In nur zwei Jahren war es gelungen, von 50 auf 100 Personen zu kommen. Und auch wenn die Storming-Phase beim Thema Legal Tech jetzt abklingt, geht es jetzt darum, ins Performing zu kommen, wobei es sich um diese Fragen dreht: Wie baue ich Legal Tech und Legal Operations im Unternehmen und in der Kanzlei auf und wie positioniere ich es? Wie bearbeite ich die Schnittstellen zu Compliance oder ESG? Wie stoße ich die dann notwendigen Veränderungsprozesse an und begleite sie?
Next Level Legal Tech: Marc Geiger, Gleiss Lutz
Marc Geiger führt bei Gleiss Lutz, einer deutschen Full-Service Kanzlei mit über 350 Anwältinnen und Anwälten, die Abteilung „Legal Operations und Legal Tech“, die mit einem 20-köpfigen Team die am stärksten wachsende ist. Er stellte anhand der Entwicklung eines Claim-Bots vor, welche Anfangshürden und welche Anfangserfolge es gab und welche Kriterien er für eine make-or-buy Entscheidung heranzieht. Ausgeklügelte Tools könne in der Arbeit mit Mandanten einen wirklichen Mehrwert generieren, sind aber kein Allheilmittel. Insbesondere spricht sich ein verbesserter und schneller Service herum und hilft wieder in der Acquise. Seit circa zwei Jahren merkt er, dass der anfängliche Hype etwas abflacht und widmet sich jetzt dem Next-Level, in dem er auf Feedbackschleifen setzt. Legal Tech-Anwendungen funktionieren dann, wenn man nicht – so wie es anfangs war – sagt: „Hier habt ihr ein neues Tool, arbeitet damit“, sondern sich darum kümmert, die Arbeit für und mit den Mandanten besser zu machen. Legal Apps werden dann akzeptiert, wenn man sofort versteht, dass die Arbeit erleichtert wird. Dafür ist es wichtig, dass gleich am Anfang einige quick-wins da sind, auf die man dann im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung in kleinen Schritten aufbauen kann.
ChatGPT macht die einfachen 80% richtig, aber die letzten 20%, auf die es dann wirklich ankommt, kann es eben nicht.
Marc Geiger
Panel: Make or buy?
Daniella Domokos, Legal Tech Expertin | Marc Geiger, Gleiss Lutz | Lukas Treichl, Freshfields Bruckhaus Deringer| Katharina Bisset, Nerds of Law
Gerader im juristischen Arbeiten darf mach sich bei Compliance, Datenschutz oder IT-Sicherheit keine Fehler erlauben. Das agile Mindset eines Freiberuflers, der sagt „Yolo, ich nehm‘ halt irgendwas“, kann in Bezug auf sensible Mandantendaten und Datensicherheit schnell zu einem großen Problem werden und muss durch einen juristischen Counterpart ergänzt werden. Am Anfang muss eine stringente Definition der eignen Prozesse stehen: „Ein schlechter analoger Prozess in digitaler Form ist dann halt ein schlechter digitaler Prozess.“ Human Ressources sind der Bottleneck, wenn da was frei wird, kann gleich viel mehr geschehen, insbesondere, um selbst wieder kreativ und gestalterisch tätig zu werden. Aber auch bei gekauften Lösungen muss man mit einberechnen, dass die Interfaces und Spezifikationen noch adaptiert werden müssen und dass Pflege und Wartung der Tools auch ihren Tribut fordern. In der Diskussion war man sich abschließend einig, dass - wenn es irgendwie geht, eine selbst entwickelte Lösung vorzuziehen ist. Die eignen Skills wachsen ja auch, und mit neuen Problemen kommen auch neue, noch nicht gekannte Fähigkeiten.
Philipp von Hülsen, Boehringer Ingelheim: Legal Process Design als Baustein einer gelungenen Strategie.
