• Die Rechtsabteilung als Innovation Inkubator: Interview mit Wolfgang Raschka, Siemens

Mag. Wolfgang Raschka, LL.M. ist Lead Lawyer Commercial Law bei Siemens AG Österreich und Mitglied im Fachbeirat der Vienna Legal Innovation 24. Wir sprechen darüber, wie es die Rechtsabteilung schaffen kann, vom Getriebenen zum Treiber zu werden und was sich dafür im juristischen Mindset ändern muss.

Business Circle: Sehr geehrter Herr Mag. Raschka, in unserem letzten Interview vom März 2023 haben wir unter anderem darüber gesprochen, dass Juristen von den ITlern ein offenes Mindset und Lust am Experimentieren lernen können. Spüren Sie eine positive Entwicklung in diese Richtung? Und was haben KI-gestützte Lösungen damit zu tun?
Wolfgang Raschka: Ich würde sagen, ich spüre eine Frühlingsbrise. KI und andere Technologien sind in aller Munde und immer mehr Kolleg:innen setzen sich damit auseinander. Wir hatten im vergangenen Frühsommer im Rahmen einer internen Konferenz einen Workshop, bei dem ca. 70 Kolleg:innen von Legal und Compliance gemeinsam Aufgaben mittels Chat GPT zu lösen hatten. Viele von ihnen kamen damals erstmals mit KI in Berührung und verwenden diese nun auch vermehrt in der täglichen Arbeit. In der Siemens Rechtsabteilung ist Technologie kein Fremdwort. Der Markt wird beobachtet, Tools werden getestet und manche auch eingeführt. Dabei arbeiten meist kleinere internationale Gruppen von technikaffinen Jurist:innen gerne auch mal mit rechtsaffinen Techniker:innen zusammen.

BC: Was sind die besonderen Herausforderungen als Legal Counsel in einem Unternehmen, welches einerseits seit über 175 Jahren am Markt ist und andererseits eine Vorreiterrolle in der Digitalisierung hat?
Raschka: Wir haben viele Prozesse und Standards, die in einem so großen und global agierenden Unternehmen notwendig sind. Sie müssen aber immer wieder auf den Prüfstand gestellt und bei Bedarf auch aktualisiert und weiterentwickelt werden. Lösungen müssen heute digital und workflowbasiert sein. Weil Siemens durch und durch technologiegetrieben ist und sich in allen Bereichen der Digitalisierung verschrieben hat, sind wir in unseren Lösungen und in den Formen der Zusammenarbeit durchaus oft „Frontrunner“. Wir betreten daher auch als Jurist:innen oft Neuland, das rechtlich noch nicht vollständig geregelt oder ausjudiziert ist und wo wir besonders gefragt sind, sinnvolle Lösungen zu entwickeln, die unserem Geschäft den Weg ebnen.

BC: Wie schafft man es in der Rechtsabteilung, vom Getriebenen zum Treiber zu werden und was empfehlen Sie als erste Schritte für eine Rechtsabteilung, die selbst innovativer und agiler werden möchte. Gibt es so etwas wie quick-wins und low hanging fruits?
Raschka: Das mit den Low Hanging Fruits ist so eine Sache. Es klingt zwar gut, doch die Gefahr besteht, dass man „Aktionismus-getrieben“ wird. Es ist daher zunächst wichtig, seine Partner, Schnittstellen und Prozesse sowie die typischerweise erwarteten Arbeitsergebnisse genau zu kennen und zu analysieren. Dann kann man entscheiden, welche dieser Prozesse anders – z.B. toolunterstützt – funktionieren sollten, wo man Arbeitsergebnisse als „knowledge assets“ archiviert und verfügbar hält oder wie einfache und oft replizierbare Arbeitsergebnisse eventuell rascher und mit geringerer Einbindung der Rechtsabteilung erstellt werden können. Und dann ist es einfach wichtig, Dinge auszuprobieren. Wenn ich täglich 2-3 Fragestellungen einer Art Voranalyse durch KI unterziehe, lerne ich einerseits, die Stärken und Schwächen der vorhandenen KI-Lösungen zu erkennen und andererseits entwickle ich meine Fähigkeiten, die richtigen Prompts zu formulieren.

BC: Und im Gegensatz dazu: Wo sind die größten Herausforderungen, welche Klippen gilt es zu umschiffen?
Raschka: Die größten Herausforderungen sind wohl die Barrieren in unseren Köpfen und unsere eingelernten Handlungsmuster. Um diese zu kaschieren oder zu leugnen, finden wir viele Ausreden – zu wenige Mitarbeiter, zu viel Druck vom Business, zu komplizierte Rechtsthemen und folglich keine Zeit für Neues. Das ist daher ein Henne-Ei-Problem. Es gilt also, die Klippe der Angst und den Respekt vor Neuem zu umschiffen und dann aufs offene Meer der Möglichkeiten zu segeln. Konferenzen, Austausch mit Peers oder vor allem einfach mal ein Zeitblock von 2-3 Stunden pro Woche, um sich mit neuen Themen, neuen Technologien oder zumindest entsprechenden Berichten darüber auseinanderzusetzen, wären bereits ein großer Fortschritt.

