Wir haben mit Peter Eichler, Vorstand Personenversicherung und Asset Management der UNIQA Österreich, über aktuelle Entwicklungen und Innovationen im Gesundheitswesen und die Herausforderungen für Krankenversicherer gesprochen. Erfahren Sie hier, wieso Versicherer Orchestratoren werden müssen und auch das Bildungssystem beim Thema Gesundheit gefordert ist.
1. Mit welchen Herausforderungen sind Krankenversicherer aktuell konfrontiert?
Die Hauptherausforderung jedes Krankenversicherers, sei er öffentlich oder privat, ist seit jeher, die gepoolten Einnahmen (Beiträge der Versicherten) mit den Ausgaben in Einklang zu halten. Dies unter der Bedingung, mit dem Fortschritt der Medizin und gesellschaftlichen Entwicklungen so Schritt zu halten, dass eine am aktuellen Stand der Wissenschaft orientierte Krankenbehandlung innerhalb der gebotenen Frist gewährleistet ist. Hohe Inflation, Demographie, Anspruchsverhalten, Lebensstil-bedingte Krankheiten und nicht zuletzt die großen, aber teuren Fortschritte der Medizin sind Faktoren, die ausgabenseitig den Druck massiv erhöhen.
Aktuell verstärken sich zusätzlich Tendenzen im Verhältnis zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung: Die im öffentlichen System erlebten Defizite führen einerseits zu einer verstärkten Nachfrage nach privater Versicherung, insbesondere für den ambulanten Bereich, andererseits auch zu einer verstärkten Inanspruchnahme privater Versicherungsleistungen. Der Kostendruck in der „Sonderklasse-Versicherung“ steigt durch eine Verschiebung von Behandlungsfällen in die Privatspitäler deutlich. Da die Vergütungen durch die Sozialversicherer in diesen erheblich niedriger als in öffentlichen Spitälern und noch dazu gedeckelt sind, steigt der Anteil der von der Privatversicherung zu übernehmenden Kosten überproportional an. Ebenso ist eine Verschiebung der Inanspruchnahme von Kassen- zu Wahlärzten zu beobachten, die sich naturgemäß in den Leistungszahlungen der Privatversicherer niederschlägt.
2. Welche neuen Trends und Innovationen zeichnen sich aktuell im Gesundheitsmarkt ab und wie wirken sich diese auf die Versicherungsbranche aus?
Dem eingangs beschriebenen Kostendruck kann (bzw. großteils leider noch: könnte) durch eine sinnvolle Nutzung von Digitalisierung auch im Gesundheitswesen entgegengewirkt werden. Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen, ohne dabei den menschlichen Faktor zu verlieren, ist nicht nur ein Gebot der Vernunft, sondern auch eine ethische Forderung. Dabei geht es einerseits um Prozesse und Verfügbarkeit von Daten, andererseits aber auch um Verbesserungen in Diagnostik und Therapie.
Erstere sind Auftrag und zugleich Herausforderung für Versicherer, wobei hier ein Zusammenwirken aller Stakeholder des Gesundheitswesens und letztlich auch des Gesetzgebers erforderlich ist.
Ein gutes Beispiel wäre eine effiziente Abrechnung von Versicherungsleistungen. Während im stationären Bereich seit vielen Jahren die elektronische Direktverrechnung lückenlos umgesetzt ist, liegt diese Thematik im Wahlarztbereich noch vollständig im Argen. Gute erste Schritte wurden durch die kürzlich verabschiedete Gesundheitsreform gemacht, die Grundlage für eine gemeinsame Abrechnung von gesetzlicher und privater Versicherung fehlt aber noch. Die Automatisierung bisher manuell durchgeführter Prozesse ist grundsätzlich ein wichtiges Anliegen der Versicherungsbranche. Sowohl im Underwriting (Risikoprüfung bei Eintritt in die Versichertengemeinschaft) also auch im Leistungsprozess gibt es viele Möglichkeiten, wobei Letztentscheidungen stets dem Menschen vorbehalten sein müssen.
3. Wie verändern sich die Kundenbedürfnisse im Gesundheitsmarkt und wie reagieren Krankenversicherer darauf zB. hinsichtlich der Produktwelt?
Wie oben erwähnt, ist eine erhöhte Nachfrage für „private“ Gesundheitsleistungen erkennbar. In Teilen der Gesellschaft entsteht der Wunsch, sich selbst gesundheitlich zu optimieren, die Gesundheit laufend „zu vermessen“, gesund zu leben, sich selbst zu informieren, kritisch zu hinterfragen, Leistung einzufordern etc. Mit anderen Worten: Das Bild des „mündigen Patienten“, aber auch des „mündigen Vorsorgers“, wird Realität. Diesen Erwartungen, sowie ihrer Rolle als Zahler, muss die private Versicherung nach wie vor gerecht werden. Es gilt raschen, qualitativ hochwertigen Zugang zum Gesundheitssystem zu gewährleisten. Die Versicherer sind deshalb extrem wichtig und sind in Richtung eines Orchestrators, wenn nicht sogar eines Anbieters von Gesundheitsdienstleistungen zu verstehen.
Es ist allerdings gesellschaftliche Realität, dass die Entwicklung zum „mündigen Patienten“ nicht die gesamte Bevölkerung erfasst. Das Fortschreiten der typischen Zivilisationserkrankungen ist ein beredtes Zeugnis dafür. Hier ist die Gesellschaft als Ganzes gefordert, zuvorderst das Bildungssystem, das hinsichtlich des Themas Gesundheit erheblichste Defizite aufweist.
4. Inwiefern beeinflussen globale Gesundheitskrisen, wie z.B. Pandemien, die Strategien von Krankenversicherern?
Die schon angesprochene „stille“ Pandemie der Zivilisationskrankheiten hat enorme Auswirkungen auf die Kosten und Kapazitätsplanung des Gesundheitssystems. Beides ist von Versicherern zu berücksichtigen. Die Bekämpfung dieser Entwicklung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die weit über die Präventionsbemühungen der Versicherer hinausgehen muss.
Bei expliziten Pandemien wie Covid 19 ist die Rolle der Versicherer ehrlicherweise eine eingeschränkte, es sei denn sie sind bereits auch als Gesundheitsdienstleister tätig.
5. Welche Rolle spielen Start-Ups im Gesundheitswesen bei der Formung der Zukunft der Krankenversicherer?
Start Ups können eine wichtige Rolle in den unter dem 2. Punkt beschriebenen Digitalisierungsmaßnahmen haben.
Über den Autor:
Dr. Peter Eichler ist Mitglied des Vorstandes der UNIQA Österreich und der Raiffeisen Versicherung. In seinen Aufgabenbereich fällt die gesamte Sparte der Personenversicherung.
Veranstaltungstipp:
IFA - Insurance Forum Austria, Stegersbach