daten bereitstellen müssen. Als Teil von Lieferketten werden sie zudem mit wachsenden Datenanfragen von Geschäftspartnern konfrontiert sein.
Der ESRS-Standard für kapitalmarktorientierte KMU (LSME-Standard), der sich gerade in der öffentlichen Konsultation befindet, legt dabei gemäß CSRD die Obergrenze an Informationen fest, die große Unternehmen von ihren Geschäftspartnern abfragen dürfen. Der durch die EFRAG entwickelte, freiwillige Berichtsstandard für nicht-kapitalmarkorientierte KMU (VSME-Standard), der sich ebenfalls gerade in der öffentlichen Konsultation befindet, bietet zudem ein sogenanntes „Business Partner Modul“, um Anfragen von Geschäftspartnern standardisiert beantworten zu können.
Kleine und mittlere Unternehmen sollten sich deshalb mit beiden Standards auseinandersetzen und gleichzeitig einen pragmatischen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung wählen. Dazu gehört, ein solides Verständnis über die wesentlichen Nachhaltigkeitsaspekte des eigenen Unternehmens zu entwickeln, ausgewählte Datenpunkte zu erheben und ein flexibles Datenmanagement aufzubauen, um unterschiedliche Anfragen effizient beantworten zu können.
BC: Welche sind die aktuellsten Herausforderungen der kommenden Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Goßler: Die Herausforderungen sind vielschichtig. Viele Unternehmen stehen vor der Aufgabe, unternehmensweite Strukturen, Verantwortungen und Prozesse erstmalig festlegen oder formalisieren zu müssen. Dazu kommen fehlende Expertise und Erfahrung in den inhaltlichen Details der verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekte, von CO2-Kalkulationen und Klimarisikoanalysen bis zu Gender Pay Gap Kalkulationen und der Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht. Teilweise mangelt es zudem noch an der Unterstützung der oberen Führungsebene, auch in Form der notwendigen Ressourcen.
Selbstverständlich ist auch die mangelnde Datenverfügbarkeit eine Herausforderung, die ich aber etwas weniger kritisch sehe. Allen Beteiligten ist klar, dass der erste CSRD-Bericht ein Startpunkt ist und hier über die Jahre Verbesserungen der Datenqualität erfolgen werden müssen. Entscheidender ist es, dass Unternehmen eine ernsthafte Strategie für die Zukunft und eine angemessene Governance für ihre Umsetzung vorweisem können. Und hier erlebe ich die Herausforderung, dass Unternehmen diesen Aspekt sehr stark unterschätzen.
Von irreführenden Begriffen wie „klimaneutral“ oder „klimapositiv“ sollte Abstand genommen werden
BC: Gibt es ein paar Grundregeln, um sich möglichst effizient gegen Greenwashing-Vorwürfe zu wappnen?
Goßler: Eine Auseinandersetzung mit der EU Green Claims Directive, der jüngst gebilligten Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel und dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) ist ein wichtiger Schritt. Daraus lassen sich auch unmittelbar sinnvolle Grundregeln ableiten. Nachhaltigkeitsbezogene Aussagen zu Produkten sollten zum Beispiel durch wissenschaftliche Nachweise belegbar und ggf. unabhängig geprüft sein. Außerdem sollten sie auch nicht vage, allgemein und zum gesamten Produkt sein, sondern sehr spezifisch zu relevanten Nachhaltigkeitsaspekten des Produkts. Generell sollten Aussagen keine falsche Erwartungen bei Verbraucher:innen wecken und von irreführenden Begriffen wie „klimaneutral“ oder „klimapositiv“ sollte Abstand genommen werden.
Darüber hinaus ist grundsätzlich eine transparente und authentische Kommunikation im Hinblick auf Nachhaltigkeitsleistung und -maßnahmen ratsam. Auch zu kommunizieren, was man noch nicht weiß oder vor welchen Herausforderungen man steht, stärkt die Glaubwürdigkeit, schafft Vertrauen und reduzierte den Verdacht von Greenwashing.
BC: Abschließend: Sie werden zum ersten Mal Teil des Sustainability Summit sein, worauf freuen Sie sich am meisten?
Goßler: Auf jeden Fall auf die Menschen und den Austausch mit Ihnen – egal, ob an unserem Grant Thornton Stand oder bei Kaffee, Snacks und Aperitif. Wir können alle sehr viel voneinander lernen und darauf freue ich mich wahnsinnig! Auch auf unseren Workshop gemeinsam mit Axel Berger, dem Chief Sustainability Officer von Haniel, freue ich mich natürlich sehr. Wir werden über die finanzielle Wesentlichkeit von Nachhaltigkeit, ihre Verankerung in der Unternehmensstrategie sowie #enkelfähigkeit reden und diskutieren. Das wird großartig!
BC: Lieber Herr Dr. Goßler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie und das Team von Grant Thornton zum Sustainability Summit zu begrüßen!
Dr. Timo Goßler ist Partner und Head of Sustainability Services bei Grant Thornton Austria. Seine Expertise liegt in der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien und nachhaltigen Geschäftsmodellen sowie in der Berichterstattung. Darüber hinaus verfügt er über langjährige Erfahrung mit digitalen Lösungen, auch für ESG-Daten. Am 21. März ist er im Rahmen des Austrian Sustainability Summits Gastgeber eines Workshops zum Thema „Strategy and Reporting Skills“