Wir in der Pflege wünschen uns von „den Anderen“ mehr Anerkennung, mehr Wertschätzung, mehr Respekt. Wir bekommen nicht den Status, den Stellenwert, die Relevanz die wir so dringend brauchen. In der Welt in der wir leben gibt es viele Gesetzmäßigkeiten. Eine davon lautet: Was du kommunizierst, das strahlst du aus und was du ausstrahlst, das ziehst du an.
Ihr seht ja gar nicht nach Pflege aus
„Ihr seht ja gar nicht nach Pflege aus“ oder „Hätte ich jetzt nicht gedacht, dass du in der Pflege arbeitest!“ Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich das schon gehört habe. Ich frage dann immer zurück: „Warum? Wie sieht die Pflege denn aus?“. Ich erspare meinen Zuhörern dabei oft die Antworten. Sie sind nämlich teilweise sehr schmerzhaft. Sie zeigen deutlich, dass wir in der Pflege ein Imageproblem haben.
Ich bin Familienunternehmer und leite seit 12 Jahren als Geschäftsführender Gesellschafter unsere Pflegeeinrichtungen der Zerhusen und Blömer Firmengruppe. Als Komplexanbieter in der Pflege bilden wir die gesamte Versorgungskette ab. Von ambulanter Pflege über Tagespflege, Wohngruppen, vollstationäre Pflege, Service Wohnen und auch Palliativversorgung.
Ich war in meinem ersten Leben in der internationalen Automobilindustrie unterwegs. Nach einer Krebsdiagnose meiner Mutter übernahm ich 2011 Hals über Kopf ihr Pflegeunternehmen und zog wieder zurück nach Deutschland in die niedersächsische Provinz. Als Quereinsteiger in die Pflege stellte ich schnell fest, dass wir in der Branche nicht gut kommunizieren. Mir war sofort klar: Wir brauchen besseres Marketing. Deshalb gründete ich 2018 zusammen mit der Hamburger Werberin Anna-Carina Thygs die care&creation GmbH, Deutschlands erste Werbeagentur ausschließlich für die Pflege. Mein Ziel: das Image der Pflege nachhaltig zu aufzuwerten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur so die Probleme in unserer Branche lösen können.
Wie wir in der Pflege aktuell kommunizieren
„Pflege will wertgeschätzt werden, als Profession angesehen werden und postet einen kognitiven Kindergartencontent“ schrieb vor Kurzem eine Berufskollegin unter einen meiner Beiträge auf LinkedIn. Treffender hätte ich es nicht ausdrücken können.
Beispielhaft und leider nicht die Ausnahme ist auch eine Stellenanzeige eines großen, überregionalen Pflegeanbieters, die ich vor einiger Zeit auf Instagram ausgespielt bekam. Zu sehen war ein junger, gut gelaunter Pfleger (Stock Foto). Darunter stand in großen Buchstaben geschrieben: „Wie ich die Bewohner mag? Am liebsten oben klar und unten dicht!“ Die Stellenanzeige hatte bereits 70 Likes. Der Anbieter kommentierte dann noch selber mit dem Untertitel: „Diese Bewohner mag doch jeder, oder?“ Welches Bild erzeugt so etwas im Kopf des Lesers? Leider könnte ich die Liste mit Negativbeispielen wie diesem unendlich fortsetzen.
Das Gesetz der Anziehung
Das, was wir uns in der Pflege von Anderen wünschen, müssen wir zuerst selber sein! Wenn wir wertschätzend wahrgenommen werden wollen müssen wir zuerst selber wertschätzend kommunizieren, sowohl nach innen als auch nach außen. Wenn wir einen höheren Status, also Stellenwert wollen, dann müssen wir uns selber einen höheren Status zugestehen. Wenn wir als Branche stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken wollen, dann müssen wir zunächst ein Bewusstsein für uns selbst entwickelt haben, also selbstbewusst sein. Wenn wir respektiert werden wollen, dann sollten wir selber voller Respekt vor unserer Arbeit und der unserer Kollegen sein. Wir können keine neue Zukunft anziehen, wenn wir uns als Opfer fühlen.
Das Gesetz der Anziehung beschreibt das Phänomen, das Gleiches Gleiches anzieht. Energie folgt der Aufmerksamkeit. Lenken wir in der Pflege unsere Aufmerksamkeit auf die Schattenseiten und Defizite oder auf die Sonnenseite? Welche Geschichten erzählen wir? Die schönen, wertschätzenden Geschichten voller Empathie, Kompetenz und Respekt? Oder sendet unsere Branche selber viel zu oft infantile, vulgäre und/oder abschätzende Posts, Bilder, Texte nach Außen ab?
