Business Circle: Sehr geehrter Herr Mag. Raschka, Sie sind Lead Lawyer Commercial Law bei Siemens AG Österreich möchten Sie uns kurz beschreiben, wie Ihr Weg dorthin verlief?
Wolfgang Raschka: Ich studierte im letzten Jahrtausend Jus in Wien und machte ein Postgraduate in Europarecht in England, arbeitete vier Jahre als Assistent am Juridicum und entschied mich dann, in die Privatwirtschaft zu gehen. Mittlerweile bin ich seit 27 Jahren bei Siemens, aber erst seit 9 Jahren in der Rechtsabteilung. Mein Weg führte mich als kaufmännischer Trainee in die unterschiedlichsten interessanten Bereiche und ich habe im Laufe der Zeit mindestens sechs verschiedene Managementpositionen innegehabt. Mein Fokus lag nach kaufmännischen Positionen vor allem auf Risikomanagement, Projektmanagement und Business Excellence. In der Rechtsabteilung war ich auch zunächst für Legal Operations in einer Einheit mit ca. 80 Juristen in ca. 10 Ländern verantwortlich, bevor ich nun vor vier Jahren zum Leiter der operativen Juristen bei Siemens Österreich avancierte und selbst intensiv rechtlich betreue. Die Betreuung klappt perfekt, da ich ja enorm viel an Erfahrung gesammelt habe und die Organisation und ihre Prozesse sowie das Projektumfeld sehr gut kenne, und meine Beratung um diese Erfahrungen anreichern kann.
BC: Nicht alles, was digitalisiert wird, wird automatisch gut: wo sind typischerweise die Stolpersteine bei Legal Tech Projekten und wie bekommt man in einer Rechtsabteilung mit einer größeren Anzahl an Mitarbeitern das Team an Bord?
Raschka: Auch wir Rechtsabteilungen sind sehr stark von Digitalisierungsüberlegungen betroffen. Aufgrund der Größe unseres Konzerns spielt die Musik dabei aber im Stammhaus. Es ist also nicht so, dass jedes Land sein eigenes Süppchen kocht, sondern vor allem Tools und sonstige begleitende IT-Maßnahmen werden im Stammhaus entschieden, wobei wir als Regionen uns am Auswahlprozess beteiligen können. Regional haben wir eher die Möglichkeit, praxisorientierten Content zu erarbeiten, das Ohr an den Bedürfnissen unserer internen Kunden zu haben und ihnen serviceorientierte Hilfe über unsere Homepage anzubieten. Tools sollen zunächst eher der Erleichterung der Arbeit von Legal dienen. Man bekommt also die Mitarbeiter der Rechtsabteilungen am besten ins Boot, wenn sie in den Tools Sinn und Unterstützung erkennen. Zunächst ist aber jede Beschäftigung mit etwas Neuem eine Herausforderung und kostet sogar extra Zeit. Man muss nicht nur den Umgang mit Tools erlernen und die besten Anwendungsfälle identifizieren, sondern Tools müssen selbst oft „lernen“ oder nach ersten Erfahrungen verbessert werden. Das kostet Kraft und Energie.
BC: Welche Kennzahlen und KPIs verwenden Sie für die Steuerung Ihrer Rechtsabteilung?
Raschka: Auch wir Juristen sind in einem Großkonzern mit ständigen Sparprogrammen und Effizienzsteigerungsforderungen konfrontiert. Dennoch lässt sich ein vernünftiges Arbeitsumfeld gestalten. Als KPI in Sachen Effizienz dient (leider) das Geschäftsvolumen, das durchschnittlich von einem Juristen behandelt wird. Ich halte diesen Ansatz für oberflächlich und daher für falsch, da er die unterschiedlichen Geschäftstypen und Projektarten nicht genügend berücksichtigt. Besser sind schon vereinbarte Budgets – ev. auch über Länder hinweg - für die man verantwortlich ist und die eine gewisse Flexibilität erlauben. Sehr regelmäßige aussagekräftige Mitarbeiterumfragen helfen dem Führungsteam, konkrete Schwachstellen zu identifizieren und gemeinsam Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
BC: Was hat sich in Bezug auf die Kennzahlen durch Digitalisierungsprozesse verbessert?
Raschka: Wir sind definitiv noch nicht in einem Stadium, wo die Auswirkungen der Digitalisierung einen messbaren Erfolg erzielen, aber ich persönlich glaube fest daran. Mindestens genauso wichtig wie die Tools sind aber die Inhalte. Und ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es in einer komplexen Welt ist, Lösungen wie z.B. Rechtstexte, Verträge, Analysen, etc. einfach und klar zu gestalten. Themen wie „Design Thinking“, „Complexity Reduction“, „Agile Work“ sind daher massiv zu fördern – über Unternehmensgrenzen hinweg!