Auch mal eine Auszeit für die persönliche Weiterentwicklung zu nehmen

BC: Zum Business Enabler Mindset: Was macht dieses Mindset eigentlich aus? Sind es Sneakers zum Anzug, Home-Office, so viel man will und eine Beteiligung am Unternehmenserfolg oder ist da noch mehr?
Raschka: Auch „Enabler-Mindset“ kann man nicht über Nacht erlernen. Es ist aber sicher so, dass die Umfeldbedingungen eine wichtige Rolle spielen. Ein erster Schritt in diese Richtung bleibt für mich, das Geschäft, das man vertritt, gut zu kennen und eine vertrauenswürdige Zusammenarbeit zu entwickeln. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist und bleibt Vertrauen. Darüber hinaus scheint es mir wichtig zu sein, mal in anderen Einheiten oder anderen Ländern zu arbeiten oder auch mal eine Auszeit für die persönliche Weiterentwicklung zu nehmen. Wir Jurist:innen haben bei Siemens mittlerweile ein offenes Arbeitsumfeld mit allen Annehmlichkeiten, die Kreativität und Kooperation unterstützen. Siemens ermöglicht den Mitarbeiter:innen eine Beteiligung am Unternehmen, unser „New Normal“ sieht vor, dass wir in freier Zeiteinteilung 2-3 mal pro Woche von zu Hause arbeiten, wir haben dazu die technische Infrastruktur und das Unternehmen unterstützt mit entsprechenden Programmen unsere körperliche und mentale Gesundheit. All das hilft uns, das volle Potential unserer beruflichen Kreativität zu verwirklichen.

BC: Daran anschließend: Was könnte ein traditionelles, etabliertes Unternehmen von einer Start-Up-Kultur lernen, um erfolgreich im War for Talents zu sein?
Raschka: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Start-ups haben oft flache Hierarchien, in denen Mitarbeiter direkt mit Entscheidungsträgern kommunizieren können. Diese offene Kommunikation fördert den Austausch von Ideen und den Push von Innovationen. Etablierte Unternehmen wiederum aber haben auch den Vorteil, dass sie oftmals die bessere finanzielle Basis, gut eingeführte Strukturen und umfangreiche Ressourcen haben, auf die zurückgegriffen werden kann. Diese unterschiedlichen Aspekte lassen sich beliebig erweitern. Hinzu kommt, dass es unterschiedliche Typen von Mitarbeitenden gibt – diejenigen, die sich in Konzernen wohl fühlen und diejenigen, die lieber in einem abgrenzbaren Umfeld arbeiten. Die Frage ist daher vielmehr, welche Strategie und Werte verfolgt ein Unternehmen und wie passen diese zu meinen Vorstellungen, damit ich mich auch langfristig wohl fühlen und entwickeln kann.

BC: Abschließend etwas Persönliches: Wir gehen jetzt schon seit einiger Zeit ein Stück gemeinsamen Weges, was ist für Sie das Besondere an Business Circle Konferenzen?
Raschka: Das Besondere für mich ist, dass der Business Circle nie stehen bleibt, sondern sich und damit auch die Konferenzen immer weiterentwickelt. Besonders gefällt mir diese Entwicklung natürlich auch bei den Legal Innovation Konferenzen. Es ist schön zu sehen, wie sich aus ersten kreativen Ideen unter Einbindung eines heterogenen Berater:innen-Teams ein sehr abwechslungsreiches Programm entwickelt. Ich kann nur sagen: Weiter so und danke, dass ich hier dabei sein darf!

BC: Lieber Herr Mag. Raschka, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie wieder bei der Vienna Legal Innovation zu begrüßen!

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Mag. Wolfgang Raschka, LL.M. ist Lead Lawyer Commercial Law bei Siemens AG Österreich und verantwortet dort die rechtliche Betreuung des operativen Geschäfts. Seit Februar 2024 ist er zudem General Counsel von Siemens Ukraine und Siemens Kasachstan. Davor war er jahrelang als Head of Legal Operations zuständig für die Aufbau- und Ablauforganisation einer Rechtsabteilung mit über 50 international tätigen Mitarbeitern. Er ist Mitglied im Fachbeirat der Vienna Legal Innovation '24

 



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