Business Circle: Sehr geehrte Frau DDr. Kohl, am Legal Management Executive Circle werden Sie einen Round Table moderieren, deren Motto der Austausch auf Augenhöhe ist: Welche Inputs für Sie selbst erhoffen Sie sich von Ihren Gästen am Tisch?
Manuela Kohl: Mein Round Table hat die agile Rechtsabteilung zum Thema. Da ich bis dato auf einzelne Elemente agiler Führung noch verzichte, bin ich gespannt, ob meine Gäste damit Erfahrung haben und falls ja, was die Vor- und Nachteile davon sind.
BC: Was charakterisiert eine agile Rechtsabteilung? Sneakers zum Business Dress allein werden es wohl nicht sein.
Kohl: Wenn es die Sneakers zum Business Outfit wären, dann wären wir nicht mal agil 😉. Die agile Rechtsabteilung zeichnet sich durch eine hohe Kundenorientierung, Selbstorganisation des Teams und Innovationsfreude aus. Wir verwenden digitale Tools nicht nur für unsere Dienstleistungen, sondern auch für die teaminterne Kollaboration und erhöhen damit die Transparenz. Galt die Rechtsabteilung früher als Bremser, da sie immer alles kompliziert machte und erst nach 3 Wochen reagierte, sind wir heute ein geschätzter Business Enabler im Konzern.
BC: Zum menschlichen Faktor: Was ist Ihrer Erfahrung nach der größere Hemmschuh bei der Einführung digitaler Prozesse? Ein „wir brauchen das eh nicht / das bringt eh nichts“ oder doch die Angst, sich selbst überflüssig zu machen?
Kohl: Ich vermute, es ist eher Ersteres. Im Nicht-Wissen darüber, was digitale Tools können, welche Informationen man daraus gewinnt und wie man die Effizienz steigern könnte, scheut man die Arbeit, die mit der Digitalisierung eines Prozesses und der Einführung einer Software einhergeht. In meinem Team sind die Hoffnungen eher umgekehrt, wir haben auch die Tendenz, alles auf unsere Bedürfnisse maßzuschneidern und manches Mal sind unsere Erwartungen an die Technologien zu hoch.
BC: Daran anschließend: Wie gelingt es am besten, das ganze Team mit ins Boot zu holen?
Kohl: Wie erwähnt, haben wir innerhalb unseres Teams hohe Erwartungen an die digitalen Technologien und passen sie unseren Bedürfnissen an, d.h. je nach Aufgabengebiet bekommt bei uns jede beinahe alles, was sie braucht. Derzeit führen wir gerade ein Tool ein, um die Markenverletzungsfälle zu handhaben und die Wünsche an die Features sind wieder sehr hoch. Transparenz und Arbeitsentlastung holen jeden ins Boot.
BC: In unserem letzten Interview haben Sie erwähnt, dass es schwierig ist, an gute Kennzahlen und Messgrößen zu kommen, solange noch nicht alle Prozesse digitalisiert sind. Haben Sie inzwischen weitere Kennzahlen außer den Kosten für die externe Rechtsberatung etabliert?
Kohl: Tatsächlich ermöglichen unsere Tools in den Bereichen Legal & Compliance Auswertungen über Durchlaufzeiten oder wer wie viele Verträge bearbeitet. Da wir sehr viel dezentralisiert und Verantwortung für Verträge an die operativen Bereiche ausgelagert haben, sind solche Auswertungen allerdings mittlerweile interessanter über andere Abteilungen als über uns selbst. Wichtig für uns war eine ganz andere Auswertung aus unserem Vertragsmanagement, die aufzeigt, bei wie vielen Kundenverträgen wir unsere AGB vereinbaren, wo wir eine andere Form der Haftungsbeschränkung haben und wo uns beides nicht gelingt. Hier setzt dann eine Prozessanalyse ein, ob ein Vertrag ohne Involvierung der Rechtsabteilung geschlossen wurde, bei einer Ausschreibung kein Spielraum bestand oder andere Gründe vorlagen.
Ein „Geht nicht“ wird nicht akzeptiert
BC: Haben Sie vielleicht zwei Erfolgsgeschichten – eine menschliche und eine technische – die Sie mit uns teilen möchten?
Kohl: Die menschliche und technische Erfolgsgeschichte hängen in diesem Fall zusammen: unser Berechtigungskonzept für unser Vertrags- und Beteiligungsmanagement wurde am Ende des fast 1-jährigen Projekts implementiert und der vom Lieferanten dafür geschätzte Zeitaufwand ist aufgrund der Komplexität unserer Organisation explodiert. Darüber hinaus war der Programmierer der Ansicht, dass unsere Anforderungen nicht umzusetzen wären, damit wäre das Konzept hinfällig gewesen. In dieser Zeit des großen Drucks konnte sich im Team jede auf die andere verlassen und hat uns die Erfahrung zusammengeschweißt. Und selbstverständlich haben wir unsere Anforderungen erfolgreich umgesetzt, ein „Geht nicht“ haben wir nicht akzeptiert!
BC: ESG ist in aller Munde: Wie kann Agilität im Unternehmen dazu beitragen, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?
Kohl: Wir haben im Konzern analysiert, wie viele Millionen Seiten Papier pro Jahr gedruckt werden und haben uns zum Ziel genommen, den Papierverbrauch massiv zu senken. Nicht nur die Rechtsabteilung hat da sehr viel Potential, beim TÜV AUSTRIA werden bis dato sehr viele Prüfberichte, Gutachten und Zertifikate gedruckt. Mit digitalen Prozessen kann man hier sicher sehr viel erreichen, allerdings ist die CO2-Produktion von Rechenzentren nicht zu vernachlässigen. Digitale Kollaborationstools können auch hier ansetzen, indem man die Datenmengen durch Hin- und Herschicken per Email reduziert.
BC: Liebe Frau DDr. Kohl, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns sehr, Sie zum Legal Management Executive Circle zu begrüßen!
DDr. Manuela Kohl ist promovierte Soziologin und Juristin. Sie leitet die Stabstelle Legal & Compliance in der TÜV AUSTRIA Group. In ihrer Funktion verantwortet sie die Digitalisierung von Prozessen in der Rechtsabteilung. Sie ist u.a. Mitglied in der Vereinigung österreichischer Unternehmensjuristen, beim Compliance Officer Verbund und bei den Privacy Officers. Am 23. Juni 2022 lädt sie am Legal Management Executive Circle zu einem Round Table mit dem Thema “ Agile Rechtsabteilung“.