BC: Updates fortschreiben, Templates anpassen, weiteres konfigurieren und dergleichen: wieviel Zeit und Arbeitskraft wird für die Pflege der Legal tech-Tools in Anspruch genommen?
Raschka: Die Arbeit, gute Inhalte zu entwickeln, zu aktualisieren und zu optimieren, sei es einzelne Klauseln oder Vertragsmuster oder aber die Angebote einer gut gepflegten Homepage – diese Arbeit nimmt sicher eine gewisse Zeit in Anspruch. Ich würde sie mit ca. 10-15% unserer Arbeitszeit beziffern. Aber das zahlt sich aus und wird sicher in Zukunft mittels digitaler Unterstützung rascher funktionieren, z.B. wenn Verträge aus einzelnen flexibel zu ersetzenden Elementen zusammengestellt und rasch verändert werden können.
BC: IT-Technikern und Juristen wird ja manchmal ein zueinander sehr unterschiedliches Mindset attestiert: Was können Juristen von den ITlern lernen?
Raschka: Die neue Art, rechtlich zu arbeiten, die Verknüpfung von rechtlichem Wissen mit neuen Darstellungsformen rechtlicher Inhalte, präsentiert mittels IT-Toolunterstützung, eingebettet in komplexe Unternehmensprozesse und oftmals das Ergebnis risikobasierter Szenarioanalysen – das alles braucht einen offenen Mindset und Lust am Experimentieren und Lernen. Dabei können sich Juristen sicher auch Anleitungen bei guten „ITlern“ holen. Dort, wo IT nicht als Selbstzweck verstanden wird, hat sie „dienende“ Funktion, die sich an den Bedürfnissen der User und den Zielen der Organisation orientiert. Genauso haben sich Top-Juristen an den Bedürfnissen ihrer Kunden zu orientieren, ihre Technologien, Prozesse und Projekte zu verstehen und darauf zugeschnittene Lösungen anzubieten – und sich in diesem Prozess ev. auch mal komplett neu zu erfinden – wie eben gute IT, denn sonst würden wir immer noch mit Lochkarten arbeiten 😉.
Neue juristische Jobprofile
BC: Zum Recruiting an der Schnittstelle Legal / IT: Finden Sie genug Nachwuchstalente? Wie ist es derzeit um die universitäre Ausbildung bestellt?
Raschka: Es wird in Zukunft vermutlich mehrere Jobprofile für Mitarbeiter von Anwaltskanzleien oder aber Rechtsabteilungen geben – es wird den Legal Designer geben, den Legal Project Manager, den Legal Coder, etc. Somit erwarte ich, dass ein Jurist mit Verständnis und Offenheit für oder einer Basisausbildung in IT für eine Rechtsabteilung genauso wichtig sein wird, wie ein Techniker/Softwareprogrammierer mit einem Basisverständnis für Recht. Damit mag der Wettbewerb für Juristen größer werden und man muss sich als junger Jurist darauf einstellen, anders zu lernen und zu arbeiten, als das noch vor 10-20 Jahren der Fall war. Ich glaube, dass unsere Universitäten das erkannt haben und sich stetig – wenn auch ev. zu langsam – weiter entwickeln. In jedem Fall begrüßen wir jede Form der Praxisnähe der Ausbildung und können junge Menschen nur ermutigen, einschlägige Erfahrung als Praktikanten oder Werkstudenten zu sammeln. Wir haben seit über 5 Jahren regelmäßig Werkstudenten bei uns im Einsatz und ich halte den Austausch zwischen Jung und Alt, neu Ausgebildeten und Erfahrenen für extrem wertvoll und bereichernd.
BC: Um den Kreis zu schließen: Welche Tipps an junge Jus-Studenten, die sich für eine Karriere in der Rechtsabteilung interessieren?
Raschka: Mein Tipp an die Jungen: Seid offen, seid neugierig, geht hinaus aus der Komfortzone, seid fordernd – seid aber auch genau und präzise im Formulieren, nehmt Euch die Zeit zu lesen und zu denken – und denkt bitte nicht gleich an die 30-Stunden-Woche!
BC: Lieber Herr Mag. Raschka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie zur Vienna Legal Tech zu begrüßen!
Mag. Wolfgang Raschka, LL.M. ist Lead Lawyer Commercial Law bei Siemens AG Österreich und verantwortet die rechtliche Betreuung des operativen Geschäfts von Siemens. Davor war er jahrelang als Head of Legal Operations zuständig für die Aufbau- und Ablauforganisation einer Rechtsabteilung mit über 50 Mitarbeitern. Er ist Mitglied im Fachbeirat der Vienna Legal Tech 23.