Jeder Lippenstift hat besseres Marketing als die Pflege
„Jeder Lippenstift hat besseres Marketing als die Pflege.“ Dieser Satz traf mich damals ins Mark. Ausgesprochen hatte ihn die Hamburger Art-Direktorin und Marketingfachfrau Anna-Carina Thygs, meine spätere Geschäftspartnerin bei care&creation.
Anna ließ nicht ab. „Eure gute Pflege braucht doch gute Werbung“, führte sie weiter aus. „Marketing bedeutet Kommunikation. Die kannst du aktiv steuern und damit so viel beeinflussen. Das, was du kommunizierst, das strahlst du aus. Und was du ausstrahlst, das ziehst du an!“ Als Betriebswirt erinnerte ich mich an Studienzeiten zurück. Ich merkte, wie wichtig, aber gleichzeitig vernachlässigt dieses Thema war; in meinem Pflegedienst, aber auch in der ganzen Branche.
Die Macht der Gewohnheit
Stellen wir uns doch kurz die Frage: Wieso hat jeder Lippenstift besseres Marketing als die Pflege?
Immer wieder kommt die Frage nach der fehlenden Refinanzierung für die vermeintlich teuren Leistungen der Werber und Kommunikationsdesigner. Ich habe an genügend Pflegesatzverhandlungen teilgenommen, dass ich diese Sorge nachvollziehen kann. Was machen wir Pflegeunternehmen also? Wir legen selbst Hand an und erledigen unsere Kommunikation zum Großteil in Eigenregie. Und genauso sieht die Werbung dann auch aus.
Die Folgen: Unsere Branche kommuniziert unzureichend und veraltet, statt mit dem Werkzeug Marketing an konkreten Stellschrauben anzusetzen. Ich treffe oft auf Entscheider, die einerseits Werbemaßnahmen als zu teuer empfinden, andererseits aufgrund ausbleibender Bewerber gleich mehrere Leiharbeitskräfte beschäftigen. Im schlimmsten Fall müssen sogar ganze Wohnbereiche schließen. Dem Fachkräftemangel versuchen die Kollegen mit einem „Willkommensbonus“ für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entgegenzuwirken. Dazu kommen zwei, drei teure Annoncen in der Lokalpresse, die im allgemeinen Anzeigenteil völlig untergehen.
Dabei müssten Pflegeunternehmen das Geld einfach nur früher in die Hand nehmen. Entscheidend ist, rechtzeitig die Ursachen der späteren Probleme anzugehen.
Die Kraft unserer Geschichten
Wir alle lieben Geschichten, deshalb ist „Storytelling“ auch DAS große Thema im Marketing. Und was sich andere Branchen durch Kreative teuer ausdenken lassen, bringt unsere tägliche Arbeit automatisch mit sich: viele berührende Geschichten.
Wir, Sie, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben Geschichten voller höherer Emotionen Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Doch anstatt diese Geschichten zu erzählen, überlassen wir das Feld Herrn Wallraff und anderen. Aufgrund einzelner Negativfälle wird eine ganze Branche in Sippenhaft genommen. Und dafür sind wir, die Pflegebranche, auch selbst verantwortlich. Wir haben uns von außen ein unattraktives Abziehbild aufdrücken lassen. Es wird höchste Zeit, dass wir das Heft selbst in die Hand nehmen. Professionelles Marketing hilft uns, wieder die Kontrolle über die Debatte zu übernehmen.
Es geht im Marketing nicht um Hochglanzkampagnen, um bunte Bilder oder um witzige Sprüche. Ich spreche von Positionierung, von strategischen Veränderungen, von Anerkennung für unsere Kolleginnen und Kollegen, von Bewusstseinsschaffung für die kleinen und großen Hürden unserer alltäglichen Arbeit. Werbung beginnt nicht dort, wo Pflege aufhört. Im Gegenteil: Werbung und Pflege müssen stärker ineinandergreifen und miteinander wachsen.
WIR sind die Lösung
Ich bin fest davon überzeugt: Die Lösung für die Probleme in der Pflege liegt in uns selber! In der Kausalkette der notwendigen Veränderungen müssen wir als allererstes unser Imageproblem lösen. Wir müssen bei uns selber anfangen die Werte, die wir uns für die Pflege wünschen in unserem eigenen Selbstverständnis zu leben. Und dann müssen wir diese Werte mit den Werkzeugen des Marketings in die Welt kommunizieren. Dieser daraus resultierende Imagewandel wird der Dominostein sein, der die anderen Steine, die Rahmenbedingungen, zum Umfallen bringt.
Die Pflege hat mehr zu bieten als jeder Lippenstift. Höchste Zeit, dass wir es der Welt zeigen.
Über den Autor:
Ulrich Zerhusen ist Geschäftsführer & Gründer, Care & Creation Agency und Speaker beim Pflege-Management Forum.