Prozesse zu verstehen und abzubilden darf nicht zum reinen Selbstzweck werden. „Nur wer ein schönes Organigramm malt, hat noch lange nicht seine Prozesse verstanden“. Dr. von Hülsen versteht Rechtsabteilungen zunehmend als integraler Bestandteil des Unternehmens und nicht mehr nur als reine Fachabteilung, die Kompetenz und Expertise beisteuert. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Prozessanalyse. Legal Process Design soll dazu beitragen, die Rechtsabteilung konsequent an den Zielen und Strategien des Unternehmens auszurichten und so zum integralen Teil der Wertschöpfungskette zu werden. Die alte Frage nach Effizienz und Effektivität, also danach, Dinge richtig tun oder richtige Dinge zu tun, beschäftigt Philipp von Hülsen auch in seiner täglichen Arbeit und er plädiert dafür, auch und gerade in der Abstimmu8ng mit oftmals zu kopflastigen Juristen, einfach anzufangen auch wenn man sich anfangs noch nicht auskennt, dann enge Feedbackschleifen zu ziehen, eine Prozesslandschaft zu erstellen Einzelprozesse zu identifizieren, diese dann anzupassen und ständig zu verbessern, was er mit einigen Erfolgsgeschichten aus seinem Legal Department anschaulich illustrierte.
Wenn erst einmal Prozesse definiert und kommuniziert sind, ist es auch einfach, sich daran zu halten
Philipp von Hülsen
Die Abendveranstaltung begann mit einer Busfahrt und Sightseeing, im Teilnehmerkreis waren doch viele, die nicht aus Wien kommen. Und auch für die Wiener, die den Praterstern und den Stephansdom schon kannten, gab es einige spannende Anekdoten mit Umsetzungstipps für das eigene Daily Business. Zum Abendessen ging es in ein Restaurant mit sehr schönem Blick von der Dachterrasse auf den Prater, bevor am Ende einige Unverzagte noch Achterbahn fuhren.
Abschlusspanel: Next Level Legal Tech
Mit Alisha Andert, Legal Tech Verband Deutschland | Silke Graf, PwC Legal Austria | Kathrin Shahroozi, Pennington Manches Cooper LLP, London und Nadia Sairafi-Stocker, Siemens Mobility Austria konnte die Moderatorin Katharina Bisset, Rechtsanwaltskanzlei Bisset / Nerds of Law / NetzBeweis ein hochkarätig besetztes Diskussionspanel begrüßen, das nicht nur das state-of-the-art im Legal Tech aus verschiedenen Blickwinkel anschauen konnten, sondern auch einen fachlich fundierten Blick darauf werfen konnte, wie juristisches Arbeiten in 10 oder 20 Jahren aussieht. Hier einige Statements aus der Diskussion:
- Nachdem der erste Hype wird jetzt abgeflacht ist, wird immer besser sichtbar, was passiert: Wenn man nicht nutzerorientiert entwickelt, kommt man auch nicht in die Performance.
- Der Markt für juristische Anwendungen diversifiziert sich und wird bedarfsorientierter. Legal Tech-Unternehmen wählen neue Wege und Unternehmen, die keine Kanzleien sind, wie zum Beispiel Inkassobüros, übernehmen neu entwickelte Apps.
- Die „Eierlegende Wollmilchsau“ bei Legal Tools gibt es nicht, und es wird sie auch nicht geben.
- Welche Skills wünschen wir uns? Flexibel, Lust auf Neues und sich darauf freuen, dass neue Werkzeuge Ressourcen für Kreativität frei werden.
- Das juristische Handwerk kann man lernen, Programmieren kann man lernen was man aber (noch) nicht lernen kann, ist die Übersetzungsarbeit Business – Recht – IT.
- Der eigentliche Mehrwert von Legal Design ist es, Probleme zu erkennen und greifbar zu machen.
Abschließend dankte Moritz Mirascija besonders dem Fachbeirat und den Vortragenden und allen, die dazu beigetragen haben, diese eineinhalb Tage zur Champions- League im Legal Tech zu machen.
Die nächste Vienna Legal Tech findet statt am 16. / 17. April 2024.
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- Wie die Rechtsabteilung in Zukunft arbeiten wird: Interview mit Wolfgang Raschka
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- Podcast: Warum man für die Kombination von Legal und Technology kein Nerd sein muss. Interview mit Katharina Bisset.
- Podcast: Keine Angst vor smarten Tech-Tools. Interview mit Marc Geiger.
Abschließend gilt ein besonderer Dank allen Content-Partnern, Ausstellern und Sponsoren: